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Stadtleben

»Umsonst heißt nicht wertlos«

Im Leipziger Osten eröffnet ein Umsonstladen

  »Umsonst heißt nicht wertlos« | Im Leipziger Osten eröffnet ein Umsonstladen

Im Leipziger Osten wird es wieder einen Umsonstladen geben! Ein Stück Antikapitalismus zur Weihnachtszeit. Leipzigerinnen können sich umsonst bedienen oder Dinge, die sie nicht mehr brauchen, dort abgeben. Bald öffnet der Laden »Verschenkekiste« in der Wurzner Straße 58 seine Pforten. Alles begann mit einem Aufruf der Initiatorin Anja Scherber in der Leipziger Telegramgruppe »Sharing is Caring«. Der kreuzer sprach mit der Initiatorin und eine ihrer Mitstreiterinnen.

kreuzer: Am 7. Dezember wird die »Verschenkekiste« eröffnen. Wie kam es dazu?MARLENE WAHL: Ich bin immer eine große Liebhaberin von »Lenestauschbude« gewesen. Die steht im Lene-Voigt-Park und hat sich über die Jahre stark verändert. Von großen Regalen, die dort standen, zum Status Quo, der ziemlich vermüllt ist. Manchmal hatte ich einzelne Wünsche, wie eine Fahrradtasche, und dann dauerte es zwei Wochen bis ich dort fündig geworden bin. Es hat mich so glücklich gemacht, zu merken, dass andere Menschen dort ihre Dinge abgeben, wenn sie zu viel haben — genauso wie ich Dinge habe, die mir im Weg sind. Zum Umsonstladen nach Plagwitz zu fahren, ist mir in meinem Alltag zu weit. Als Anja den Aufruf startete, dachte ich: Ja, da muss ich mitmachen!

ANJA SCHERBER: Ich wohne schon eine Weile im Osten. Es gab hier mal einen Umsonstladen, aber der war irgendwann weg. Im Februar haben wir uns das erste Mal getroffen.

WAHL: Dann kam Corona dazwischen. Als wir beim Sächsischen Mitmach-Fonds gewonnen haben, hat unser Projekt wieder Fahrt aufgenommen. Seitdem ist Netzwerken ein großer Teil unserer Arbeit. Mit allen möglichen Initiativen wie Recyclingkollektiven.

SCHERBER: Wir sind erst mal als Untermieterinnen in der Wurzner Str. Dort dürfen wir in den Ladenmöglichkeiten von Treffpunkt e. V. sein, die können gerade ihre Räume nicht so nutzen, wie sie es wollen und haben uns den Laden somit zur Verfügung gestellt. Allerdings nur bis März, deshalb sind wir weiterhin auf Raumsuche.

kreuzer: Wie finanzieren Sie sich?SCHERBER: Wir haben im Sommer beim Sächsischen Mitmach-Fonds ein Preisgeld gewonnen. Dieses Geld werden wir für die Ladenmiete einsetzen. Das reicht natürlich nicht ewig. Wir sind schon auf der Suche nach neuen Fördermittelgeberinnen. Unser großer Plan ist es, Mietpatinnen zu akquirieren.

kreuzer: Müssen dann die vielen Verschenkekisten aus dem Stadtbild verschwinden?SCHERBER: Ich fände es schade, wenn sie ganz verschwinden würden. Sie transportieren diese Verschenke- und Tauschkultur nach draußen und animieren Menschen eher, sich daran zu beteiligen, als wenn es nur zwei, drei Läden in der Stadt gibt. Ich fände es aber schön, wenn diese vermüllten Verschenkekisten verschwinden, die schon solange draußen stehen und nicht mehr von der Person betreut werden, die sie dort hingestellt hat.

kreuzer: Nehmen Sie jedes Teil an oder ab wann ist etwa offiziell Müll?WAHL: Das ist natürlich ein schwieriges Thema. Manchmal haben Dinge nur einen ideellen Wert, sind für andere Leute aber nicht sehr brauchbar. Wir haben uns beim letzten Plenum dafür entschieden, uns zu begrenzen, zumal wir bald wieder umziehen. Zum Beispiel haben wir uns auf saisonale Kleidung geeinigt. Eine Gebrauchsanweisung wird es bald auf unserer Website geben.

SCHERBER: Generell nehmen wir Klamotten, Kindersachen, Spielzeug, Bücher und auch gerettete Lebensmittel. Jetzt zur Weihnachtszeit haben wir überlegt, ganz speziell zu Weihnachtsdeko und Lichterketten aufzurufen. Vielleicht haben wir auch ab und an eine Pflanzenbörse für Gärtnerinnen oder Pflanzenliebhaberinnen.

kreuzer: Wo kommen die Dinge her, die momentan in Ihrem Bestand sind?WAHL: Ich kann momentan nicht mehr an vermüllten Verschenkekisten vorbeigehen. Ich nehme das Zeugs dann immer mit und wasche es bei mir Zuhause. Mein Freund freut sich schon, dass der Laden nun aufmacht, weil dann endlich wieder ein bisschen mehr Platz ist.

kreuzer: Um für das Thema Kreislaufwirtschaft zu sensibilisieren, soll Ihr Laden auch ein Bildungsangebot beinhalten. Wie kann man sich das vorstellen?SCHERBER: Wir sind im Gespräch mit einer Person, die sich vorstellen könnte, ein Nähstübchen im Repair-Cafe-Style anzubieten. Damit dieses Angebot niedrigschwellig bleibt, müssen wir  Nähmaschinen anschaffen.

WAHL: Die Ideen gehen da ganz weit. Die Umsetzung ist durch Corona gerade erschwert. Ich habe aber auch total Lust, mich um verschiedene Workshops zu kümmern, etwa um saisonalem Abfall zu recyceln. Es gibt tausend Dinge, die man aus den Aluhülsen von Kerzenlichtern machen kann.

kreuzer: Das Weihnachtsgeschäft spielt dieses Jahr Amazon in die Hände. Findet man bei Ihnen auch gute Geschenke?WAHL: Es braucht einfach ein Umdenken in der Gesellschaft. Der Umsonstladen ist Ausdruck eines viel größeren Plans, den wir verfolgen. Ein Satz, der immer wieder fällt: Umsonst heißt nicht wertlos. Wir merken gerade, dass Leute unterschiedlich auf die Vorstellung reagieren, Geschenke aus dem Umsonstladen zu sammeln. Manchen Leuten macht es nichts aus. Ich persönlich mache das schon seit Jahren. Wenn ich irgendeinen coolen Pullover finde, dann nehme ich ihn mit — dann ist er umsonst, aber meine Schwestern freuen sich total, so ein Teil zu bekommen. Wir kennen aber auch Leuten, die sagen, man müsse schon Geld ausgeben, damit es was wert ist.

SCHERBER: Wir wollen vermitteln, dass es besser ist, Dinge aus nachhaltigen Kontexten zu konsumieren, wenn man denn schon Konsumieren muss.


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