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Kultur

»Hoffen, dass Putins Regime zerbricht«

Fotograf Ruslan Hrushchak über seinen Ukraine-Bildband, die Community in Leipzig und den Krieg

  »Hoffen, dass Putins Regime zerbricht« | Fotograf Ruslan Hrushchak über seinen Ukraine-Bildband, die Community in Leipzig und den Krieg

Ruslan Hrushchak ist Porträt- und Dokumentarfotograf. 1978 in der Ukraine geboren, wanderte er vor 22 Jahren nach Leipzig aus. Er studierte Journalismus, Informatik und Fotografie und arbeitet hauptberuflich als Software-Ingenieur im eigenen Unternehmen. Die lange vorbereitete Veröffentlichung seines Bildbands »The Road Beyond«, in denen er ukrainische Menschen und Landschaften porträtiert, hat angesichts des Kriegs traurige Aktualität bekommen.

kreuzer: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit der Buchveröffentlichung?

Ruslan Hrushchak: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung fällt zufällig mit der aktuellen Situation in der Ukraine zusammen. Die Entstehungsgeschichte dieses Buches ist viel länger. Vor zehn Jahren habe ich mit dem Fotografieren angefangen, ursprünglich waren das Bilder von meinen Reisen und Fotos von meiner Familie. Als sich dann vor sieben Jahren mein Vater verletzt hat, ist mir aufgefallen, wie wenige Bilder ich doch von meiner Familie besitze. Diese Situation hat mir außerdem klargemacht, wie schnell es gehen kann, dass etwas Schlimmes passiert. Danach kam in mir der Wunsch auf, das zu fotografieren, was am wichtigsten ist – eben meine Familie.

Wo sind die Bilder entstanden?

Eigentlich in der gesamten Ukraine, aber leider konnte ich keine Bilder in Donetsk oder Luhansk machen. Das war zu dieser Zeit schon nicht mehr möglich, da die Einreise dort kompliziert ist. Die meisten Bilder sind aus der Westukraine und den Karpaten beziehungsweise aus der Zentralukraine um Kiew.

Haben Sie im Laufe Ihrer Arbeit Veränderungen in der Ukraine bemerken können?

Seit der orangenen Revolution 2004/05 ist in der Ukraine alles freier geworden. Schritt für Schritt wurde das Land demokratischer, die Bürger konnten ohne Visum in den Westen fahren, hatten Zugang zu guter Bildung und die Presse war immer unabhängig. Nach der Abspaltung der Gebiete um Donetsk und Luhansk in 2014 hat man hingegen gemerkt, dass Krieg ist. Man hörte Geschichten von entfernten Verwandten, deren Söhne irgendwann nicht vom Schlachtfeld zurückkamen.

Wie unterscheidet sich die Ukraine Ihrer Kindheit von der Ukraine der letzten Jahre?

Nachdem die Sowjetunion zerfiel, war die Ukraine eigentlich ein verhältnismäßig reiches Land. Ich erinnere mich daran, dass vor allem viele Polen zum Einkaufen in die Ukraine gekommen sind, weil sie hier zum Beispiel Süßigkeiten kaufen konnten, die es in Polen damals nicht gab. Ich kann mich auch daran erinnern, dass mein Vater in seinem Urlaub als Erntehelfer gearbeitet hat, da die Ernte so üppig ausfiel, dass die Bauern noch zusätzliche Hilfen einstellen konnten. Einmal war mein Vater der Helfer mit der größten Ausbeute und konnte sich von diesem Zuverdienst ein neues Auto leisten, einen Lada.

Ab Mitte der 1990iger Jahre kam es dann jedoch zu einem Aufstieg der Oligarchen. Diese kauften die kriselnden Betriebe der ehemaligen Sowjetunion auf und plünderten so die Rohstoffe. Das war eine schwierige Zeit, es gab weniger Geld, viele Leute wurden arbeitslos. In den letzten zehn Jahren kam es aber wieder zum wirtschaftlichen Aufstieg und zur Öffnung. Ich sehe das sowohl an meinen eigenen Erfahrungen, wie auch an den Leben meiner Freunde, von denen viele Karriere machen konnten.

Wie sind Sie letztendlich nach Leipzig gekommen?

Ich habe damals in der Ukraine meine erste Frau kennengelernt, welche aus Leipzig kam. Sie hat Deutschland damals sehr vermisst und so sind wir schließlich nach Leipzig gezogen.

Gibt es hier eine ukrainische Community?

Ja die gibt es sehr wohl, sie ist auch sehr groß und aktiv, besonders in diesen Tagen. Das Zentrum der Community bildet die St. Laurentius Kirche in Reudnitz, in der auch orthodoxe Gottesdienste stattfinden. Außerdem gibt es dort eine ukrainische Samstagsschule.

Wie geht die Community mit der aktuellen Situation um?

Dort fassen alle mit an, wie in der Ukraine auch. Die gesamte persönliche Zeit wird genutzt, um Spenden und Hilfsgüter zu sortieren, zuzuweisen und zu verteilen. Es helfen Leute beim Übersetzen, beim Vermitteln von Wohnungen und Arbeit. Das meiste dieser Arbeit findet tatsächlich auf sozialen Medien statt, etwa in Facebook-Gruppen.

Buch-Cover

Haben Sie aktuell noch Freunde oder Verwandte in der Ukraine? Wie sieht deren Alltag aus?

Der normale Alltag in der Ukraine wurde vollkommen aufgehoben. Lwiw ist zu einer Art Logistik-Hub der Ukraine geworden, in dem die gesamten Hilfsgüter und Spenden aus dem Westen ankommen und in die östliche Ukraine verteilt werden. Jeder trägt dort in irgendeiner Form bei, alle helfen bei den anstehenden Aufgaben. Mein Vater wollte sich als Freiwilliger für die Armee melden, wurde aber auf Grund seines Alters abgelehnt. Mein Bruder fährt mit seinem privaten Auto Hilfsgüter aus Polen in die Ukraine und hilft Flüchtenden bei der Ausreise. Allerdings muss ich auch sagen, dass viele meiner ukrainischen Freunde mittlerweile müde sind. Ein Monat im Kriegszustand zehrt an den Reserven.

Was raten Sie den Leipzigern, die in den kommenden Wochen bei er Geflüchtetenaufnahme helfen wollen?

Für die nächste Zeit ist es am Wichtigsten, dass die Leute Durchhaltevermögen beweisen. Was wir bis jetzt erlebt haben war eine Art erster Flüchtlingswelle. Die Leute, die bisher hier angekommen sind, haben vorausschauend gehandelt. Sie sind meist sehr gut ausgebildet und haben bereits Kontakte hier. Die nächste Welle von Flüchtenden wird jedoch ganz anders sein. Das werden Menschen sein, die alles verloren haben, die nicht gut vorbereitet sind, keine Kontakte in Deutschland haben und wahrscheinlich auch kein Deutsch sprechen. Deshalb müssen wir besonders aufpassen, dass uns nicht die Puste ausgeht, denn die schwierigste Zeit steht uns noch bevor.

Woher kommt diese vielzitierte Spaltung zwischen den Russisch sprechenden Gebieten im Osten und dem Ukrainisch sprechenden Westen?

Zuallererst denke ich, dass es besonders gefährlich ist, wenn Geschichte von Politikern geschrieben wird. Genau das macht Putin. Er hat diesen Essay veröffentlicht, in dem er der Ukraine den Status einer Nation abspricht. Das ist ein klares Nazi-Narrativ und diese Art von Propaganda wird von russischer Seite seit Jahren praktiziert. Auch die Unterscheidung in westlich-orientierte, Ukrainisch sprechende Teile der Bevölkerung auf der einen Seite und russlandtreue, Russisch sprechende Teile auf der anderen Seite ist ein Produkt dieser Propaganda. Besonders in den Regierungsjahren Janukowitsch' wurde der Fokus vor allem auf die Unterschiede zwischen Ost und West gelegt. Gerade dieser Krieg hat das Gemeinschaftsgefühl wieder in den Vordergrund gerückt. Die Menschen im Osten gehen auf die Straßen und demonstrieren, sie wehren sich gegen den Einmarsch Russlands. Die Ukraine war außerdem immer schon ein Vielvölkerstaat, das hat diese Nation immer ausgemacht.

Was sind Ihre Hoffnungen für diesen Konflikt?

Ich hoffe, dass so schnell wie möglich eine Waffenruhe ausgehandelt wird, denn aktuell sterben jeden Tag Menschen in der Ukraine, allen voran Zivilisten. Mittelfristig wünsche ich mir, dass die Ukraine als eigenständiger Staat bestehen bleibt und nicht zu einem Marionettenstaat Russlands verkommt. Außerdem wünsche ich mir auch, dass es den Russen in Zukunft besser geht. Ich hoffe, dass das Putin-Regime an diesem Konflikt zerbricht, damit die Ukraine und die Ukrainer überleben und sich entfalten können und auch die russische Bevölkerung freier leben kann.

Interview von Leopold Hauswald

Fotos: Ruslan Hrushchak


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