Viele alte VEB-Gebäude sind inzwischen teure Lofts oder Veranstaltungshallen. Von einem Hügel im Leipziger Umland kann man noch sehen, wie früher Strom erzeugt wurde – und was heute anders ist.
Die Hochhalde Trages gilt als höchster Hügel des Leipziger Umlands. Der Anstieg empfiehlt sich für eine Fahrradtour, der Aussichtsturm bietet einen unverbauten Rundblick. Er steht oberhalb des dreckigsten Dorfs der DDR. Auch wenn ein Ausflug zu den vier großen, im Süden Leipzigs gelegenen Seen bestenfalls noch neu Zugezogene hinter dem symbolischen Ofen hervorlockt, soll ein solcher hier Gegenstand der Betrachtung sein. Sobald das Grau der winterlichen Tristesse vom ersten Grün abgelöst wird, überschwemmen Promenierende und sich mittels aller möglichen Mobilitätskonzepte selbst verwirklichende Freizeitsportler besonders die Ufer von Cospudener und Markkleeberger See. Gerade auf dem Cospudener Rundweg erlaubt dann das nicht immer entspannte Miteinander interessante soziale Studien. Und spätestens wenn die Seen im Hochsommer zu den sprichwörtlichen Badewannen der Leipziger werden, verschwindet das Bewusstsein für die Vergangenheit des Bergbaureviers im Leipziger Süden vollständig im Trubel. Doch schon eine kleine Verlängerung des Ausflugs auf die Hochhalde Trages bei Espenhain lässt einen eindrucksvoll in die jüngere Geschichte dieser Landschaft eintauchen und belohnt zugleich auf einer der höchsten Erhebungen des ehemaligen Regierungsbezirks Leipzig mit einem unverbauten Rundblick vom Aussichtsturm.
Statt bei der Seeumrundung im Uhrzeigersinn den Rundweg um den Störmthaler See in Richtung Rötha zu verlassen, folgt das Fahrrad dem Weg geradeaus Richtung Ortseingang Espenhain. Nach einem knappen Kilometer zweigt links die Landstraße nach Mölbis ab. Hier geht es 800 Meter entlang (Ausschilderung zur Hochhalde Trages), bis rechts eine unscheinbare Straße in ein Gewerbegebiet führt, die nach einer ersten Linkskurve sogleich wieder scharf links auf den nur auf den ersten 50 Metern steilen Anstieg auf die Halde zu verlassen ist. Nach einer 180-Grad-Kurve steigt der asphaltierte Weg gemächlich, aber kontinuierlich an. Vom Haldengrund bis zum höchsten Punkt werden so 66
Höhenmeter auf circa 3,5 Kilometern Länge zurückgelegt, womit der Weg auch für Radsportler, die ihre Bergtauglichkeit verbessern wollen, eine interessante Alternative zum Fockeberg darstellt.
Nach wenigen Hundert Metern tauchen rechts unterhalb des Wegs die verbliebenen Gebäude des VEB Braunkohlekombinats Espenhain auf. Hier wurde die zwischen Espenhain und Leipzig abgebaute Kohle verarbeitet, zu Briketts, aber unter anderem auch zu Benzin verschwelt. Der Betrieb begann 1937 durch die Aktiengesellschaft Sächsische Werke, die 1946 zunächst als Reparationsleistung in sowjetisches Eigentum überging, 1954 als Volkseigener Betrieb an die DDR zurückgegeben wurde und ab 1990 schließlich von der Vereinigten Mitteldeutschen Braunkohlenwerke AG, später MIBRAG mbH VERB, geführt war. Als 1993 das vorzeitige Ende des ursprünglich bis 2035 geplanten Abbaus beschlossen war, erstreckte sich das Abbaugebiet über fast 40 Quadratkilometer nach Norden bis zum heutigen Nordufer des Markkleeberger Sees sowie nach Westen bis zur B 95 und zur Bahnstrecke Leipzig–Altenburg, die es vom gleich dahinter beginnenden Nachbar-Tagebau Zwenkau trennten. Neben mehr als 500 Millionen Tonnen Rohbraunkohle wurde ein Vielfaches an Abraum bewegt, ein Teil davon bildet den Haldenkörper, der auf dem schmalen Sträßchen weiter langsam, aber stetig erklommen wird. Vor 1950 fuhren auf dem gleichen Grund die Züge den Abraum hinauf. Neben Abraum und Kohle verschwanden auch mehr als ein Dutzend Ortschaften und mehr als 8.000 Menschen wurden umgesiedelt. Das vorzeitige Ende bewahrte immerhin weitere Orte vor dem Verschwinden, Dreiskau-Muckern am Störmthaler See ist einer davon und durchaus einen Abstecher wert.
Links des Weges weist zunächst das Solarkraftwerk Espenhain auf die neuen Zeiten der Energieerzeugung hin, bevor zwischen den Bäumen die Ortschaft Mölbis auftaucht, die einst als dreckigstes Dorf der DDR unrühmliche Bekanntheit erlangte. 20 Tonnen Schwefeldioxid, 4 Tonnen Schwefelwasserstoff und 1,5 Tonnen Ammoniak verließen täglich ungefiltert, genau in Hauptwindrichtung Mölbis, die Schornsteine des Kombinats. In den sechziger Jahren wurden die Anlagen auf Verschleiß gefahren, weil eine Umstellung auf Erdöl geplant war, die dann aber wegen der Ölkrise nie kam. Stattdessen wurde mit den verschlissenen Anlagen versucht, noch mehr zu produzieren. Ab den achtziger Jahren gab es jährliche Umweltgottesdienste. Die Aktion »Eine Mark für Espenhain« des Christlichen Seminars Rötha, eigentlich eine als Spendenquittierung getarnte Unterschriftensammlung, brachte 40.000 DDR-Mark ein und machte Mölbis republikweit bekannt. Kurz vor dem Ende der DDR plante die Bezirksverwaltung die Zwangsumsiedlung des gesamten Dorfs, um die Kritik an den Gesundheitsbedingungen endgültig zu beenden.
Wer den Ausflug auf die Hochhalde lieber ohne Fahrrad unternimmt, kann von Mölbis aus auch auf einen 10 Kilometer langen Rundwanderweg mit einigen Informationstafeln zu Geschichte, Flora und Fauna aufbrechen. Konstant ansteigend geht es mit dem Rad aber weiter hinauf. An einem größeren Platz fehlt die früher vorhandene Ausschilderung zum Aussichtsturm, hier sollte den Weg rechts nehmen, wer das Fahrrad nicht über Wurzeln, Stufen und kleine Pfade zum Aussichtsturm schieben möchte. Die Befestigung des Sträßchens wird zunehmend schlechter und endet ausgerechnet vor dem wieder steiler werdenden Stück kurz vor dem Südhang der Halde. Nach einer Kehre taucht der 2002 errichtete 33 Meter hohe Aussichtsturm rechts vom Weg auf. Unterhalb des Turms liegt an der Südostflanke der Halde der namensgebende Ort Trages. Zwischen 1952 und 1959 gingen an der Ostböschung neun Rutschungen ab. Ende 1958 erreichte eine Hangrutschung den Ort und verschüttete Teile eines Grundstücks; ein Gedenkstein erinnert an dieses Ereignis.Wer die 160 Stufen des Aussichtsturms hinaufgestiegen ist, kann nicht nur im Norden hinter dem früheren Tagebau die Silhouette Leipzigs erkennen, den Petersberg bei Halle oder zu Füßen der Halde den Hainer See. Mit etwas Glück erlaubt eine gute Fernsicht sogar den Blick bis zum Erzgebirgskamm mit Fichtelberg. Und hat der tapfere Bergfahrer dieses Glück nicht, so kann er doch in jedem Fall einen tiefen Atemzug nehmen und sich an der rußfreien Luft über Espenhain, Mölbis und Trages
erfreuen.