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Kultur

»Ich lasse meine Figuren lieber etwas tun«

Der Schriftsteller Johannes Herwig über seinen zweiten Leipzig-Roman

  »Ich lasse meine Figuren lieber etwas tun« | Der Schriftsteller Johannes Herwig über seinen zweiten Leipzig-Roman

Für sein Debüt »Bis die Sterne zittern« über oppositionelle Jugendliche in den 30er Jahren hat Johannes Herwig vor zwei Jahren viel Lob und eine Nominierung zum Deutschen Jugendliteraturpreis erhalten. In »Scherbenhelden«, seinem zweiten Buch, erzählt der Leipziger Autor von einer Gruppe Punks im Leipzig der Nachwendezeit – inklusive heftiger Besäufnisse, Konfrontationen mit Neonazis und der ersten Liebe. Mit dem kreuzer sprach er über das Anknüpfen an ein erfolgreiches Debüt, filmische Mittel beim Schreiben und das Alter.

kreuzer: War es schwer, nach dem Erfolg von »Bis die Sterne zittern« einen neuen Roman zu beginnen?JOHANNES HERWIG: Der Anfang war ganz einfach. Die Idee, von den 90ern zu erzählen, hatte ich schon lange, sie ist viel älter als die Idee zu meinem Debüt. Trotzdem hat es definitiv das erste Buch gebraucht, um das zweite angehen zu können. Ich hatte nämlich auch ganz schön Schiss davor. Mir war klar, dass das ein Spagat werden würde: Ich wollte über etwas schreiben, in das ich persönlich involviert war, aber auf eine Weise, dass es für möglichst viele Menschen packend oder sogar erhellend ist. Zeitweise habe ich wirklich hart mit dem Manuskript gerungen und auch viel länger daran gearbeitet als an meinem ersten.

kreuzer: Nino und seine Freunde sind in Leipzig unterwegs. Sie treffen sich auf der Wiese an der Thomaskirche, ziehen durch die Innenstadt, steigen in verfallende Häuser in Connewitz ein. Wie haben Sie sich in die 90er Jahre zurückversetzt?HERWIG: Als ich »Bis die Sterne zittern« schrieb, war ich fast jeden Tag in der Bibliothek, weil ich mich zu jedem noch so kleinen Detail rückversichern wollte. Bei den »Scherbenhelden« dagegen habe ich fast nichts recherchieren müssen, das war alles noch da, im Herz und im Kopf. Ich war Mitte der 90er praktisch ununterbrochen auf der Straße und mit meiner Clique unterwegs. Das prägt einfach fürs Leben, und in einem so konzentrierten und dauerhaften Prozess wie der Arbeit an einem Roman kommen die Einzelheiten zwangsläufig zurück.

[caption id="attachment_118814" align="alignright" width="192"] Cover: Gerstenberg Verlag[/caption]

kreuzer: Sehr eindrücklich stellen Sie die Beziehung zwischen Nino und seinem Vater dar. Nachdem die Mutter in den Westen gegangen ist, sind beide verstummt – jeder auf seine Weise. Wie wichtig ist der Vater für Nino?HERWIG: Als Jugendlicher entwickelt man ja ein Bewusstsein für sich selbst, und da funktioniert viel über Abgrenzung, auch zu den Eltern. Bei Nino ist dieser Prozess etwas komplizierter, er kann nicht einfach rebellieren. Seine Mutter ist lange fort, und mit dem Vater verbindet ihn eine Art Zweckgemeinschaft, die aber im Grunde von großer Zuneigung zueinander geprägt ist. Im Laufe des Buches checkt Nino das auch.

kreuzer: Sie haben die Filmgalerie Phase IV in Dresden mitbegründet. Haben filmische Mittel Einfluss auf Ihr Schreiben?HERWIG: Dass meine Bücher wie ein Film im Kopf ablaufen, habe ich tatsächlich schon recht häufig gehört. Das passiert beim Schreiben aber sehr unbewusst. Ich arbeite einfach unglaublich gern mit sprachlichen Bildern und lebendigen Szenen. Seitenlange Beschreibungen von irgendwelchen Kleidungsstücken oder hintergründige Erklärungen, was es mit meinen Protagonisten so auf sich hat – das liegt mir überhaupt nicht. Ich lasse meine Figuren lieber etwas tun.

kreuzer: Sie haben schon gesagt, dass Sie die Nachwendezeit selbst als Punk erlebt haben. Welche Beziehung haben Sie heute zu dieser Subkultur?HERWIG: Auf irgendeine Art wird dieses Lebensgefühl immer ein Zuhause für mich sein. Ein paar Kompromisse in meinem Alltag sind allerdings zwangsläufig, doch da die Szene extrem gealtert ist, kommt man sich dort als über Vierzigjähriger auch selten fehl am Platze vor (lacht). Die Art und Weise, wie sich Punk positioniert hat – sehr direkt, sehr körperlich, auch selbstzerstörerisch –, das sind heute einfach nicht mehr die Mittel, mit denen sich Kids artikulieren. Ich will aber den früheren, vielleicht wilderen Zeiten nicht nachtrauern. Da würde ich mir dann wirklich alt vorkommen.


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