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Stadtleben

Fahrrad statt Frischgezapftes

Durch Corona haben sich die Art der Nebenjobs gewandelt.

  Fahrrad statt Frischgezapftes | Durch Corona haben sich die Art der Nebenjobs gewandelt.

Quo vadis, Nebenjob? – Corona hat den Arbeitsmarkt für Studierende durcheinandergewirbelt. In der Gastronomie war plötzlich nichts mehr zu holen, nun sucht diese händeringend Servicekräfte. Für Studierende ist der Stellenmarkt offen wie nie.

Leere Straßen, verwaiste Geschäfte, geschlossene Kneipen. Die Maßnahmen gegen die Pandemie mit ihren Lockdowns haben ihre Spuren hinterlassen, bedeuteten sie doch für viele Menschen, dass sie ihrer gewohnten Beschäftigung und ihren Freizeitaktivitäten nicht mehr nachgehen konnten. Studierende waren gleich mehrfach betroffen. Da war der Umstieg auf Online-Lehre mit dem damit einhergehenden Zusammenbruch des Soziallebens. Außerdem fielen viele Jobs, etwa in der Gastronomie, die traditionell durch studentische Servicekräfte besetzt werden, von einem Tag auf den anderen weg – mehrfach.  

Und von den Hilfs- und Stützmöglichkeiten wie Kurzarbeitergeld profitierten sie nur selten bis gar nicht. Gleichzeitig aber entstanden neue Betätigungsfelder: Die Lieferdienste boomten und die Pandemie ließ in Form von Teststationen und Impfzentren buchstäblich über Nacht neue Arbeitgeber aus dem Boden wachsen. Teststäbchen statt Frischgezapftes oder Fahrrad statt Tablett, hieß es da für viele, zumal Studierende als flexible Arbeitskräfte am unteren Ende der betrieblichen Nahrungskette die Ersten waren, denen der Weg zur Tür gewiesen wurde. Viele mussten sich umorientieren. Und damit beginnen andere Probleme. 

Mittlerweile boomt die Gastronomie wieder und die erzwungenen Schließungen sind Geschichte. Oder doch nicht? Zumindest die Leipziger Gastronomen haben längst noch nicht wieder alle voll geöffnet. Auch wenn die große Welle der Insolvenzen wohl bis jetzt ausgeblieben ist, so stöhnen doch alle über Arbeitskräftemangel – auch bei den Aushilfen. »Wir suchen händeringend Leute«, sagt Antje Schieferdecker, Personalreferentin bei der Moritzbastei (MB), immerhin einer der bekanntesten und traditionsreichsten Studierendenclubs in Leipzig. Tolle Innenstadtlage, alte Tonnengewölbe, ein breites Veranstaltungsspektrum und eine Arbeitsatmosphäre, bei der die meisten länger bleiben, sollte eigentlich attraktiv genug sein für einen studentischen Nebenjob. Doch selbst hier schafft man es nur schwer, jeden Zapfhahn zu bestücken. Dabei war es einstmals der erste Anlaufpunkt und ein Job in der MB so ähnlich wie ein Sechser im Lotto. Bei anderen Gastronomen sieht das nicht anders aus, auch wenn die meisten ihre Betriebe mit Ach und Krach zum Laufen kriegen. 

Die Zahlen der Arbeitsagentur zeigen, dass es zwischen Februar 2020 und Februar 2021 einen bundesweiten Rückgang von rund 32 Prozent bei den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen in den Lebensmittel- und Gastgewerbeberufen gab. Da auch viele Studierende auf dieser Basis eingestellt sind, mit der monatlich maximal 450 Euro verdient werden können, sind sie Teil dieser Statistik. Allerdings werden sie nirgends gesondert erfasst. Insgesamt waren es 371.000 Beschäftigungsverhältnisse weniger. Dabei handelt es sich um einen Durchschnittswert, das gute Sommergeschäft mit nur geringen Einschränkungen ist also schon inkludiert, so dass gerade in Herbst und Winter, aber auch im Frühjahr 2020 die Rückgänge deutlich über diesem Drittel gelegen haben dürften. Die Konsequenz zu erahnen bedeutet keine große Wissenschaft: Die Studierenden haben sich andere Jobs gesucht – und bleiben diesen auch weiterhin treu, wenn es sich nicht um reine Coronatätigkeiten gehandelt hat. Wer einmal erlebt hat, dass man sich nicht unbedingt die Nächte um die Ohren schlagen muss, um etwas nebenbei zu verdienen, wird vielleicht gar nicht damit anfangen. 

An der einst bekannten Knauserigkeit in der Branche liegt es nicht. Die Bereitschaft zu zahlen ist bei den Arbeitgebern da. »Man findet heute als Student problemlos Jobs um die 13 Euro, was über dem Mindestlohn liegt«, sagt Christian Ullmann von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Der Mindestlohn wird ab Oktober auf 12 Euro erhöht. Nur sei es nicht so leicht für die Gastronomie, die Menschen zurückzuholen. Zumal die Kurierdienste und Lieferservice-Anbieter während der Shutdowns als Verdienstquelle übrigblieben und trotz schlechtem Leumund viele Jobsuchende anzieht. Ullmann meint: »Wer sowieso Fahrrad fährt, macht das.« 

Aber nicht nur die fehlenden Studierenden setzen der Gastrobranche zu. Auch der allgemeine Fachkräftemangel und der Abfluss von qualifiziertem Personal in andere Branchen bringt die Kneipiers, Wirte und Hotelchefs in Schwierigkeiten. Bereits vor Corona war die Fluktuation relativ hoch und es verließen mehr Menschen die Branche als neue hinzukamen. Wo aber die anleitenden Fachleute fehlen, da können auch Aushilfen nicht unbedingt die Kohlen aus dem Feuer holen. »Es braucht den Regisseur, um die Schauspieler zu führen«, fasst Stefan Niklarz von der Leipziger Filiale des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) die Situation zusammen. Er sieht die Unternehmen vor einer Vielzahl an Herausforderungen. So brach nach dem Rekordjahr 2019 nicht nur vieles weg, die ständigen Regeländerungen und Lockdowns sorgten auch für geringe Planbarkeit und entsprechend unsichere Perspektiven bei allen Beteiligten. Auch aktuell ist die Lage nicht rosig, da die gestiegenen Einkaufs- und Energiepreise ja nicht beim Gastronomen hängen bleiben werden, sondern der sie an den Endkunden weitergibt. Da wird in Zukunft also ebenfalls enger kalkuliert, bis wann sich die Küche lohnt und wie lange man überhaupt öffnet. »Wir hatten bisher in Deutschland verhältnismäßig günstige Preise, das ist vorbei.« Inwieweit die Kunden da mitgehen, ist eine zweite offene Rechnung – und davon hängt wiederum ab, wie sich die Gastronomie als – einst – sehr wichtiges Arbeitgeberumfeld für studentische Nebenjobs entwickelt. Mit steigenden Preisen für die Mahlzeiten wird für die Kunden irgendwann auch der Lieferservice zu teuer. 

Doch tatsächlich muss die Gastro vor allem attraktiver werden, sowohl für Festangestellte als auch für Studierende. So gibt es zwar aktuell, laut DEHOGA, wieder einen Höchststand an besetzten Ausbildungsplätzen, so dass hier bei klassischer Nachwuchsarbeit angesetzt wird und auch duale Modelle mit Studium zum Einsatz kommen. Aber den jobsuchenden Studierenden stehen im aktuellen Panorama eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten offen, die mit attraktiveren Arbeitszeiten und flexibleren Modellen punkten können – bei gleicher oder sogar besserer Bezahlung. 

Viele fragen sich da, warum sie arbeiten sollen, während andere feiern. Beim Studentenwerk Leipzig, das auch eine Jobvermittlung anbietet, stehen schon seit längerem Jobs in Büros oder Kanzleien ganz hoch im Kurs, ebenso bei Dienstleistern im IT-Bereich (siehe Interview mit Susann Pianski-Lehmann). Hinzu kommt, dass die Bachelor- und Masterstudiengänge deutlich kompakter gebaut sind und die freie Zeit, die es ja für die Nebenjobs braucht, knapp bemessen ist. Sicherlich findet man aber immer noch einen Teil des akademischen Nachwuchses an Bar und Theke. »Man lernt hier mit einem Schlag eine ganze Menge neuer Leute kennen und hat außerdem Zugang zu spannenden Veranstaltungen«, preist etwa Schieferdecker die MB an. Und das ist tatsächlich etwas, was Lieferdienste und Home-Office-Jobs nur begrenzt bieten können. 


Titelfoto: Symbolbild. Copyright: David Muschenisch. 


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