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Kultur

»Es gibt keinen Baukasten für Transsein«

Autor Linus Giese im Interview

  »Es gibt keinen Baukasten für Transsein« | Autor Linus Giese im Interview

Zum Pride Day Germany kam Bestseller-Autor Linus Giese am Donnerstag für eine Lesung nach Leipzig. In seinem Buch »Ich bin Linus« berichtet er von seinem Leben als Transmann. Mit dem kreuzer hat er vorab über Rainbow-Washing, queere Buchläden und vor allem über das trans sein gesprochen.

Der Pride Day Germany wird gefeiert, um auf die Vielfalt und die Lebensrealitäten von LGBTQIA*-Personen in der Arbeitswelt aufmerksam zu machen. Anlässlich dieses Tages las der Autor Linus Giese gestern aus seinem Buch »Ich bin Linus« im Philippus Leipzig.

Linus Giese ist Blogger, Journalist und Buchautor. Und er ist ein Transmann. Das heißt, ihm wurde bei seiner Geburt das weibliche Geschlecht zugeschrieben, er selbst identifiziert sich jedoch als Mann. Während seiner Lesung in Leipzig hat er seinem Publikum Einblicke in den erschwerten Alltag von Transmenschen gegeben, er hat über Diskriminierung gesprochen und von seinem Leben abseits der Norm berichtet. Sein Buch »Ich bin Linus« ist Spiegel-Bestseller und 2020 im Rowohlt Verlag erschienen. kreuzer-Autorin Theresa Zängler hat Giese noch vor der Lesung getroffen und ein Interview geführt.

Aufgrund des Regenwetters musste die Veranstaltung zwar nach drinnen verlegt werden, an dem warmherzigen, offenen Gemüt von Giese änderte dies jedoch nichts. Wir improvisierten kurzerhand und fanden drinnen einen ruhigen Ort, während es draußen weiter vor sich hinplätscherte. Nach unserem kurzen Kennenlernen, bei dem wir unter anderem über seinen passenden Regenschirm zum Nagellack witzelten und uns über spritzige Cola-Getränke austauschten, starteten wir direkt ins Gespräch. Dabei ging es neben Rainbow-Washing, der Berlin-Blase und queeren Buchläden vor allem um ein Thema: trans sein.

Heute ist Pride-Day, nächste Woche beginnt die CSD-Week in Leipzig und am Rathaus soll die Regenbogenflagge gehisst werden. Vergangenen Monat erst war der Pride-Month. Oft werden dabei Vorwürfe des Rainbow-Washings gegenüber Institutionen und Unternehmen laut. Was denken Sie darüber?

Es ist auf jeden Fall gut, wenn Unternehmen Flagge zeigen oder darauf aufmerksam machen. Ich als Buchhändler habe beispielsweise nicht wirklich das Gefühl, dass die Thematik bei Verlagen schon richtig angekommen ist. Deswegen ist es schon ein schönes Signal für Diversität. Aber es ist eben auch nur ein Signal. Was viel wichtiger ist, ist dass sich die Arbeitsbedingungen ändern müssen, dass queere Menschen an ihren Arbeitsplätzen akzeptiert werden und sich trauen, sich zu outen oder den selbstgewählten Namen benutzen können. Ansonsten ist Flagge zeigen tatsächlich reine Außenwirkung.

Wie ist das in Ihrer Berufswelt als Buchhändler?

Ich komme natürlich aus einer Blase. Ich lebe in Berlin, ich arbeite in einem queer-feministischen Buchladen. Unser Team ist unglaublich divers und queer. Ich denke, ich habe einfach sehr viel Glück. Aber das ist trotzdem nicht immer einfach. Ich hatte vor fünf Jahren mein Coming-Out und habe dann in Berlin in einem Buchladen angefangen zu arbeiten. Meine Transition hatte ich dann aber auch quasi vor den Kund:innen, weil ich mich ja auch äußerlich verändert habe, während ich dort arbeitete. Mir ist es dann oft passiert, dass Kund:innen sowas sagten wie: »Wir bezahlen das bei der Frau an der Kasse«. Und das ist dann natürlich nicht böse gemeint, aber trotzdem ist das auf Dauer verletzend. Aber ich habe zum Beispiel nie Ablehnung von meinen Kolleg:innen erlebt oder mich in meinem Team nicht akzeptiert gefühlt.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie erst 31 Jahre alt werden mussten, um Ihre Geschlechtsidentität so zu erkennen und zu leben. Warum hat das so lange gedauert und welche Hindernisse gab es auf diesem langen Weg?

Ich bin in den Neunzigern aufgewachsen und es hat lange gedauert, bis ich zum ersten Mal eine Transperson im Fernsehen gesehen habe. Und ich kannte Begriffe wie trans oder nicht-binär einfach nicht. Aber ich wusste schon ganz lange, dass ich irgendwie nicht glücklich bin oder irgendwas ist. Mir fehlten einfach die Worte und die Zugänge zu der Thematik, und auch Vorbilder fehlten mir. Ich bin zwar nicht sehr konservativ aufgewachsen, aber eben trotzdem mit dem Gedanken, bloß nicht von der Norm abzuweichen, bloß nicht aus der Reihe zu tanzen. Dann mit 31 Jahren erst, als ich frisch getrennt aus einer langjährigen Beziehung kam, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich wirklich ganz allein selbst entscheiden kann, was ich machen möchte. Und dann hatte ich mein Coming-Out. Das hat aber irgendwie diesen langen Weg vorher gebraucht.

Was erschwert in Deutschland besonders das Leben für Transpersonen?

Ich glaube, das Transsexuellengesetz spielt auf jeden Fall eine Rolle. Es ist zum Beispiel unglaublich schwer den Namen und die Geschlechtsidentität zu ändern. Ich glaube auch, dass am Ausbau therapeutischer und ärztlicher Versorgung und damit auch an der Sensibilisierung für die Lebensrealtitäten von Transpersonen gearbeitet werden muss. Ich hatte beispielsweise eine ganz furchtbare erste Therapeutin, die mir sagte: »Sie wissen schon, wenn Sie anfangen, Testosteron zu nehmen, dann werden Sie aussehen wie ein behaarter Affe?«. Den Satz habe ich heute immer noch im Kopf. Sowas vergisst man nicht.
Aber auch in den Schulen und im Aufklärungsunterricht sollten Queerness, Geschlechtsidentität und Sexualitätspraktiken thematisiert werden. Kinder brauchen ein sicheres Umfeld, gerade in Schulen, damit sie den Mut haben können, sich auszuprobieren oder sagen zu können, queer oder trans zu sein.

Neulich wurde eine Folge der Sendung mit der Maus veröffentlicht, in der Transgeschlechtlichkeit erklärt wird. Auf Social-Media gab es Unmengen an Gegenwind und Kritik, dies wäre Indoktrination oder laut Julian Reichelt gar »ideologisch-sexualisierte Früherziehung mit Zwangsgebühren«. Was entgegnen Sie in solchen Debatten?

Ich glaube, ich würde entgegnen, dass sie keine Angst davor haben müssen, dass ihre Kinder mitbekommen, dass es auch andere Lebensrealitäten gibt. Ich würde das jetzt mal wohlwollend als Angst und nicht als Abneigung oder Ablehnung beschreiben. Vielfalt, andere Lebensperspektiven, andere Lebensweisen sollten doch eigentlich Bereicherung sein. Und Eltern sollten sich ja eigentlich wünschen, dass ihre Kinder glücklich werden. Mich selbst macht diese Ablehnung sehr traurig, und für mich ist es momentan extrem schwer, solche Debatten zu verfolgen.

Was würden Sie anderen Transpersonen raten, besonders vielleicht jüngeren oder noch nicht geouteten Menschen? 

Es ist nie zu spät. Ich habe lange gedacht, ich bin mit 31 Jahren zu alt, aber es gibt kein zu alt. Das ist die Hauptsache, glaube ich. Den Schritt überhaupt zu gehen, egal ob du 16 oder 31 oder 61 bist. Für mich war es das Wichtigste, zu erkennen, dass ich nicht glücklich bin, um dann zu schauen, was ich ändern muss, um glücklich zu sein. Gerade jungen Transmenschen möchte ich ans Herz legen, sich auszuprobieren und herauszufinden, was sie wollen. Es gibt keinen Baukasten für Transsein, wir bilden keine homogene Masse. Wir dürfen experimentieren, ausprobieren, uns umentscheiden, Fehler machen, zwei Schritte zurück und drei vor gehen. Ihr dürft das alles, geht einfach euren Weg, der euch glücklich macht.

Sie haben ein Buch über Ihre Geschlechtsidentität geschrieben und werden dadurch auf das Thema angesprochen. Inwiefern fühlen Sie sich auf das Thema der Transgeschlechtlichkeit reduziert?

Ich freue mich zum Beispiel sehr, wenn ich einfach wegen meiner Expertise zu Kinderbüchern eingeladen werde und es gar nicht um meine eigene Geschichte geht. Und das ist mir auch sehr wichtig, dass ich in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur als Transmann bekannt bin, sondern beispielsweise auch für mein Wissen über Kinder- und Jugendliteratur. Aber wenn ich mit meinem Buch eingeladen werde, ist es ja klar, dass es darum geht, und ich nutze gerne jede Gelegenheit, um darüber zu sprechen.


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