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Politik

»Hier droht akut die Kindeswohlgefährdung«

Ehemaligem Vertragsarbeiter und Familie droht Abschiebung nach drei Jahrzehnten in Deutschland

  »Hier droht akut die Kindeswohlgefährdung« | Ehemaligem Vertragsarbeiter und Familie droht Abschiebung nach drei Jahrzehnten in Deutschland

Der Fall der Familie Pham/Nguyen macht seit mehreren Wochen bundesweit Schlagzeilen. Der ehemalige Vertragsarbeiter und Kriegsveteran Pham Phi Son könnte nach 35 Jahren Aufenthalt in Deutschland abgeschoben werden, und mit ihm auch seine Frau Nguyen Thi Quynh Hoa und ihr gemeinsames Kind Emilia.

Pham blieb 2016 wegen einer medizinischen Behandlung länger als sechs Monate in Vietnam. Das verstößt gegen eine Klausel des Aufenthaltsrechtes: Menschen mit einer Niederlassungserlaubnis, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, dürfen nicht länger als sechs Monate am Stück außerhalb von Deutschland verbringen. Das unbefristete Bleiberecht wurde Pham 2019 entzogen, als der Verstoß der Chemnitzer Ausländerbehörde auffiel, da wollte Pham für sein Kind Emilia einen Reisepass beantragen. Die Behörde entzog der Familie Pham/Nguyen die Niederlassungserlaubnis. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagt Pham, dass die Stadt Chemnitz seinen Vermieter und Arbeitgeber informiert habe, sodass er gleich auch die Wohnung und seinen Job verlor.

Sachsens Ausländerbeauftragter ist Geert Mackenroth (CDU), er ist auch der Vorsitzende der Härtefallkommission. Die Härtefallkommission kann den Sächsischen Staatsminister des Innern bitten, einem »ausreisepflichtigen«, also abzuschiebenden, Menschen Aufenthaltsrecht zu geben. Als Pham Phi Son 2019 die Niederlassungserlaubnis entzogen wurde, beschäftigte sich die Härtefallkommission mit dem Fall und fand, dass eine medizinische Versorgung kein Härtefall darstellte. Mackenroth als der Vorsitzende der Härtefallkommission kann im Alleingang entscheiden, ob eine erneute Auseinandersetzung mit Phams Fall stattfindet, und er lehnt es ab, »weil nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten kein wesentlich neuer Sachverhalt im Sinne der Vorschriften festgestellt werden konnte« heißt es von Mackenroths Büro. »Die Bundesregierung plant aktuell ein Gesetz, das vorsieht, dass Menschen mit einer Duldung von über fünf Jahren ein Aufenthaltsrecht erhalten. Herr Pham überschreitet diesen Zeitraum um Längen und trotzdem wird ihm nicht ermöglicht, ein Aufenthalt zu bekommen«, sagt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat zu der aktuellen Rechtslage.

Pham wohnt seit 1987 in Deutschland. Sein Kind Emilia kam 2017 in Chemnitz auf die Welt und lebte noch nie in einem anderen Land als Deutschland. Das Kind kenne Vietnam nur aus Fotos. »Hier droht akut die Kindeswohlgefährdung«, sagt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Das Kind abzuschieben, widerspreche der UN-Kinderrechtskonvention und sei auch moralisch nicht nachvollziehbar: »Wir finden es sinnvoll, dass Menschen, die hier geboren werden und aufwachsen, auch die Staatsbürgerschaft erhalten«, sagt Schmidtke.

Der Sächsische Flüchtlingsrat ordnet den Fall der Familie Pham/Nguyen als »medialen, moralischen und politischen Skandal« ein. Mit einer Petition fordert er, dass der Familie die Niederlassungserlaubnis erneut ausgestellt wird. Eine Klage gegen die Entscheidung der Chemnitzer Ausländerbehörde beim Verwaltungsgericht sei abgelehnt worden.

Das Verwaltungsgericht Chemnitz habe zudem die Prognose erstellt, dass die Familie in der Zukunft womöglich Sozial- und öffentliche Leistungen beanspruchen würde, weil Pham Phi Son kurz vor seiner Ausreise ALG II bezog – was ihm auch zustand. Menschen mit einer Niederlassungserlaubnis haben einen rechtlich gesicherten Anspruch auf die Grundsicherungsleistung. Die Familie habe aktuell verschiedene Jobangebote, die sie annehmen könnte, sobald sie die Arbeitsgenehmigung bekommt. »Wenn man die Prognose die Person findet keine Arbeit mehr stellt, und dann das Arbeiten gleichzeitig verbietet – welche Optionen bestehen da noch überhaupt?«, so Schmidtke. »Was das mit Menschen, die gerade nach Sachsen gekommen sind, beziehungsweise überlegen, nach Sachsen zu ziehen, macht, dass solch ein migrationsfeindlicher, restriktiver Kurs durch die Behörden gefahren wird? Am Ende führt das dazu, dass Menschen abgeschreckt werden, in Sachsen zu wohnen, zu bleiben oder hierher zu ziehen.« Die Chemnitzer Ausländerbehörde war bis zum Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Illustration: Morteza Rakhtala


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2 Kommentar(e)

M. Weissig 09.09.2022 | um 16:48 Uhr

Der Artikel lehnt sich ganz an die Meinungen und Stellungsnahmen der Flüchtlingsorganisationen und -helfer. Herr Pham war nie ein Flüchtling, er war Vertragsarbeiter und erhielt bereits vor Jahren die Niederlassungserlaubnis. Das Gesetz hierzu ist eindeutig: wenn man länger als 6 Monate Deutschland verlässt, erlischt diese Niederlassungserlaubnis. Herr Pham hat vor dem Verlassen Deutschlands Hartz4 bezogen, war also bereits seit längerem arbeitslos und, das Wichtigste, er konnte nicht nachweisen, dass sein langer Aufenthalt in Vietnam von 9 Monaten durch eine Heilbehandlung bzw. Krankheit verursacht wurde. Er ließ sich zwar behandeln, das hat aber nicht so lange gedauert. Vielmehr hat er in dieser Zeit seine Frau kennengelernt.....von seiner Seite aus nachvollziehbar, aber das begründet keinen zwingenden Aufenthalt in Vietnam. Frau Pham kam erst vor ca. 6 Jahren nach Deutschland, das Kind wurde hier geboren. Man kann nun der Meinung sein, dass Kinder, die hier geboren werden, gleich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollen, dem ist aber nicht so. Das Kind teilt die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern: vietnamesisch. Auch dass das Kind nie in einem anderen Land gelebt hat, begründet kein Bleiberecht, wäre doch dann im Umkehrschluss für Kinder kein Verlassen des Heimatlandes möglich, z.B. durch Flucht oder Migration mit den Eltern. Und....die Prognose, dass die Familie dauerhaft auf öffentliche Gelder angewiesen sein wird, ist so falsch nicht: Herr Pham ist bereits 65 Jahre alt, seine Frau ist zwar wesentlich jünger, spricht aber nur sehr schlecht deutsch und kann schon aus diesem Grund nur Hilfsarbeiten ausführen. Herr Pham wird in ca. 2 Jahren eine Rente erhalten, diese wird aber für den Unterhalt der Familie nicht ausreichen. Wäre schön, wenn Sie die Fakten, die nicht unbedingt für ein Bleiben sprechen, auch mitgeteilt hätten, damit man sich unvoreingenommen ein Bild machen kann und nicht nur die Meinungen der Flüchtlingshelfer verbreiten!

T. Wolf 06.10.2022 | um 06:46 Uhr

Der vorherige Kommentator geht nicht auf die Hauptaspekte ein. Darum kopiere ich sie von der petition die über 80.000 Menschen für das Bleiberecht der Familie PHAM/NGUYEN unterzeichneten hierher: "Familienvater Pham Phi Son kam 1987 als DDR-Vertragsarbeiter nach Deutschland und lebt inzwischen über 35 Jahre in Sachsen. Drei Jahrzehnte arbeitet er, zahlt Steuern und wohnt seit einigen Jahren mit seiner Partnerin in Chemnitz. 2017 kommt die gemeinsame Tochter Emilia zur Welt und Pham Phi Son besitzt eine unbefristete Niederlassungserlaubnis." Das muss man sich vor Augen halten...Deutsche Behörden kriegen es 35 Jahre nicht gebacken und jetzt dreht man dem Vater einen Strick weil der nicht PÜNKTLICH zurück war! -Die Behörde darf es um Jahrzehnte verzögern, dem Betroffenen wird dagegen wegen ein paar Tagen das Weiterleben in Deutschland verweigert. Seine gezahlten Steuern bleiben natürlich auch in Deutschland! Was für ein Armutszeugnis für Chemnitz, ja für ganz Deutschland!