Sie verharmlosen und leugnen die Pandemie, sie verbreiten antisemitische Verschwörungserzählungen und attackieren Gegendemonstranten, Journalisten und Polizisten. Und sie treiben die Corona-Infektionen voran. Zumindest für zwei »Querdenken«-Demonstrationen im November 2020 haben das Wissenschaftler festgestellt. Die Großaufzüge am 7. November in Leipzig und 18. November in Berlin haben zur starken Verbreitung des Virus beigetragen. Das haben zwei Wissenschaftler des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und der Humboldt-Universität Berlin analysiert. Martin Lange ist einer von ihnen. Im kreuzer-Gespräch erklärt er, wie und was sie herausgefunden haben.
kreuzer: Es gab im Vorfeld bereits politische Kritik, dass sich diese Großdemos als Spreading-Events erweisen könnten. War das der Anlass Ihrer Untersuchung?Martin Lange: Nein, nicht direkt. Wir waren einfach nur interessiert daran, ob solche Demonstrationen Folgen für das Infektionsgeschehen haben könnten. Es gibt dazu bereits wissenschaftliche Literatur, zu der wir etwas beitragen wollten. Daher haben wir uns im Nachgang der Demonstrationen überlegt, wie man diese untersuchen könnte.
kreuzer: Also kamen Sie auf die Idee, sich die Busse von »Honk for Hope« (»Hupen für die Hoffnung«) anzuschauen, die als Teil der »Querdenken«-Bewegung agierte?Lange: Wir können natürlich nicht erfassen, wer selbst mit dem Pkw oder der Deutschen Bahn angereist ist. Aber ein großer Teil der Demonstranten ist unseres Wissens nach mit den über »Honk for Hope« organisierten Busunternehmen gekommen. Sie haben aus ganz Deutschland Menschen nach Leipzig und Berlin transportiert.
kreuzer: Wie viele Busse wie viele Menschen transportierten, wissen Sie nicht genau?Lange: Nein, das konnten wir nicht nachvollziehen, da solche Informationen nicht veröffentlicht wurden. Daher beruht unsere Berechnung nur auf Schätzwerten. Aber die von uns festgestellte erhöhte Zahl von Covid-19-Infizierten in den Landkreisen mit einer Haltestelle des Busnetzwerks ist statistisch aussagekräftig.
[caption id="attachment_122239" align="alignright" width="209"] Martin Lange, Foto: ZEW[/caption]
kreuzer: Die Busverbindungen kursierten unter anderem in entsprechenden Telegram-Chatgruppen... Lange: Genau. Es ist kein Zufall, dass die Haltestellen in den jeweiligen Orten lagen. Und in diesen entsprechenden Landkreisen stieg die 7-Tage-Inzidenz bis Ende Dezember deutlich. Wir schätzen, dass ohne die Demonstrationen zwischen 16.000 und 21.000 Infektionen weniger aufgetreten wären.
kreuzer: Können Sie sagen, in welcher Stadt das größere Spreading-Event stattfand?Lange: Da die Demonstrationen in Berlin und Leipzig zeitlich sehr nah beieinander liegen, können wir keine Aussage darüber treffen, welche Veranstaltung zu mehr Infektionen geführt hat. Man könnte natürlich mutmaßen, dass es in Leipzig war, weil dort wohl mehr Menschen anwesend waren. Wobei die Zahlen variieren zwischen 20.000 Teilnehmern, die die Polizei angibt, und zirka 45.000, die von einer Forschungsgruppe der Universität kam.
kreuzer: Die hat die demobegleitende Gruppe durchgezählt veröffentlicht. Dann können Sie also auch nur vermuten, ob sich die Teilnehmer auf der Demo oder auf dem Weg hin und zurück ansteckten?Lange: Ja, zeigen können wir nur, dass es zu vermehrten Infektionen in den Heimatkreisen nach den Demonstrationen gekommen ist. Ob sie sich direkt auf der Demonstration oder dem Hin- und Rückweg angesteckt haben, wissen wir nicht. Es ist gut möglich, dass beides eine Rolle gespielt hat. Schließlich wurden dann andere Menschen in ihren Landkreisen infiziert.
kreuzer: Wenn Sie nur Informationen über die Bushaltestellen erfassten, dann ist das eine eher konservative Rechnung, die Sie vorschlagen hinsichtlich der Rolle von Großveranstaltung als Spreading-Event?Lange: Da wir nichts über die anderen Angereisten wissen, kann man nur vermuten, dass sie auch zu Infektionen beitrugen. Aber das ist bloße Spekulation. Eine mobile Minderheit, die sich nicht an Hygieneregeln zur Pandemiebekämpfung hält, kann aber, das haben wir mit unserer Untersuchung festgestellt, ein Risiko für andere Menschen darstellen.