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Politik

Klassenerhalt im Fulfillment Center

Arbeitnehmer bei Amazon in Leipzig kämpfen weiter um bessere Arbeitsbedingungen

  Klassenerhalt im Fulfillment Center | Arbeitnehmer bei Amazon in Leipzig kämpfen weiter um bessere Arbeitsbedingungen

Das Bundesverwaltungsgericht erklärt die Bewilligung von Sonntagsarbeit bei Amazon für rechtswidrig. Ein Triumph für Verdi – ein kleiner. Denn noch lange sind nicht alle Ziele der Gewerkschaft erreicht worden.

Klägerin und Angeklagte nahmen virtuell an der Verhandlung Ende Januar teil. Es ging um einen Fall von 2015. Bei der Amazon-Tochter in Rheinberg hatte das Land Nordrhein-Westfalen Sonntagsarbeit im Advent erlaubt, weil die Bestellungen sonst nicht hätten bewältigt werden können. Dagegen klagte die Gewerkschaft Verdi. 
Nach dem Widerspruch auf Landesebene landete der Konflikt in letzter Instanz am Leipziger Bundesverwaltungsgericht. Die Richterinnen gaben Verdi recht. Vor leerem Saal wurde das Urteil verkündet. Amazon hatte die Zustellung von Waren innerhalb eines Kalendertages angeboten. Deshalb sei der erhöhte Arbeitsaufwand selbstverschuldet gewesen, begründete das Gericht den Beschluss.

Die Thematik ist nach wie vor aktuell: Wie viel Handlungsspielraum überlässt die Politik einem Konzern dieser Größe? Die vorsitzende Richterin spricht von Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein Zungenbrecher, der kennzeichnet, dass Wiederholungsgefahr besteht und dieses Urteil richtungsweisend für zukünftige Fälle sein kann. Ein wichtiges Signal, findet Thomas Schneider, Verdi-Sekretär im Fachbereich Handel. Seit 2009 steht er in seiner Funktion im Austausch mit Arbeitnehmerinnen und unterstützt deren Kampf am Leipziger Standort. Mit dem Virus seien neue Unsicherheiten aufgekommen und Schneider wirft Amazon vor, Coronafälle gegenüber Kontaktpersonen nicht transparent zu kommunizieren, um Ausfälle zu vermeiden. »Hinzu kommt, dass Mitarbeiter auch mit Symptomen zur Arbeit gehen, da es in der Vergangenheit einige krankheitsbedingte Kündigungen gab.«

Die Pandemieschutzmaßnahmen des Konzerns stehen öffentlich in der Kritik. Der in Leipzig Beschäftigte Evgenij Ageev bemängelt, dass auch jetzt Abstände nicht immer gewahrt werden können und Hygienekonzepte erst auf politischen Zwang umgesetzt wurden. »Da kam keine Eigeninitiative. Erst als die Angst größer wurde, dass der Laden vom Gesundheitsamt dichtgemacht wird.« Inzwischen gilt im Fulfillment Center, wie Amazon seine Logistikstandorte nennt, überall Maskenpflicht. Nach zwei Stunden unter Maske ist Arbeit in Bereichen vorgesehen, wo das nicht erforderlich ist. Dies entschied eine Einigungsstelle zwischen Arbeitgeber und -nehmerinnen in Leipzig. Doch auf der Fläche gibt es solche Bereiche nicht. Nun bietet Amazon den Beschäftigten nach besagten zwei Stunden 30 Minuten Pause an – unbezahlt. »Das unternehmerische Risiko und die Verantwortung für die Gesundheit werden auf die Beschäftigten abgewälzt«, sagt Thomas Schneider. Darauf angesprochen, verweist ein Konzernsprecher auf die um fünf Minuten verlängerte bezahlte Pause. Zur Forderung nach einer halbstündigen entlohnten Pause sagt er: Da »frage ich mich, ob die gleichen Forderungen von der Gewerkschaft auch im Krankenhaus oder Altersheim gestellt werden würden«.

Trotz regelmäßiger Warnstreiks, in Leipzig zuletzt an mehreren Tagen in der Vorweihnachtszeit, konnte die wichtigste Gewerkschaftsforderung bisher nicht durchgesetzt werden: geltende Tarifverträge des Einzelhandels. Ein Amazon-Sprecher verweist auf die Unternehmensexpansion und die Kosten aufgrund der Hygieneregeln. Laut neuestem Quartalsbericht des US-amerikanischen Konzerns im Februar liegt der Umsatz erstmals bei über 100 Milliarden US-Dollar, hat sich der Gewinn gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt. Das Unternehmen profitiert in der globalen Krise.

Die gewerkschaftliche Mobilisierung am Standort Leipzig stagniert. Schneider meint, die Politik müsse stärker für 
Arbeitnehmerrechte eintreten. Immerhin hat Beharrlichkeit auch Erfolge: War Amazon ehemals im Niedriglohnsektor verortet, liegt die Bezahlung verglichen mit anderen Arbeitgebern inzwischen im oberen Drittel. Das Unternehmen behauptet bisher stets, ausschließlich Logistiker zu sein und deswegen nicht der tariflichen Bindung an den Handelssektor zu unterliegen. Seit 2019 ist Amazon jedoch Mitglied des Arbeitgeberverbandes des deutschen Einzelhandels. Diese Entwicklung wertet Schneider als Folge gewerkschaftlichen Drucks: »Wenn die Belegschaft sich bewegt, bewegt sich Amazon.« Diesmal gab das Gesetz ihnen Rückenwind.


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