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Stadtleben

Der Kampf um Abtreibungsrechte ist ein internationaler

Für körperliche Selbstbestimmung, gegen Kirche und Kaczyński: Warum die Verschärfung der Abtreibungsrechte in Polen alle betrifft

  Der Kampf um Abtreibungsrechte ist ein internationaler | Für körperliche Selbstbestimmung, gegen Kirche und Kaczyński: Warum die Verschärfung der Abtreibungsrechte in Polen alle betrifft

In Polen soll das bereits äußerst restriktive Abtreibungsgesetz weiter verschärft werden. Tritt das Urteil in Kraft, droht den Polinnen ein de facto Abtreibungsverbot. Der kreuzer hat mit Leipziger Aktivistinnen über ihre Arbeit, die Lage in Polen und darüber, weshalb das Abtreibungsverbot kein „rein polnisches Problem“ ist, gesprochen.

Am Abend des 28. Oktober regieren auf dem Leipziger Marktplatz, direkt vor dem polnischen Institut, Wut und Solidarität. Etwa 500 Menschen sind zusammengekommen, um gegen das verschärfte Abtreibungsverbot zu demonstrieren. Bei Nieselregen und klirrender Kälte heizen Slogans wie »Wypierdalać« (zu Deutsch: »Verpisst euch«) oder »wolność, równość, aborcja na żądanie« (zu Deutsch: »Freiheit, Gleichheit, Abtreibung auf Anfrage«) ein. »Leute haben geschrieben: Wir reisen 200 Kilometer an für den Abend, weil wir einfach schreien wollen. Ganz laut!«, erzählt Pawel. Er ist Aktivist, engagiert sich in diversen links-emanzipatorischen Gruppen und hat die Kundgebung »Abtreibung ohne Grenzen« mitorganisiert. »Mein erstes Gefühl momentan ist Wut. Ich denke, dieses Gefühl teilen viele Menschen in Polen. Wir wollen keinen Kompromiss, wir wollen keinen Dialog und wir protestieren solange, bis Abtreibung legalisiert wird«, sagt er. Seiner Position als cis-Mann ist sich Pawel dabei bewusst.

In Polen herrscht Aufruhr. Seitdem Julia Przyłębska, Vorsitzende des regierungsgesteuerten Verwaltungsgerichts und enge Vertraute des PiS-Chefs Jarosław Kaczyński, am 22. Oktober das Urteil fällte, dass die Abtreibung stark geschädigter oder unheilbarer kranker Föten verfassungswidrig sei, gleicht in Polen kein Tag dem nächsten. Immer neue Proteste finden statt, die Polinnen auf den Straßen sind wütend, verzweifelt und fordernd – und das seit mittlerweile mehr als zwei Wochen. So stellt das neue Abtreibungsgesetz ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot dar, denn bei 1.100 legalen Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr 2019, wurden 1.074 davon wegen schwerer Fehlbildungen des Fötus durchgeführt. Übrig bleiben also nur 26 Fälle, bei denen aufgrund von Vergewaltigungen und unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Schwangeren abgetrieben werden durfte.

Die PiS-Partei kämpft gegen die unvermeidliche Realität

Noch ist das umstrittene Gesetz nicht in Kraft, doch Einschränkungsversuche der, bereits jetzt kaum existenten, Abtreibungsrechte haben in Polen Tradition. Die katholische Kirche versucht seit langem körperliche Selbstbestimmung von Schwangeren zu minimieren und die rechtskonservative PiS-Partei, die seit 2015 die Mehrheit im polnischen Parlament innehat, beteiligt sich mit Eifer. Schon 2016 versuchte die Partei das Abtreibungsgesetz zu verändern, landesweite Proteste konnten dies allerdings unterbinden. Nun ist derselbe Widerstand erneut gefordert. Denn Verbote verhindern keine Schwangerschaftsabbrüche, sondern gefährden nur die Gesundheit der Schwangeren. So schätzt die WHO die Zahl der Toten durch illegale Abtreibungen jährlich auf rund 47.000. »Die Vorstellung, dass es eine moralische Frage ist, ob man abtreibt oder nicht, muss abgeschafft werden. Denn wo es keine sicheren Abtreibungen gibt, werden diese unsicher durchgeführt und das kostet Leben«, erklärt Irina. Sie ist Teil von Kumpela, einer Initiative, die polnische Menschen unterstützt, einen professionellen und legalen Abbruch in Leipzig durchzuführen.

Abtreibung ist unvermeidliche Realität, es verändern sich nur die Bedingungen unter denen Abbrüche stattfinden. Organisationen schätzen, dass in Polen pro Jahr rund 200.000 illegal Abtreibungen vorgenommen werden. Wie abgebrochen wird, unterscheidet sich allerdings extrem. Bestenfalls findet der Schwangerschaftsabbruch in einer Praxis im Ausland oder angeleitet mittels einer im Internet bestellten Tablette wie der Mifegyne statt; schlimmstenfalls geschieht er auf eigene Faust oder in irgendwelchen Kellern bei schlechten Ärztinnen. Dabei sorgen gezielt kreiertes Unwissen über Rechte und Möglichkeiten der Schwangeren, gesellschaftliches Stigma und Kriminalisierung für schwerwiegende Probleme. Oftmals verbleiben die Betroffenen alleine mit der unerwünschten Schwangerschaft, Abtreibungen werden verschwiegen und viele trauen sich nicht einmal zu Kontrolluntersuchungen zur Ärztin, obwohl künstlich eingeleitete Abbrüche im Nachhinein nicht nachweisbar sind. »Wer erlaubt sich überhaupt die Frage zu stellen: Darf ich über mich selber bestimmen? Wenn die Gesetzeslage so aussieht, dass Abtreibung fast komplett verboten ist«, meint Marta. Auch sie ist bei Kumpela aktiv.

Kumpela arbeitet ehrenamtlich. Die Aktivistinnen helfen den Schwangeren bei der Organisation von Anfahrt bis Abbruch, stehen mit Übersetzerinnen zur Verfügung, begleiten zur Ärztin und sorgen mit einer Schlafbörse für einen sicheren und kostenfreien Schlafplatz. Darüber hinaus unterstützt Kumpela auch finanziell und veranstaltet beispielsweise Soli-Partys um Gelder zu sammeln. Laut Pawel sind Initiativen wie Kumpela in Leipzig und Abortion-Dream-Team in Polen essentiell für Menschen aus Polen, die eine Abtreibung vornehmen wollen: »Der Staat übernimmt keine Verantwortung für die Gesundheit von Frauen und Personen mit Uterus.« Tritt das Urteil des Verfassungsgerichts in Kraft, erwarten Aktivistinnen international noch mehr Betroffene, die auf Unterstützung ehrenamtlicher Organisationen angewiesen sind. Pawel frustiert das. »Das geht dann wieder auf unbezahlte Arbeit von Aktivistinnen, am meisten von Frauen und LGBTQs. Die polnische Regierung schiebt die Care-Arbeit auf die Rücken von Aktivistinnen in ganz Europa«, sagt er.

Die katholische Kirche ist eine Gefahr für die Gesundheit von Schwangeren

An der Lage in Polen möchte Marta von Kumpela vieles ändern, allem voran die Trennung von Kirche und Staat: »Das ist ein großes Problem, das nie hinterfragt wurde. Die Strukturen verweben sich und es ist nicht nur illegal, sondern auch moralisch fragwürdig, wenn die Priester in der Kirche sagen, ob du über deinen Körper bestimmen kannst oder nicht. Oder wenn Ärztinnen und Ärzte meinen, dass deine Gesundheit weniger wichtig ist als die Gesundheit des Fötus, weil es die Gewissensklausel* gibt. Religion gehört zu Menschen, die daran glauben und nicht in die Gesetzesgebung.« Ähnlich denkt auch Irina, die eine internationale Gefahr in christlichen Fundamentalistinnen sieht: »Man darf nicht vergessen, wer noch Gegner ist. Das sind immer auch Kirche und religiöse Strukturen. Die Frage um Selbstbestimmungsrecht ist einfach eine Frage von großer politischer Macht.« So zeichnet sich auch in Deutschland ein ausgesprochen negativer Effekt militanter Abtreibungsgegnerinnen aus: Es gibt immer weniger Ärztinnen, die eine Abtreibung anbieten – unter anderem aus Angst vor Drohbriefen, Anzeigen und anderen Schikanen. Die Zahl der abtreibungsdurchführenden Ärztinnen ist nach einer Berechnung des Statistischen Bundesamtes für das ARD-Politikmagazin Kontraste seit 2003 um 40 Prozent zurückgegangen – von 2.000 auf 1.200 Stellen.

Der Kampf für körperliche Selbstbestimmung ist international

Doch nicht nur die Kirche und die abnehmende Anzahl von Anlaufstellen für Schwangerschaftsabbrüche bieten Grund zur Sorge. In Deutschland sind Abtreibungen nach Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs verboten und mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe behangen. Allein die gesetzlich festgelegten Ausnahmeregelungen des Paragraphen 218a wie Beratungspflicht, Verpflichtung zu drei Tagen Bedenkzeit und die ärztliche Durchführung des Abbruchs vor Ende der zwölften Schwangerschaftswoche ermöglichen einen straffreien Abbruch. Hinzu kommen Paragraph 219 und 219a, welche die Beratung dem Motto »Schutz des ungeborenen Lebens« unterordnen und Ärztinnen, die Abtreibungen anbieten, ein »Werbeverbot« auferlegen, sowie eine enorme finanzielle Belastung für abtreibende Personen. Abtreibungen kosten laut ProFamilia zwischen »200 bis 570 € je nach Praxis, Methode und Versicherung«, Krankenkassen übernehmen die Gebühren nur bei kriminologischer oder medizinischer Indikation. Probleme wie diese erschweren auch die Arbeit von Kumpela. Laut ihren Recherchen existieren in Leipzig nur sieben Ärztinnen, die Abbrüche durchführen.

Fest steht: Der Widerstand in Polen gegen das Abtreibungsverbot ist kein rein polnischer Kampf. »Es ist wichtig zu verstehen, dass es ein internationaler Kampf ist und dass es nichts bringt, so zu tun, als wäre es ein rein polnisches Problem. In sämtlichen Ländern wird Abtreibung immer noch umkämpft, es gibt immer repressive und religiöse Strukturen, die Abtreibung verbieten wollen«, betont Irina. Verbote von Rechten der körperlichen Selbstbestimmung in Polen betreffen Menschen in Deutschland oder anderswo genauso, denn bei diesem Thema gilt es jeden Schritt rückwärts mit aller Kraft zu verhindern. Schließlich geht es um wortwörtlich um Leben und Tod der schwangeren Person. Rechtskonservativen und christlichen Fundamentalistinnen darf kein Raum zur Entfaltung menschenverachtenden Gedanken gegeben werden. Umso wichtiger also, gemeinsam zu kämpfen. Marta resümiert: »Es ist nur ein Stück östlich, es ist nicht so weit weg. Es bringt viel, wenn Leute sich darüber empören und wütend werden.«


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