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Stadtleben

Wenn zwei sich strei­ten

Michael Löffler ist Friedensrichter. Der kreuzer hat bei ihm im Stadthaus angeklopft und wollte wissen, was das genau ist

  Wenn zwei sich strei­ten | Michael Löffler ist Friedensrichter. Der kreuzer hat bei ihm im Stadthaus angeklopft und wollte wissen, was das genau ist

Wenn sich Menschen so richtig zoffen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie irgendwann bei Michael Löffler und seinen Kolleginnen landen. Löffler arbeitet seit sechs Jahren gegen eine kleine Aufwandsentschädigung als Friedensrichter. Friedensrichter kommen immer dann zum Einsatz, wenn sich mehrere Parteien wegen einer Angelegenheit streiten und es zu einer Anzeige kommt. Wenn dieser Streitfall nicht im öffentlichen Interesse liegt, werden die Streitenden vom Staatsanwalt dazu aufgefordert, ihren Konflikt zusammen mit einem Friedensrichter zu bearbeiten. Vor Gericht landen solche Anzeigen nicht.

»Der Begriff Friedensrichter ist verführerisch«, sagt Löffler. »Ich bin kein Richter und meine Kolleginnen und Kollegen sind das auch nicht.« Um das Amt auszuüben, darf man über keine juristische Ausbildung verfügen. Rechts- und Staatsanwälte, Notare, Richter sowie Polizei- und Justizbedienstete sind nach dem Sächsischen Schiedstellengesetz somit vom Amt ausgeschlossen. Die Friedensrichterinnen sollen bei einem Gespräch unbefangen sein und neutral vermitteln. »Wege aufzeigen, wie man aus einem Konflikt herauskommt«, nennt Löffler das. In den meisten Streitigkeiten gehe es um Grundstücksfragen, etwa um zu hohe Bäume, Grenzen oder Zäune. Oft würden sich aber auch Mieterinnen wegen Lärmbeschwerden an ihn wenden.

Grundsätzlich gibt es dann zwei mögliche Szenarien. Im besten Fall kann in Zusammenarbeit mit dem Friedensrichter eine Einigung zwischen den Parteien erzielt werden. Der Kompromiss wird von beiden Parteien mit Unterschrift im Protokoll bestätigt. Für Löffler klar die beste Option: »So verzichtet man auf die Rechtsprechung vor Gericht, das wäre nämlich viel teurer und das wollen die Leute natürlich nicht.« Das Protokoll gilt für dreißig Jahre. Bei einem Verstoß kann der Antragsteller damit zum Amtsgericht gehen und die Umsetzung des Kompromisses einleiten lassen. Gelingt es hingegen nicht, eine Einigung in der Schlichtung zu erzielen, muss der ungelöste Konflikt mit anwaltlicher Unterstützung über eingereichte Privatklage vor Gericht ausgetragen werden.

In den letzten Jahren habe sich seine Arbeit deutlich verändert, meint Löffler. Als er sein Amt vor sechs Jahren antrat, habe er oft in seinem Büro darauf gewartet, dass jemand anklopft. Damals hätten sich die Leute aber hauptsächlich nach der nächsten Toilette erkundigt. Besonders in den vergangenen anderthalb Jahren habe sich die Situation grundlegend verändert. Aktuell habe er 16 Schlichtungen auf dem Schreibtisch liegen – dreimal so viele wie noch vor ein paar Jahren. Ob die gestiegenen Anfragen mit der Corona-Pandemie zusammenhängen? Löffler überlegt. »Es ist schon so, dass gerade unheimlich viele Leute zu uns kommen. Über uns wurde aber auch sehr oft in der Zeitung und im Amtsblatt berichtet.«

Eine Legislaturperiode als Friedensrichter dauert fünf Jahre. Für Michael Löffler ist es seine letzte, da eine erneute Bewerbung ab erreichtem 70. Lebensjahr rechtlich nicht möglich ist. Von Erschöpfung kann jedenfalls keine Rede sein: Der 68-Jährige strahlt, wenn er von seiner Arbeit erzählt, und erwähnt mehrfach, dass das Friedensrichteramt für ihn »eine Ehre« sei. Nach seiner Arbeit als Betriebsratsvorsitzender habe er große Angst davor gehabt, als Rentner früh aufzustehen und keine Aufgabe mehr zu haben. Dann sei er auf die Ausschreibung in der Zeitung aufmerksam geworden und habe sich als Friedensrichter beworben: »Weil ich nicht vor dem Fernseher sitzen und irgendwelchen Mist schauen will, sondern etwas zu tun haben muss.«

Für ihn sei die Arbeit mit Menschen eine der schönsten Sachen auf der Welt, sagt Löffler. Und ergänzt lachend: »Ich höre aber auch viele Sachen, da kann ich nur mit dem Kopf schütteln und mir denken: Mensch, haben wir nicht andere Probleme?« Häufig handele es sich dann um Banalitäten. »Streit macht krank«, das ist ein Satz, den Löffler häufig verwendet. Gerade bei älteren Antragstellerinnen würde er die Zankereien bedauern. »Ich finde das immer schade. Man sollte seine letzten Lebensabschnitte nicht mit ständigen Konflikten verbringen.«

CONNOR ENDT

TITELFOTO: Henry W. Laurisch

Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe 12/21 des kreuzer.


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