Das Performance-Kollektiv Pussy Riot kommt nach Leipzig. Vorab hat der kreuzer mit Mitglied Diana Burkot über den Angriffskrieg auf die Ukraine, politische Performances und das Privileg, seine Meinung zu sagen, gesprochen.
Pussy Riot sind weniger eine feste Bandkonstellation als vielmehr ein offenes feministisches Kunstkollektiv. Was sie verbindet, ist die Kritik an der russischen Regierung und insbesondere Putin, die Ablehnung reaktionärer Politik und der Wille, gegen das viele Übel in der Welt anzukämpfen. Im Zweifelsfall schreiend. Bekannt wurden sie 2012 mit dem Punk-Gebet mit dem sie die Christ-Erlöser-Kathedrale im Zentrum Moskaus stürmten. Am kommenden Freitag tritt ein Teil der Gruppe im Rahmen der Riot-Days-Tour im Täubchenthal auf. Der kreuzer sprach im Vorfeld mit Pussy-Riot-Mitglied Diana Burkot.
Wie läuft die aktuelle Tour bisher?
Wir sind gerade in Bratislava und heute Abend fahren wir nach Prag. In der Schweiz hat die Polizei einen Teil von uns wegen eines Graffitis festgenommen. Sie waren vier Stunden im Gefängnis. Vorgestern bin ich von der Bühne ins Publikum gesprungen und hab mein Bein verletzt. Nach der Show musste ich ins Krankenhaus. Ich brauche Krücken, aber es geht schon.
Gründungsmitglied Maria Aljochina sagte in einem Interview mal, jeder kann Teil von Pussy Riot sein.
Das ist richtig. Am Anfang war es ein Kunstkollektiv, das Punkmusik und politischen Aktivismus genutzt hat. Jetzt findet eine Transformation statt. Wir machen alles Mögliche: Es kann ein Video, ein Song oder eine Performance sein. Es ist offen, jede kann eine bunte Balaclava (Sturmhaube, Anm. d. Red.) aufsetzen und eigene Aktionen umsetzen.
Wie kamen Sie dazu?
Ich bin seit elf Jahren dabei, fast von Anfang an. Anfangs spielte ich Schlagzeug und schrie zu den Songs. Andere Frauen fragten mich, ob ich die politischen Aktionen unterstützen würde. Das war, was ich wollte. Wir stürmten die Kirche auf dem Roten Platz und versteckten uns, als die Polizei kam. Vor zwei Jahren haben wir an Putins Geburtstag für LGBTQ+-Rechte demonstriert. Ich bin Teil von Pussy Riot, weil ich daran glaube, dass eine Regierung und ein Staat für dessen Menschen existieren sollte, in ihrem Interesse handeln und sie unterstützen muss. Ich will eine aktive politische Bürgerin meines Landes sein.
Wie reagierten Sie auf den Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar?
Ich war schockiert, überrascht wäre ein zu nettes Wort. Viele dachten, die Krim-Annexion 2014 sei keine große Sache gewesen, aber Pussy Riot hat dagegen protestiert. Für mich und viele andere ist es nach wie vor eine große Frustration, dass der Krieg weitergeht.
Die Riot-Days-Tour ist auch eine Anti-Kriegstour. Welche Rolle spielt die Musik?
Pussy Riot macht nicht nur Musik, sondern benutzt verschiedene Ausdrucksweisen. Das kann in Clubs sein, auf der Straße, in Museen oder auf sonst einer Plattform für Aktivismus. Auch das Genre ist egal, ob K-Pop oder Hiphop oder Punk. Wichtig ist das, was wir sagen möchten: Unterstützt die Ukraine und Menschen in der Ukraine. Ein Teil unserer Einnahmen auf der Tour geht an ukrainische Krankenhäuser. Wir thematisieren in unserer Show auch die allgemeine Situation in Russland. Es ist eine politische Performance. Wir fordern konsequente Embargos gegenüber Russland. Geld aus Europa oder den USA sponsort diesen Krieg, es geht nur um Geld. Außerdem wollen wir mit unseren Auftritten Menschen ermutigen, ihre eigenen Aktionen umzusetzen, für Menschenrechte und Freiheit zu kämpfen. Während dieser Tour merke ich, dass jedes Land seine eigenen Probleme hat, die man thematisieren muss. Wenn wir nicht wilde Menschen in dunklen Zeiten sein wollen, müssen wir diesen Krieg beenden. Konservative Politik hat aber überall mehr Macht als noch vor zehn Jahren, das sieht man zum Beispiel beim Thema Schwangerschaftsabbruch in den USA oder Polen.
Was motiviert Sie, weiterhin aktiv zu sein, während alles schlimmer statt besser wird?
Wenn man an das glaubt, was man macht, gibt einem das viel Kraft. Ich glaube an den Kampf für Menschenrechte, für mich ist das eine große Sache. Wenn wir performen, bedeutet das etwas für Menschen. Der warme Support gibt uns Kraft.
Haben Sie Hoffnung für Russland?
Ja, sicher. Wir haben den Traum, dass Putin vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt wird. Das sollte passieren, denn er ist ein Terrorist. Es wäre ein gutes Exempel für die Zukunft, um zu zeigen: So geht es nicht.
Haben Sie es manchmal satt, über Putin und Politik zu sprechen?
Für manche von uns ist es ermüdend. Für mich ist es in Ordnung. Es ist eine gute Möglichkeit und ein Privileg, seine Meinung frei zu äußern. Wenn es nur zwei oder drei Menschen hören und es ihre Denkweise ändert, bin ich eine Gewinnerin.
Was sind die Pläne für die Zeit nach der Tour?
Wir haben vorerst entschieden, dass wir außerhalb Russlands produktiver sein können. Wichtige Sachen können wir dort nicht machen. Zurückgehen würde bedeuten, direkt ins Gefängnis zu kommen. So viele Aktivistinnen und Aktivisten sitzen zurzeit ein. Dort müsste man eher uns helfen. Ich werde zukünftig wahrscheinlich einfach aus meinem Koffer leben. Wir haben außerdem viele Pläne für neue Songs, weitere Touren, Maria Aljochina will wieder Bücher schreiben. Wir planen eine EP über russische Propaganda. Wir könnten ein Jahr arbeiten und wären wohl noch nicht fertig.
INTERVIEW: LUCIA BAUMANN
FOTO: DENIS SINYAKOV
Pussy Riot: 9.9., 20 Uhr, Täubchenthal