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Stadtleben

»Es geht an die Substanz«

Langsam verzweifelt der lokale Einzelhandel am Lockdown

  »Es geht an die Substanz« | Langsam verzweifelt der lokale Einzelhandel am Lockdown

Händlerinnen Jana-Ulrike von der Gönne und Sabine Kuhnhäuser kritisieren Ungleichbehandlung bei der Pandemieabwehr und bauen nun ein Netzwerk auf.

Eigentlich weist eine giftgrüne Schaufensterpuppe den Weg: Wer den Südplatz kreuzt, kommt an Pussy Galore nicht vorbei – eigentlich. Seit 15 Jahren verkauft hier Jana-Ulrike von der Gönne Mode. Wie viele Händler musste sie Corona bedingt schließen. Wie viele Händler findet sie wenig Gehör. Das muss sich ändern, entschied sie. Zusammen mit Sabine Kuhnhäuser, die auf der Könneritzstraße ein Modegeschäft betreibt, will sie die Leipziger Einzelhändler in einem Netzwerk zusammenbringen. Wie, erklären sie im Gespräch.

kreuzer: Sie wandten sich mit einem Hilferuf an uns.JANA-ULRIKE VON DER GÖNNE: Es geht so nicht weiter. Wir wollen auf unsere Situation aufmerksam machen. Wir kommen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht vor. Aber es geht an die Substanz und das muss öffentlich werden. Wir verstehen die Entscheidung zum Lockdown völlig und stehen hinter diesem, auch wenn er mir zu scheibchenweise passiert. Aber irgendeine Hilfe muss es auch für uns Händler geben. Ich bin stinke sauer, warum die Politik den ganzen Sommer lang nichts gemacht hat zur Vorbereitung.SABINE KUHNHÄUSER: Ministerpräsident Kretschmer zeigt sich vor einem Lokal, bei dem er etwas zum Mitnehmen holt, und bittet, die Gastronomie zu unterstützen. Wir Händler hören von ihm nichts.

kreuzer: Sie bemängeln die fehlende Unterstützung?VON DER GÖNNE: Ja. Wir sitzen auf dem Nichts. Die Leute denken, wir seien abgesichert über die Novemberhilfen. Davon abgesehen, dass die viel zu spät ausgezahlt werden: Wir bekommen diese gar nicht. Da hatten wir ja noch offen. Für uns gibt es bis jetzt noch nicht einmal Anträge für mögliche Hilfen.

kreuzer: Ihre Läden sind seit Wochen dicht ohne Perspektive?VON DER GÖNNE: Es geht ja nicht darum, mal zwei, drei Monate zu pausieren und Rücklagen für die Fixkosten aufzubrauchen, sondern darum, wie es weitergeht. Ich müsste jetzt eigentlich Waren für die Saison einkaufen.KUHNHÄUSER: Vielen ist gar nicht bewusst, wie die Lage aussieht. Und ja, auch in anderen Bereichen ist die Situation schlimm, aber über uns spricht niemand. Mich ärgert diese Ungleichbehandlung.VON DER GÖNNE: Da zog im Herbst eine Großdemo von Maskenverweigerern durch die Innenstadt, während bei mir zwei Leute in den Laden durften. Da drängeln sich Menschen jetzt bei Imbissen in Vorzelten und ich darf nicht mal jemanden vor meinem Laden bedienen. Das muss mir mal jemand erklären hinsichtlich der Aerosole.

kreuzer: Sie bieten keinen Abholservice an?VON DER GÖNNE: Nein, darf ich nicht. Natürlich frage ich mich, warum wir Einzelhändler keine Papiertüte durch die Tür reichen dürfen? Ich verstehe, ja, dass niemand in den Laden soll wegen der Ansteckung. In anderen Bundesländern dürfen Kunden Ware vorm Laden abholen, in Sachsen nicht.

kreuzer: Ärgert Sie die Kritik, der Einzelhandel habe den Onlinehandel verschlafen?KUHNHÄUSER: Natürlich. Wir wollten ja nie online verkaufen, sondern Händlerinnen vor Ort sein, lokal in unseren Vierteln agieren. Es gibt hier Beratung, Gespräch, Nähe zu meinen Kunden. Dass das in einer Pandemie nicht geht, ist klar. Aber damit konnte ja keiner rechnen. Natürlich versuchen wir jetzt auch online auf unsere Waren hinzuweisen, liefern auch aus. Aber ich kann ja nicht über Nacht eine komplett neue Geschäftsidee erfinden.

kreuzer: Sie beide haben über die Plattform Instagram zusammengefunden?VON DER GÖNNE: Sabine hat sich dort mal Luft gemacht mit einem Beitrag. Das fand ich gut, dass da mal auf die Situation aufmerksam gemacht wurde, wo es sonst nur alles schön glitzert. Daraufhin haben wir uns verständigt. Und nun versuchen wir mit anderen, ein lokales Netzwerk aufzubauen und die verschiedenen Leute unter einen Hut zubringen.

kreuzer: Also eine Art lokale Händlerlobby?KUHNHÄUSER: Wir wollen uns verständigen, was wir tun können. Vielleicht bringen wir eine gemeinsame Plattform mit Lieferservice zustande? Ich schreibe gerade an einem Konzept. Wir werden sehen, ob und wie wir die Idee umsetzen können. Vielleicht kann uns das Amt für Wirtschaftsförderung unterstützen? Die Stadt hatte ja die Leipziger Plattform Locally Happy gefördert, aber da passiert gerade nichts.VON DER GÖNNE: Wenn wenigstens das funktionieren würde, bräuchten wir nichts Eigenes. So gehts jedenfalls nicht weiter, sonst wird es uns lokale Händler bald nicht mehr geben.


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