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Kultur

Über das Mädchen nachdenken

Teresa Präauers zarte wie zornige Betrachtungen des Mädchenseins

  Über das Mädchen nachdenken | Teresa Präauers zarte wie zornige Betrachtungen des Mädchenseins

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Martina Lisa, Josef Braun und Michelle Schreiber helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl und teilen Gedanken, die in die Lektüre hineingenommen werden können. Diesmal liest Redakteurin Martina Lisa »Mädchen« von Teresa Präauer – ein poetisches Innehalten in der Welt der eigenen Erinnerungen, ein Nachdenken über das »Mädchen-Sein«.

Eine Frau liegt auf dem Teppich eines Kinderzimmers, gefesselt und bewacht von einem Spielzeugpiraten, und betrachtet dabei einen neunjährigen Jungen bei seinem Spiel. Sie schließt die Augen und erinnert sich daran, wie das Leben als Mädchen war, ihre Gedanken schwirren im Raum, bleiben kurz an einem Gegenstand oder Ereignis hängen, dann heben sie wieder ab, verfangen sich, lösen sich, fliegen weiter. Eine Welt wie im Traum, in einem Tagtraum, in den persönliche Erinnerungen, Lektüreerfahrungen, Überlegungen und Imagination hineinfließen, und aus dem die sinnierende Erzählerin immer wieder von dem Jungen herausgerissen und in seine Welt im Hier und Jetzt geholt wird.

»Wer über das Mädchen nachdenkt, denkt über Anfänge nach«, schreibt Präauer und fragt nach Cover Mädchen - Teresa Präauer - WallsteinverlagMöglichkeiten und Einschränkungen, Rollen, Zuschreibungen, Prägungen und Erwartungen an Mädchen von früher und heute, aber auch nach Ausbruch und Widerstand dagegen. Der Satz dient hier als jener Taktgeber – so nennt Präauer an einer Stelle Zitate, von denen viele in ihren Text hineinfließen, und den Rhythmus der einzelnen Gedankenströmen angeben. Es ist ein konzentrierter literarischer Erinnerungsprozess, ein wenig wie bei Annie Ernaux, auf die Präauer direkt Bezug nimmt, und genauso wie sie feststellt, dass das frühere Ich, aus der zeitlichen Distanz betrachtet, nicht identisch mit einer selbst sein kann, sondern eine literarische Figur bleibt. Das macht auch den Reiz dieses schmalen essayistischen Buches aus. Am Ende schläft der Junge ein – und dabei bleibt noch einiges, was man sich hätte erzählen können, ungesagt. Eine anregende poetische Reise, die es zu unternehmen lohnt. 

Teresa Präauer: Mädchen. Göttingen: Wallstein 2022, 78 Seiten, 16 €


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