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Kultur

»Die Ausgehkultur hat sich verändert«

40 Jahre Moritzbastei: Programmleiter Torsten Reitler im Interview

  »Die Ausgehkultur hat sich verändert« | 40 Jahre Moritzbastei: Programmleiter Torsten Reitler im Interview

Die Moritzbastei feiert vom 23. bis 26. Juni ihr 40. Jubiläum. Im kreuzer-Interview blickt langjähriges Teammitglied und Programmleiter Torsten Reitler zurück auf historische Nächte, Veränderungen in der Clublandschaft und erzählt, was man von den Festlichkeiten erwarten kann.

Vor vierzig Jahren wurde die Moritzbastei aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Ursprünglich im 16. Jahrhundert erbaut, legten Studierende in den siebziger Jahren ihre Grundmauern frei. Ab 1982 war die Moritzbastei Studentenklub der damaligen Karl-Marx-Universität Leipzig. Seitdem wird hier gelesen, getanzt und gefeiert bei traditionsreichen Reihen wie »Der durstige Pegasus« oder »All You Can Dance«. Vom 23. bis 26. Juni finden anlässlich des Jubiläums Festlichkeiten statt. Torsten Reitler, der seit 1998 Teil des Teams ist, empfängt uns auf der Terrasse, um über eskalative Partys in den Neunzigern, Veränderungen der Clublandschaft und studentisches Engagement zu sprechen.

Kreuzer: Wann haben Sie das erste Mal von der Moritzbastei gehört?

Reitler: Vermutlich war das mit meinem ersten Besuch verbunden. Im Herbst 1989 habe ich mit meiner damaligen Band das Angebot bekommen, im Vorprogramm aufzutreten. Das war ja ein Studentenklub, man bekam nur, wenn man studierte, überhaupt die Möglichkeit, ein Ticket zu kaufen. Am Wochenende kam man sonst eigentlich nicht rein, wenn man nicht irgendwelche Beziehungen hatte. Als diese Band uns anfragte, ob wir den Support machen wollen, stand ich dann mit 17 dort auf der Bühne, dabei hätte ich sonst gar nicht reingedurft.

Seitdem hat das Haus einige historische Nächte erlebt. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Zum Beispiel die Nacht als die D-Mark kam, wo ab 24 Uhr angeblich ganz anders gefeiert wurde. Da war ich aber noch nicht hier im Haus. Die erste Veranstaltung, bei der ich involviert war, war die Abrissparty im Uniriesen 1998. Die Universität musste dort ausziehen und wir konnten darin eine Nacht feiern. Zusammen mit anderen Veranstaltern der Stadt haben wir 14 Stockwerke des Gebäudes bespielt. Da sind tausende Menschen gekommen, die standen unten an bis zur Goethestraße. Wir hatten viel zu wenig Security. Gegen 21 Uhr kamen zwei Frauen vom Ordnungsamt und sagten, wir müssten die Party abbrechen. Ich meinte, dass ich das gerne ausrichten könne, wir aber keine Kontrolle mehr über die Veranstaltung haben. Um vier Uhr bin ich durch das Treppenhaus gelaufen und dachte, ich komme in den Knast. Um fünf haben Leute die Wasserzapfstelle der Feuerwehr geöffnet, im Foyer stand dann das Wasser knöchelhoch. Das war meine Feuertaufe.

Gibt es Veranstaltungen, die man heute nicht mehr bringen würde?

Das ist sicherlich dem Zeitgeist unterworfen. Wir hatten beispielsweise viele Jahre immer samstags die Partyreihe »All You Can Dance«, die kannte fast jeder in Leipzig. Das lief bis wir wegen Corona die Tür zu machen mussten, hat sich mit der Zeit aber immer merkwürdiger angefühlt. Früher fanden das alle toll, wenn man vom Oberkeller über die Veranstaltungstonne in die Ratstonne kam und da lief Mainstream-Pop, auf dem anderen Floor Alternative und härtere Musik, auf dem dritten vielleicht Hiphop. Die Ausgehkultur hat sich aber dahingehend verändert, dass viele nicht mehr gut fanden, wenn plötzlich Leute im gleichen Club waren, zu denen man keinen Bezug hatte. Man suchte sich eher Orte, wo man in der eigenen Crowd war und das nicht gestört wurde. Wir haben lange diskutiert, ob »All You Can Dance«, was ein Flagschiff der Moritzbastei war, weiterlaufen soll und uns entschieden, die Veranstaltung ab Herbst nur noch einmal im Monat anzubieten und zu verjüngen. Die Musikrichtungen sollen sich dann auch etwas näher sein. Als kleine ironische Reminiszenz feiern wir auch am 25. Juni 40 Jahre »All You Can Dance«, obwohl es das erst seit 15 Jahren gibt.

Wofür steht die Moritzbastei heute in einer wachsenden Kulturlandschaft in Leipzig, die immer ausdifferenzierter und vielfältiger wird?

Die Anfänge lagen in der DDR-Studentenkultur. Das war relativ frei von wirtschaftlichen Zwängen, aber auch ideologisch vorgeprägt. Nach der Wende musste die Moritzbastei aus der Universität ausgegliedert werden und auf eigenen Beinen stehen. Bis etwa 2000 waren wir Alleinherrscher in Leipzig. Der Laden war immer voll. Das hat sich über die Zeit geändert, die Stadtviertel sind Kieze mit einer ganz eigenen Kultur geworden. Gleichzeitig ist die Innenstadt heute ein Touristen-Hotspot. Wir müssen Angebote schaffen, für die Leute extra herkommen. In den letzten 15 Jahren haben wir uns auf Alternative/Indie spezialisiert. Daneben auch Pop, Rock, Jazz. Durch das Wave-Gotik-Treffen, für das wir ein Epizentrum sind, gibt’s eine starke Verbindung zu dieser Dark-Wave- und Gothic-Szene. Wir haben uns personell auch neu aufgestellt und verjüngt, wollen aber das, was die Moritzbastei ausmacht, nicht gänzlich ablegen. Was uns auszeichnet im Vergleich zu vielen anderen Spielstätten, ist, dass wir unser Programm weitgehend selbst kuratieren. Die Herausforderung wird sein, auch jüngere Leute nach Corona wieder an die Veranstaltungen heranzuführen.

Wie sieht es jetzt aus mit wirtschaftlichen Zwängen?

1993 wurde die universitäre Stiftung Moritzbastei gegründet, als es darum ging, die Moritzbastei aus der Universität zu lösen und trotzdem als Studentenclub zu erhalten. Damit es eben keine Touri-Kneipe wird. Die Stiftung ist Pächterin der Moritzbastei, das Gebäude gehört der Stadt. Bis 2026 haben wir eine Erbpacht, danach müssen wir neu verhandeln. Das war ein Erfolgsmodell und Vorbild, um so ein riesiges Objekt kulturell nutzen zu können. Wir haben dadurch die nötige Sicherheit. Durch Veränderungen, die alle betreffen, wie die Pandemiefolgen, Inflation und steigende Energiekosten, müssen wir uns neu anpassen. Auch die Themen Personalmangel und Nachhaltigkeit sind Herausforderungen, die sich für uns herauskristallisieren. Wir hoffen, dass sich das nicht im Programm niederschlägt und wir nur noch Sachen machen können, die wirtschaftlich erfolgreich sind. Wir wollen uns kleine Veranstaltungen, etwa Lesungen oder die HMT Stage Night gerne weiterhin leisten können.

Seit 1993 ist die Moritzbastei nicht mehr »offizieller Studentenklub«. Die Universität ist trotzdem nah dran.

Der Stiftungsauftrag lautet, das studentische Leben der Stadt Leipzig und das Gebäude zu erhalten. Wenn wir über Wandel in 40 Jahren Moritzbastei reden, sehen wir auch, dass sich die Kultur des Studierens sehr verändert hat. Durch die Bologna-Reform haben sich die Freiräume während des Studiums doch sehr verengt. Unter der Woche waren irgendwann nicht mehr so viele Veranstaltungen für Studierende möglich, weil die Leute morgens ins Seminar mussten. Wir versuchen trotzdem auf die Hochschulen zuzugehen und arbeiten bei Lesungen, Konzerten oder Ausstellungen mit Studierenden der Hochschulen zusammen. Wenn man samstags in der Moritzbastei feiern geht, sind da aber nicht mehr nur Studierende, das Studieren ist heute weniger elitär.

Was ja keine schlechte Entwicklung ist.

Allerdings ist studentisches Engagement leider sehr zurückgegangen. Angefangen damit, dass kaum noch Leute für die Studierendenvertretungen gefunden werden bis dahin, dass es wenige kulturelle Initiativen gibt, die aus der Studierendenschaft kommen. In den achtziger Jahren wurde eigentlich fast alles über ehrenamtliches Engagement in der Moritzbastei gemacht. Das hat sich stark professionalisiert.

Was steht bei den Festtagen anlässlich 40 Jahren Moritzbastei an?

Wir wollen die Vielfalt dessen zeigen, was die Moritzbastei ausmacht. Seit 1992 haben wir ein Jazznachwuchsfestival, da spielen junge Jazzprojekte aus ganz Deutschland. Wir wollen das bei einem Konzert am 23. Juni aus der Moritzbastei rausholen und auf die Open-air-Bühne bringen. Es spielen zwei Leipziger Gruppen, Görda und Oluma. Am 24. haben wir ehemalige Mitstreiterinnen, Freunde des Hauses und Künstlerinnen eingeladen, um intern mit der mittlerweile riesigen Moritzbastei-Familie zu feiern. Am 25. wird Miss Allie auftreten, abends ist »All You Can Dance«. Am Sonntag spielen dann Some Sprouts.

INTERVIEW: LUCIA BAUMANN

Festtage 40 Jahre Moritzbastei: 23.–26. Juni, Moritzbastei

Titelbild: Moritzbastei


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