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Politik

»Man muss nicht schlagen, um Gewalt auszuüben«

Im Gespräch mit Lara Männig über Femizide, Gewalt an Frauen und Schutzräume

  »Man muss nicht schlagen, um Gewalt auszuüben« | Im Gespräch mit Lara Männig über Femizide, Gewalt an Frauen und Schutzräume

In Delitzsch tötete am Mittwoch ein Mann eine Frau, die seine Freundin war. Wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind, nennt man das Femizid. Oft geht einer solchen Tat eine jahrelange Spirale der Gewalt voraus. Wie Betroffenen geholfen werden kann und warum die Berichterstattung über solche Morde besser werden muss, erklärt Lara Männig von der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking.

kreuzer: Wie sehen gewalttätige Beziehungen aus?

LARA MÄNNIG: Das Muster ist immer wieder ähnlich: Der ganz überwiegende Teil der Personen, die zu uns kommen, sind cis-Frauen, die in Beziehungen sind, in denen Männer die Gewalttäter sind. Viele erleben einen Kreislauf. Der Partner ist nicht permanent gewalttätig, sondern es gibt Phasen der Versöhnung und der Reue, in denen Täter die Schuld an der Gewalt den Betroffenen zuweisen und sagen, »wenn du nicht so wärst, müsste ich gar nicht gewalttätig werden.« Solche Beziehungen können sehr lange gehen, über die Jahre werden die Abstände in diesen Kreisläufen kürzer, der Wechsel zwischen Gewalt und Versöhnung häufiger und dann wird es auch gefährlicher. Trotzdem verlassen viele die Beziehung nicht. Bei Betroffenen gibt es diesen tief verinnerlichten Gedanken, sie müssten sich nur anders verhalten oder, dass die gemeinsamen Kinder doch einen Vater bräuchten.

kreuzer: Wie können Sie Betroffenen helfen?

MÄNNIG: Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir aktiv werden können. Einerseits können wir uns zum Beispiel nach Polizeieinsätzen, wenn die betroffene Person damit einverstanden ist, proaktiv einschalten und Hilfe anbieten. Andererseits können sich Menschen auch an uns wenden. Das sind dann oft Personen, die sagen: »So geht es nicht weiter«. Das ist oft der Fall, wenn es einen persönlichen Auslöser gab oder es darum geht, die eigenen Kinder zu schützen.

kreuzer: Was wünschen sich die Betroffenen dann von Ihnen?

MÄNNIG: Das ist sehr vielfältig und reicht von »Helfen Sie mir, dass das aufhört, ich will meine Ruhe haben«, bis hin zu der Frage nach den Kindern und dem Umgang des Täters mit ihnen. Aber auch finanzielle Sorgen, die mit einer Trennung einhergehen spielen eine Rolle in den Gesprächen. Es kommt aber auch sehr auf die individuelle Situation der Betroffenen an. Manche brauchen Unterstützung bei einer polizeilichen Intervention, die können andere aber nicht wahrnehmen, weil sie zum Beispiel einer bestimmten Szene angehören oder weil sie schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. In Fällen von Stalking nach dem Ende einer Beziehung kann es aber helfen, das private Umfeld oder den Arbeitskontext einzubeziehen und sich zu offenbaren, weil die Tabuisierung einen Teil der Gefährdung ausmacht. Genauso ist es ein guter und wichtiger erster Schritt, der besten Freundin zu erzählen, was los ist, damit das eigene private Umfeld zum Schutzraum werden kann.

kreuzer: Wie sieht es aus mit Frauenhäusern und anderen Schutzräumen?

MÄNNIG: Diese Möglichkeit zeigen wir auch auf und manche Betroffene wollen das schnell, um aus der Situation zu entkommen. Andere wollen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben, sei es wegen der Kinder oder weil sie sich nicht unbedingt Küche und Bad mit anderen Frauen teilen wollen. Es gibt aber auch einfach nicht genügend Plätze. Zwar sind während des ersten Lockdowns die Kapazitäten erhöht worden, es zeigt sich aber jetzt auch wieder, dass das bei weitem nicht reicht und Frauen dort abgewiesen werden müssen. Meine Kollegin, die das autonome Frauenhaus in Leipzig mitgegründet hat, sagt immer: »Das Haus war von Tag eins voll.«

kreuzer: Auf was für Probleme stoßen Menschen in gewalttätigen Beziehungen? MÄNNIG: Gewalt ist sehr vielfältig, sie kann psychisch oder physisch sein. Außerdem gibt es soziale und ökonomische Gewalt. Also Personen müssen nicht schlagen, um Gewalt auszuüben. Betroffene finden sich dann oft in Isolation wieder und werden stark kontrolliert. Oft kontrollieren Täter das Handy, öffnen alle Briefe, verbieten Kontakte oder ein eigenes Konto. So schaffen Täter ein großes Abhängigkeitsverhältnis.

kreuzer: Was macht Menschen denn zum Täter?

MÄNNIG: Das ist schwer vorhersehbar, weil die Täter so vielfältig sind wie die Betroffenen. Es gibt einfach nicht das feste Bild von Opfer und Täter. Gewalt betrifft alle, unabhängig von Alter und sozialem Status. Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auf patriarchalen Strukturen basiert. Bestimmte Persönlichkeitszüge zeigen sich aber immer wieder bei Tätern. Die erleben Frauen als narzisstisch. Die Täter haben verinnerlicht, sie wüssten, wie es richtig geht und andere müssen sich dem unterordnen.

kreuzer: Femizide werden medial oft sehr aufwändig begleitet, was Sie auch kritisieren. Wie kann Berichterstattung über solche Taten besser werden?

MÄNNIG: Die Begriffe Drama und Tragödie haben in der Berichterstattung nichs zu suchen. Das verdeckt die strukturellen Probleme. Ein Femizid ist nichts individuelles und die Schuld liegt schon gar nicht bei der von Gewalt betroffenen Person. Genau so ist der Begriff »erweiterter Suizid« irreführend, als wären Frauen und Kinder nur Anhänge des Mannes. Wir haben es auch oft erlebt, dass die Herkunft eines Täters mehr behandelt, als die Tat selbst. Dadurch bekommt die Berichterstattung eine rassistische Komponente. Menschen können, egal wo sie herkommen, zum Täter werden. Was sich in letzter Zeit wieder häuft, sind Berichte, in denen dann das Umfeld des Täters zum Wort kommt und sagen darf, wie schockiert sie sind, und dass der Täter ja eigentlich immer nett und friedlich war. Das reiht sich in die Schuldumkehr ein und erzeugt ein Täterverständnis. Als ob Menschen die frauenfeindliche misogyne Gewalt anwenden, immer er so auftreten würden. Die können sich natürlich auch nett zu anderen verhalten. So etwas steht niemandem auf die Stirn geschrieben.


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