Die sächsische Denkmalpflege weigert sich, das Erbe für das größte Frauenaußenlager vom KZ Buchenwald anzutreten, die Stadt lässt die Planung einer Gedenktafel schleifen.
Der Dobermann hinter dem Tor schlägt sofort an, wenn sich jemand dem Gebäude Kamenzer Straße 12 nähert. Hier vor dem ehemaligen Gelände des größten Frauenaußenlagers des KZ Buchenwald parkt an einem Wochentag Anfang März ein matt lackierter Porsche Cayenne, dessen Leipziger Autokennzeichen mit der Zahlenfolge 2004 endet, Szenecode für Hitlers Geburtstag. Eine Kamera nimmt den Bereich vor dem Tor auf. Wenige Meter entfernt vor der Kamenzer Straße 10 steht auf dem Fußweg eine kleine Tafel, die die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten 2010 in Eigenregie aufstellte. Sie erinnert an das Lager ein Grundstück weiter, in dem von 1944 bis 1945 Zwangsarbeiterinnen eines der größten deutschen Rüstungskonzerne – der nahe gelegenen Hugo Schneider AG (HASAG) – untergebracht waren. Nach 1945 sollte dieser Teil der Geschichte aus der Öffentlichkeit verschwinden. Gebäudeteile wurde erst gesprengt, dann mit Gewerbebauten versehen, wie in der neuen Informationsbroschüre der Gedenkstätte für Zwangsarbeit detailliert nachzulesen ist.
Die Kamenzer Straße 12 ist kein leichtes, aber umso schützenswerteres Erbe der städtischen Erinnerungskultur vor allem im Hinblick auf die seit Jahren vor Ort bekannten Zustände.
Seit 2007 nutzen Rechte das Areal, organisieren Konzerte und Veranstaltungen. Die Gedenktafel wurde wiederholt geschändet. 2017 bezog zudem das Imperium Fight Team um Lok-Leipzig-Fan Benjamin Brinsa hier seine neue Übungsstätte. Im Dezember 2019 kritisierten das Bündnis Ladenschluss und zivilgesellschaftliche Initiativen in einem offenen Brief an die Stadtverwaltung, dass sie den Nazitreff stillschweigend duldet. Daraufhin fasste der Stadtrat im Mai 2020 den Beschluss: »Die Stadt anerkennt, dass der Gebäudekomplex in der Kamenzer Straße 10/12 als ehemaliges Zwangsarbeiter*innenlager der HASAG und größtes Frauenaußenlager des KZ Buchenwald von besonderer Bedeutung ist, und verurteilt die aktuelle Nutzung durch Neonazis.«
Was ist seit fast einem Jahr passiert? Der kreuzer fragte nach. Das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege beauftragte das Landesamt für Archäologie Sachsen und das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen mit der Überprüfung, ob das Areal unter Denkmalschutz gestellt werden kann. Die Archäologen teilten im Juli mit, dass die Überbauung nach 1945 eine vollständige Listung als Bodendenkmal nicht zulasse. Im November erklärten die Denkmalpfleger, dass »die Voraussetzung zur Eintragung als Kulturdenkmal nicht erfüllt« ist, weil durch die Veränderungen nach 1945 »die Nutzung des Gebäudes als Unterkunft (von) zur Zwangsarbeit rekrutierten weiblichen KZ-Häftlingen zwischen Juni 1944 und April 1945 (…) in baulicher und architektonischer Hinsicht nicht mehr darstellbar« sei. Auf kreuzer-Anfrage beschreibt das Landesamt seine Ablehnung etwas konkreter. Durch die Sprengung seien keine »unverfälschten Reste der historischen Gebäudesubstanz« mehr vorhanden. Allerdings zeigt ein Foto nach der von den Alliierten herbeigeführten Zerstörung, dass die Erdgeschosszone identisch in der Anordnung von heute zu sehen ist. Zudem irritiert die Begründung: Ein Gebäudekomplex muss demzufolge nach über 70 Jahren »unverfälschte« Spuren als Lager nachweisen? Bezogen auf das Foto nach Kriegsschluss könnten sich im Inneren durchaus noch Spuren finden. Wie genau prüften die Denkmalpfleger das Gelände? Selbst auf die zweite Nachfrage, ob sich Mitarbeiter das Gebäude von innen angesehen haben, gibt es keine konkrete Antwort. Ausweichend heißt es: »Die vorliegenden Erkenntnisse waren für die Beurteilung der Denkmaleigenschaft ausreichend.«
Aber wären die Verdrängungsspuren nach 1945 nicht ebenso schützenswert für die nachfolgenden Generationen? Das Landesamt besteht auf »gesetzliche Vorgaben, die in letzter Konsequenz um verwaltungsgerichtliche Verfahren bis hin zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht Bestand haben sollen«, wenn eine Entscheidung für den Denkmalschutz fällt. Für Gedenk- und Erinnerungskultur sieht sich die Denkmalpflege nicht zuständig.
Das Kulturamt wurde nach dem Stadtratsbeschluss beauftragt, eine von der Stadt initiierte Gedenktafel direkt vor der Kamenzer Straße 12 als Erinnerungsort zu veranlassen. Bisher wurde dazu keine konkrete Planung erarbeitet. So erscheint das Engagement der Stadt gegenüber rechten Räumen halbherzig und verkompliziert die Arbeit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit.
»Die heutige Nutzung des Gebäudes erschwert ein würdiges Gedenken in hohem Maße und macht dessen Einbindung in die historisch-politische Bildungsarbeit der Gedenkstätte sowie einen Besuch des Ortes mit Überlebenden und Angehörigen nahezu unmöglich«, sagt Josephine Ulbricht, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte. »Ihnen ist weder die derzeitige Nutzung noch der behördliche und politische Umgang damit zu vermitteln.«