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Kultur

Die heiße Liste aus Frankfurt

Die zehn größten Bücher der kleinen Verlage.

  Die heiße Liste aus Frankfurt | Die zehn größten Bücher der kleinen Verlage.

Zehn Bücher der Indie-Szene sind im Rennen um den Hauptpreis, der bei der Frankfurter Buchmesse verliehen wird.

Die Frankfurter Messe naht, die Longlist des Buchpreises präsentiert sich in einem feinen und kostenlosen Büchlein (erhältlich an allen bekannten Bücherorten), in dem man sich mitsamt Leseproben über die Nominierten informieren kann. Und obwohl die Liste in diesem Jahr – mich zumindest – durch ihre Vielfalt positiv überraschte und vielversprechend ist, müssen sich die dort gelisteten Titel jetzt keine Gedanken mehr um Aufmerksamkeit machen. Parallel dazu wurde am 6. September eine andere Liste veröffentlicht: Die Hotlist der unabhängigen Verlage, auch hier wird die Hauptpreisträgerin während der Messe bekanntgegeben. Diese Hotlist und vor allem all die beteiligten Verlage können durchaus noch mehr Lampenlicht vertragen.

Seit 2009 gibt es schon die Hotlist der unabhängigen Verlage. Aus einer Eigeninitiative entstanden, hat sich ein Verlagsverein gegründet, dem es vor allem um Sichtbarkeit geht. Sichtbarkeit für die kleinen bis sehr (sehr) kleinen Verlage, die die deutsche Bücherlandschaft um ganz besondere, oft bibliophile Titel bereichern, die sich zum Beispiel auf Übersetzungen oder Neuauflagen von vergessenen oder aus dem Fokus geratenen Autorinnen spezialisieren, auf besondere Debüts, auf Lyrik und vieles mehr. Verlage, die mit viel Engagement die Literaturlandschaft vielfältiger machen, die es wagen, besondere Bücher auch ohne Profitversprechen herauszubringen.

Ein Kuratorium wählt im Sommer aus den Einsendungen – in diesem Jahr waren es 161 – 30 Bücher aus, über die die Leserschaft in einer öffentlichen Wahl über die Webseite der Initiative abstimmen kann und so drei der zehn Hotlist-Titel bestimmt. Die weiteren sieben Titel wählt dann die Jury dazu, sodass am Ende die zehn Spitzenreiterinnen übrig bleiben. Das Besondere an dieser Hotlist: es sind viele Übersetzungen dabei.

In Artem Tschechs »Nullpunkt« (Arco Verlag) – übersetzt aus dem Ukrainischen von Alexander Kratochvil/Maria Weissenböck – erzählt ein junger ukrainischer Autor (Jahrgang 1985) vom Kriegsalltag. Tschech ist bereits 2015 an der Front gewesen, im Donbass, und reflektiert in seinem Buch die unmittelbaren Eindrücke als Soldat, der er nun erneut geworden ist.

Im AvivA Verlag ist eine Werkausgabe von Aphra Benn mit dem Titel »Werke« erschienen, herausgegeben und übersetzt von Tobias Schwartz, die Englands erste Star-Autorin aus dem 17. Jahrhundert würdigt: Aphra Benn, die Virginia Woolf die erste unabhängige Schriftstellerin Englands nannte. Die umfassende Ausgabe versammelt nun ihre Romane, Erzählung sowie Gedichte und Dramen.

Eine weitere Wiederentdeckung und Neuübersetzung ist Viktor Schklowskis »Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder die dritte Heloise«, die auch den kreuzer-Rezensenten Maurus Jacobs (kreuzer, August 2022) beeindruckte. Das Buch, von der renommierten Russischübersetzerin Olga Radetzakaja für den Guggolz Verlag neu ins Deutsche übertragen, versetzt uns ins Berlin des Jahres 1923, wo Schklowski in einer wunderbaren Verflechtung von Dokumentation und Fiktion Liebesbriefe an die angebetete Elsa schreibt. Ein raffiniertes Buch, das Schklowskis größter Erfolg wurde.

Und dann ist »The Blacker the Berry« von Wallace Thurmann da, ein Harlem Renaissance-Klassiker von 1929, der bis dahin nicht übersetzt wurde und in dem eine Emazipationsgeschichte einer jungen schwarzen Frau aus New York der 1920er Jahre erzählt wird. Übersetzt hat den Roman Heddi Feilhauer für den ebersbach & simon Verlag.

Auch der nächste Roman auf der Hotlist spielt in derselben Zeit, nun aber wieder in Europa, im Paris von 1930. Henriette Valets »Madame 60a« begleitet eine namenlose Protagonistin ins Hôtel-Dieu für mittellose Schwangere, wo ihr zwischen den Betten 60 und 61 aus Platzgründen das provisorisches Bett Nr. 60a zugewiesen wird. Norma Cassau hat das Buch für den Verlag Das kulturelle Gedächtnis übersetzt.

Zwei weitere Titel aus der Liste führen nach Asien. In »Gute Nacht, Tokio« erzählt Atsuhiro Yoshida in einem Episodenroman von den schrägen und weniger schrägen Vögeln, die die Nacht zusammenbringt. Ins Deutsche gebracht hat den Roman die bekannte Übersetzerin Katja Busson und zwar für den Cass Verlag, der seit Jahren japanische Literatur von den Klassikern über Krimis bis zu aktuellen Titel auf den deutschen Büchermarkt bringt.

Die Schweizerin Alice Grünfelder, unter anderem Sinologin, verbrachte sechs Monate in Taiwan. In »Wolken über Taiwan. Notizen aus einem bedrohten Land« berichtet sie in collagenhafter Verflechtung von Notizen, Reportagen oder essayistischen Miniaturen über ein Land, das es offiziell gar nicht gibt. Erschienen im Rotpunktverlag.

Seit einigen Jahren gibt es junge Autorinnen aus der Schweiz im Programm des einst in Leipzig beheimateten Voland&Quist Verlags. So auch Noemi Somalvico mit ihrem wunderbar verrückten Debütroman »Ist hier das Jenseits, fragt Schwein«. Souverän stelle sie die ewige Frage nach dem Warum und sei dabei auch noch wahnsinnig komisch, stellte die kreuzer-Rezensentin Katharina Bendixen (logbuch, Frühjahr 2022) fest, was sie »erstaunlich viel für den ersten Roman« findet.

Ein Oral-Reportagen-Buch und ein Gedichtband runden diese Hotlistauswahl ab. In »Richard Wagner und die Klezmerband« ist der Musiker und Russendisko-Gründer Yuriy Gurzhy auf der Suche nach dem neuen jüdischen Sound in Deutschland. Mit einer breiten Auswahl an Interview-Partnerinnen, darunter Waldimir Kaminer, Sascha Marianna Salzmann oder Max Czollek setzt er der Aussage Richard Wagners, dass in der deutschen Kultur jüdische Musiker nicht zu suchen hätten, eine lebendige deutsch-jüdische Szene entgegen. Erschienen beim Ariella Verlag.

Und nicht zuletzt hat sich der Autor, Übersetzer und einst Verantwortlicher für Hörspiel und Feature beim WDR, Wolfgang Schiffer, der u.a. anderem für den Elif Verlag wunderbar isländische Lyrik ins Deutsche übertragen hat, mit seinem Lyrikband in eben diesem Verlag einen Platz auf der Hotlist gesichert. In »Dass die Erde einen Buckel werfe« erinnert sich ein Mann an seine Kindheit, die prägende Landschaft und ein niederrheinisches Dorf.

Aber beurteilen Sie selbst und lesen Sie unabhängig!

>> Hier geht es zur Hotlist 2022.


Titelfoto: Collage der TopTen. Copyright: Verein der Hotlist. 

 


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