Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz taucht in dieser Woche ein in das Vokabular der Vergangenheit.
Es gibt sie ja, diese ewig Nörgelnden, die nicht akzeptieren wollen, dass Sprache lebendig ist und sich verändert. Was lebt, das entwickelt sich eben — ob man die Entwicklung gut oder schlecht findet, spielt keine Rolle. Im Gegenteil, der Groll verstellt den Blick auf das Neue, welches sich jenseits aller Wertungen zu betrachten lohnt.
[caption id="attachment_123326" align="alignright" width="150"] Unerhörte Auswahl vergessener Wortschönheiten aus Johann Jakob Sprengs gigantischem, im Archive gefundenen, seit 250 Jahren unveröffentlichten deutschen Wörterbuch; Cover: Verlag Das Kulturelle Gedächtnis[/caption]
Das im Frühjahr auf Basis der gigantischen Vokabel-Sammlung Johann Jakob Sprengs erschienene Wörterbuch mit dem nicht minder gigantischen Titel »UNERHÖRTE AUSWAHL VERGESSENER WORTSCHÖNHEITEN AUS JOHANN JAKOB SPRENGS GIGANTISCHEM, IM ARCHIVE GEFUNDENEN, SEIT 250 JAHREN UNVERÖFFENTLICHTEN DEUTSCHEN WÖRTERBUCH« lenkt den Blick allerdings nicht auf neues, sondern altes Wortpotential. Das aber mit nicht weniger faszinierendem Ergebnis. Dieser prachtvoll gestaltete Band (wir kennen es ja nicht anders vom Verlag »Das kulturelle Gedächtnis«) gleicht einem schillernden Bestiarium. Vollgestopft mit ausgestorbenen, fantastischen, irreal anmutenden, abertausenden ausgestorbenen Wörtern, die man wie eine Schachtel Pralinen heimlich kosten möchte, bevor man vor Begeisterung aus seinem Versteck platzt um das Gefundene mit der ganzen Welt zu teilen. Die Top Ten: auswipfeln, gnegeln, Dotterbrot, raffatzen, Käkelreem, kanüffeln, Limpf, Schriftdieb, Trimilchi, Verfinsterungszoll.
Der Basler Gelehrte aus dem 18. Jahrhundert war übrigens selbst einer, der manche Vokabeln und Redewendungen lieber aus dem Wortschatz gestrichten hätte. Und so gibt es in seiner Sammlung auch einige Einträge, die dementsprechend mit einem roten Strich markiert sind. Und im Vorwort heißt es denn auch: »Lateinische und französische (Lehn-)Wörter waren ihm ein Graus, lieber verwendete er seltsame Verdeutschungen.« Das Gute ist, tote Worte können ganz einfach widerbelebt werden. In diesem Sinne: genug geatzelt, es grüßt, ganz verglafft, die ABC-Schnecke.