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Die Botschaft der Nacht sind viele

  Die Botschaft der Nacht sind viele |

Nachtbürgermeister Nils Fischer und der Nachtrat hatten einige Monate Zeit, sich einzugrooven – ein Zwischenfazit

Die Personalie des Fachbeauftragten für Nachtkultur, besser bekannt als der Nachtbürgermeister, hat Feiernde und Veranstaltende lange Zeit umgetrieben. Einige äußerten Unmut über einzelne Bewerber und Bewerberinnen, andere waren schlicht überrascht, dass die Stadt offenbar endlich begreift, welche Rolle das Nachtleben für Leipzig spielt. Auch Nils Fischer, der das Amt im Oktober vergangenen Jahres antrat, erntete im Vorfeld Kritik: Zu wenig Nähe zur lokalen Szene wurde ihm vorgeworfen. Der gebürtige Braunschweiger studierte in Halle und war dort anschließend in der kommunalen Kulturarbeit tätig. Erfahrungen mit städtischen Strukturen dürften ihm in seiner jetzigen Position nützlich sein, denn diese ist in der Stadtverwaltung angesiedelt. 

 

Der Nachtbürgermeister als Teil der Botschaft der Nacht

»Botschaft der Nacht« heißt das umfassende Konzept, das die Zusammenarbeit zwischen Kulturschaffenden, Politik und Ordnungsbehörden in Leipzig langfristig verbessern soll. Im Zuge dessen gründete sich im vergangenen Herbst der sogenannte Nachtrat, ein breites Bündnis von Akteuren und Akteurinnen des lokalen Nachtlebens diverser Sparten und Genres. An der Schnittstelle zwischen Stadt und Szene ist eine Doppelspitze geplant: Neben Fischer, der die Verwaltungsseite einnimmt, soll voraussichtlich eine Person aus dem Nachtrat Sprachrohr für Veranstaltende und Kulturschaffende sein. Wann eine hauptamtliche Stelle dafür entstehen wird, ist derzeit noch nicht absehbar – eine Frage der Finanzierung. Zum kreuzer-Interview kommt stellvertretend Jana Milbrodt, die beim Kupfersaal für das Booking zuständig und ehrenamtlich beim Livekommbinat aktiv ist, dem Verband der Leipziger Clubs und Live-Musikspielstätten. »Ich denke, der Nachtrat wäre schon wesentlich weiter, wenn die professionelle Struktur dahinter existieren würde«, sagt Nachtbürgermeister Fischer.
 

Loslegen im Krisenmodus

Auf die Frage, wo er am liebsten feiern gehe, möchte sich der Neu-Leipziger nicht festlegen. Er nehme gerade alles mit, was geht. Verständlich, nach dem langen Lockdown in Sachsen, der kurz nach Fischers Amtsantritt begann. In Ruhe einarbeiten konnte er sich deswegen aber nicht – stattdessen startete er im Krisenmodus und musste viel Zeit darauf verwenden, über aktuelle Schutzverordnungen aufzuklären. »Wir müssen krisenresilienter werden«, sagt der 30-Jährige. Auch wenn jetzt alles öffnen darf, plädiert er für eine PCR-Test-Strategie für den kommenden Herbst: »Es kann nicht sein, dass wir das dritte Jahr in Folge sagen: ›Na gut, dann machen wir die Kultur als Erstes dicht.‹«
 

Sich behaupten in der wachsenden Stadt

Darüber hinaus sieht sich die hiesige Clublandschaft schon länger mit den Herausforderungen einer wachsenden Stadt konfrontiert, in der Spielstätten häufig den Kürzeren ziehen (kreuzer 04/2022, nachzulesen auf www.kreuzer-leipzig.de). Ein erster Schritt, das Problem anzugehen, ist das sogenannte Kulturkataster, das eine Übersicht über bestehende und ehemalige Clubs gibt. Es soll in Zukunft dabei helfen, Kulturorte, zu denen Clubs definitiv zählen, in der Stadtplanung frühzeitig im Blick zu haben und zu schützen. Bei Clubtouren des Livekommbinats werden unter anderem Personen aus der Stadtverwaltung durch die Spielorte geführt. »Dort geht es darum, auch auf die jeweiligen Problematiken hinzuweisen«, erklärt Milbrodt.

Der aktuelle Fall Distillery zeige laut Fischer, dass man gute Lösungen finden kann, wenn man die beteiligten Parteien an einen Tisch holt. Es konnte ein Kompromiss mit Bauträger und Verwaltung gefunden werden: Die Tille darf bis Ende Januar 2023 in ihren jetzigen Räumen bleiben. Wenn ein fester Vertreter des Kulturamts für die Interessen der Clubbetreibenden eintritt, kann das also durchaus Wirkung zeigen.

In die Stadtverwaltung hinein versuche Fischer für die Interessen der Kulturschaffenden zu sensibilisieren. Dazu möchte er für die Szene niedrigschwellig ansprechbar sein, um beispielsweise bei bürokratischen Hürden der Stadtverwaltung helfen zu können. Projektförderungen können Clubs bereits beantragen, aber auch spezielle Clubförderung zu ermöglichen oder einen Schallschutzfonds einzurichten, sei sinnvoll, um die Akzeptanz bei Anwohnern und Anwohnerinnen zu erhöhen.


Legale und illegalisierte Open-Airs

Auch an der Freiflächen-Thematik arbeitet der Nachtkultur-Beauftragte weiter. Nachdem im letzten Jahr zunächst alle potenziellen Orte für angemeldete Open-Airs von der Stadtverwaltung abgelehnt wurden, ist man jetzt wieder im Gespräch. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass alle Kollektive die Möglichkeit genehmigter Veranstaltungen nutzen werden. »In einer lebendigen Stadt wird es immer vorkommen, dass unangemeldete Open-Airs und Ladenprojekte laufen. Davon lebt Subkultur.« Fischer spricht hier explizit von illegalisierten Veranstaltungen und Räumen. In Halle ist die kurzfristige Anmeldung von Partys an bestimmten Orten im Freien schon länger möglich. Das sei schön gedacht – die guten Raves fänden laut Fischer jedoch woanders statt.

 

Titelfoto: Swen Reichhold.


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