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Kultur

Zeitzwischenräume

Marica Bodrožić‘ Essay ist ein Anker in der Corona-Zeit

  Zeitzwischenräume | Marica Bodrožić‘ Essay ist ein Anker in der Corona-Zeit

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz wirft mit Marica Bodrožić einen neuen Blick auf die Pandemie.

»Auf dem Balkon trage ich nun jeden Abend um 20 Uhr Rilkes Panthergedicht laut vor, als hätte ich früher nie etwas anderes um diese Uhrzeit getan.« Früher: Das ist vor der Pandemie. Jetzt: Das ist die Pantherzeit. Später: Ungewiss.

[caption id="attachment_125044" align="alignright" width="160"] Pantherzeit; Cover: Otto Müller Verlag[/caption]

Gedichte lesen ist ja an sich schon entschleunigend. Jeden Abend dasselbe Gedicht immer und immer wieder zu lesen, muss also die Zeit beinahe rückwärts laufen lassen. Eine Reise in die Vergangenheit, an den Ursprung des Echos. Marica Bodrožić hat in dieser Pandemie ihr Innerstes nach außen gekehrt, ist freigiebig mit ihrem Wissen und ja, man muss das so sagen: ihrer Weisheit. Ihre Reflexionen sparen nichts aus. Von den Tränen, die ihr kommen, als sie für den Nachbarsjungen ein Geburstagslied singt – von Wohnung zu Wohnung. Wie sie geht, um diese Tränen für sich zu behalten. »Ich glaube, das Wahre, das Tiefempfundene, das Echte wächst auf allen Ebenen unseres Seins gerade neu nach.«

Wo andere sich noch scheuen, eine Sprache zu wählen und ihre Gedanken zu teilen, zu einer Zeit, da Corona-Bücher geschrieben werden, die nichts zu erzählen wissen, da ist Bodrožić‘ Essay ein wahrer Anker. Man will von jeder Seite zitieren, die Klebezettelchen fliegen nur so herum. Die Rezensentin lässt sich zum ersten Mal und vielleicht nie wieder zum Ich hinreißen: Das ist das beste Buch, dass ich in diesem Jahr gelesen habe. Und es ist egal, dass es noch nicht mal zur Hälfte vorbei ist. Wenn Sie diese Rezension lesen, dann lesen Sie im Idealfall vielleicht sogar Bücher. Ich kann Ihnen nur raten: Lesen Sie dieses! Den besten Grund liefert die Autorin selbst: »Lektüre, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander bündelt und in ein Bild führt, ist mehr als ein äußerer Ort je sein kann.«


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