Klicks, Cash und Kolumnen – die Arbeitsbedingungen im Journalismus und im Literaturbetrieb sind prekär, wodurch bestimmte Perspektiven ausgeklammert werden. Abschied und Zukunftsausblick von unserer Autorin Michelle Schreiber.
Dies ist die letzte Kolumne. Zuerst wäge ich ab, ob ich die Kolumne zugunsten eines anderen Projekts aufgeben möchte. Dann erhalte ich den Anruf: Budget-Kürzung bei kreuzer online, die lit.Offert wird gestrichen. Klickzahlen und Google Analytics sagen aus: Literatur rentiert sich nicht. Der kreuzer hat mir bisher immer viel Vertrauen geschenkt und Türen geöffnet, wofür ich sehr dankbar bin. Die Literaturbeilage :logbuch und die Rezensionen im Heft bleiben weiterhin, auch online gibt es sie weiterhin. Sich gegen die Kolumne zu entscheiden, ist ein emanzipatorischer Akt. Der Wegfall der Kolumne macht mich hingegen wütend.
Denn die Kürzung ist symptomatisch für die Branche, in der ich eines Tages hoffe, Fuß zu fassen. Unbezahlte Praktika, Hungerlöhne für Texte. Selbstausbeutung, um Erfahrung und Arbeitsproben zu sammeln, Selbstausbeutung, um für eigene Ideale zu kämpfen. Der Umgang mit kostenpflichtiger journalistischer Berichterstattung wandelt sich, soziale Netzwerke fressen unsere kostbare Aufmerksamkeit und bieten stattdessen kostenlose Info-Slides. Einseitige und polemische Berichterstattung begünstigen hohe Klickzahlen – aber ist das noch guter Journalismus?
Am Abend nach dem Anruf höre ich im Deutschlandfunk den Beitrag »Traumberuf mit Armutsrisiko / Journalismus zwischen Ideal und Selbstausbeutung«, krieche unter die Bettdecke und fühle mich wie gelähmt. Erst kürzlich unterhalte ich mich mit einer Journalistin, das Gespräch ist ermutigend und desillusionierend zugleich. Sie ist begeistert von meinem anstehenden Projekt und erzählt mir, dass sie nun nach zahlreichen Praktika und zwei Volontariaten die zermürbende und prekäre Selbstständigkeit ihres Traumjobs aufgeben wird: »Wenn ich falle, falle ich tief – Arbeiterkind.«
Diese Kolumne ist Abschied und Neubeginn. Dank einer Förderung kann ich bald ein neues journalistisches Projekt umsetzen. In diesem werde ich mich mit den Perspektiven beschäftigen, die im Literaturbetrieb und im Journalismus so gut wie ausgeklammert werden: durch prekäre Arbeitsbedingungen, unbezahlte Praktika und ein elitäres System, das über Beziehungen funktioniert. Ich möchte Menschen einen Raum geben, die von Rassismus, Klassismus und/oder Sexismus betroffen sind, um über Probleme und Lösungsansätze zu sprechen. Von der Perspektive eines weißen, cis-männlichen Akademikers mit finanziellem Polster habe ich genug. Durch das Projekt will ich Erfahrungen transparent machen und jungen Menschen eine empowernde Perspektive bieten, deren Stimmen es (bei anständiger Bezahlung) verdienen, gehört zu werden.
Meine bisher geplante Kolumne werfe ich nach dem Anruf über den Haufen, am nächsten Morgen stehe ich auf, um mich an den Schreibtisch zu setzen. Begeisterung und Tatendrang packen mich. Weiterarbeiten, weiterschreiben, mich vernetzen und neugierig sein – daran halte ich fest.
Liebe Leserinnen, zahlt, um Journalismus nicht von Klickzahlen abhängig zu machen!