Musikalisch-theatralischer Abgesang auf Chemnitzer Öde, Leipziger Hipster und Detox-Donis mit »Superbusen« im Sommertheater der Cammerspiele
Und dann fliegen die Flaschen. »Haut ab«, ruft es von links und rechts. Links, da stehen Johanna Jäkel, Falk Mittenentzwei und Ralf Donis als Chemnitzer Neonazis verschanzt hinter DJ-Pult und Keyboard, rechts die Gegendemonstrantinnen Sandra Naleppa, Stephanie Lehmann, Lysann Schläfke und Letizia Rivera als Gisela, Fred, Jana und Miriam, die hier nach wenigen Minuten Sommertheater ihren aktivistischen Höhepunkt erleben. Ansonsten ist nicht viel los in Chemnitz, wo »Superbusen«, das aktuelle Stück des Sommertheaters der Cammerspiele, verortet ist. Es handelt von einer Gruppe junger Frauen, die sich durch ihr Studium langweilt, gegen Nazis demonstriert und schließlich eine Band gründet, die dem gehypten Roman von Titanic-Redakteurin Paula Irmschler seinen Titel gibt. Im Grunde eine inhaltlich überschaubare Szenensammlung zwischen Zukunftspanik und No Future mit dem Leid- und Leitmotiv Chemnitz, die in dieser Spielzeit am Theater Chemnitz seine Uraufführung erlebte.
Das Team um Regisseurin Anna-Karoline Schiela versucht in einer neuen Fassung von Anna Hoffmeister – die auch als freie Autorin für kreuzer schreibt –, diese Anreihung von Anekdoten unprätentiös und punkig über die Bühne zu bringen. Auf der Bühne von René Fickenscher, die aus verschiedenen hohen schwarzen Podesten besteht, stehen überall Rotkäppchen-Flaschen herum, aus denen sich die vier Spielerinnen die nächsten zwei Stunden genüsslich bedienen werden. Großes kommt dabei meist aus den kleinen Ideen, während die großen emotionalen Momente die Spielerinnen bisweilen überfordern. Immerhin: Das Leipziger Hipster-Bashing hat Format.
Immer wieder ist es Donis, der mit Willen zum Klamauk humoristische Höhepunkte beisteuert, sei es als Volkspolizist-Parodie, Rap-Dancer oder in seiner neuen Parade-Rolle, dem Detox-Donis, der sich minutenlang über die Notwendigkeit von Detox auslässt, während er eine Koksline vorbereitet. Zusammen mit Mittenentzwei und Naleppa gehört er zum musikalischen Kraftzentrum. Kraftklub wird gecovert, Nirvana in eine Saxofon-Version überführt oder Wir sind Helden kurz angetäuscht. Manchmal liefert DJ Donis auch nur Pop aus der Dose. Ein bunter Mix, zumal in der zweiten Hälfte auch die vier Bühnenprotagonistinnen mit mehrstimmigem Gesang voll einsteigen und ziemliche Wow-Versionen von »Chandelier« oder »Fix you« präsentieren. Große Momente.
Es dauert allerdings bis nach der Pause, bis die gesamte Crew zu Höchstform aufläuft. Die langen Momente Chemnitz-Litanei sind bisweilen etwas zäh, vielleicht auch, weil die Fassung sich zu sehr auf die Romanfolge verlässt, statt eigene Akzente zu setzen und tragisches Potential konsequent glättet. Die vier Spielerinnen glänzen da nur selten, abgesehen von Lysann Schläfke, die immer mit kleinen feinen Ideen überrascht und biografisch mit eigener Chemnitz-Erfahrung aufwarten kann. Schließlich dringen sie aber doch zum drastisch-feministischen Humor Irmschlers vor, mit Textzeilen wie »Jetzt zieht es wieder im Unterleib, der Uterus macht sich zum Abschuss bereit«. Hier gehen sie erfreulicherweise weiter als die Chemnitzer Inszenierung.
Im Ganzen ist dieses Cammerspiele-Sommertheater sicherlich nicht die stärkste Ausgabe der Reihe, aber die zweite Hälfte (nach starkem Start) macht doch einiges wett. Die Cammerspiele bleiben ein Unterhaltungsgarant für einen lauen Sommerabend vor dem denkmalgeschützten TV-Club.
Nächste Termine für »Superbusen«: 15. und 16.7., 20.-23.7, sowie 27.-30.7., jeweils 19:30 Uhr, TV-Club
Titelbild: Mim Schneider, Cammerspiele