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Provokation provoziert Provokation

Das Globale-Festival zeigt einen pro-russischen Ukraine-Film, es kommt zum Protest

  Provokation provoziert Provokation | Das Globale-Festival zeigt einen pro-russischen Ukraine-Film, es kommt zum Protest

Das Globale-Festival zeigt einen pro-russischen Ukraine-Film, es kommt zum Protest sowie zum Twitter- und Blätterrauschen

Ein Donnerstagabend im Hochsommer. Auf dem Richard-Wagner-Hain sitzen einige Dutzend Menschen (nach Veranstalterangaben rund 80) auf der Wiese vor einer kleinen Leinwand. Daneben eine Leiter, an der ein Schild mit der Aufschrift »Keine Waffenlieferungen an die Ukraine« lehnt. Davor halten mehrere Menschen einen aufgebrachten Mann zurück. Vor der Leinwand steht Mike Nagler, das Mikrofon in der Hand, und versucht zu beschwichtigen. Vor ihm steht Anna, diskutiert und beschwert sich lautstark, als Nagler sie als Nationalistin bezeichnet. Vom Rand schreit eine junge Frau zu ihm rüber: »Warum hast du sie nicht eingeladen, du Arsch?« Leon, der eben noch aufgebrachte Mann, hat sich beruhigt, tritt auf Nagler zu und wirft ihm wiederholt vor, eine dritte Frau – Elza – geschlagen zu haben. Jemand hat die Polizei angerufen, die schließlich mit sechs Mannschaftswagen anrückt, die Personalien feststellt und mehrere Anzeigen aufnimmt. Trommlerinnen, die sich zuvor am Rand der Veranstaltung versammelt hatten, werden weggetragen. Der Abend endet im Regen.

Wie konnte es so weit kommen, dass der linke Protest auf einem alternativen Filmfestival, das seit 18 Jahren globalisierungskritische Filme zeigt, mit einem Polizeieinsatz und gegenseitigen Schuldzuweisungen endet? Stein des Anstoßes war der Film des Abends, »Ukraine on Fire«. Bereits 2017 lief der bei der Globale – im kleineren Rahmen in der Libelle, einem offenen Laden in der Kolonnadenstraße. Die Vorführung im Sommer 2022 fand jedoch unter vollkommen anderen Vorzeichen statt: »Wir wollten unbedingt was zur Ukraine machen, das haben wir die letzten Jahre schon gemacht«, erklärt Festivalorganisator Mike Nagler. »Es gab halt mehrere Filme, die wir da auch im Visier hatten, zum Beispiel ›Sommerkrieg‹ über paramilitärische Sommercamps in der Ukraine. Den hatten wir im letzten Jahr gezeigt. Aber jetzt wollten die Filmemacher nicht mehr. Für ›Ukraine on Fire‹ haben wir uns unter anderem entschieden, weil er den ganzen historischen Hergang zeichnet. Er ist zwar schon älter, aber bei vielem, was heutzutage in der Berichterstattung der große Medien über die ganze Geschichte kommt, wird halt ganz viel ausgeblendet, was der Film zeigt.«

Der Film biete eine Grundlage, um über das Thema zu diskutieren, findet Nagler. »Es ist ja nicht so, dass wir bei allen Dokumentarfilmen sagen können: ›Alles, was darin gesagt wird, ist unsere Meinung.‹ Es ist ein Film, und wir sind der Meinung, dass die Leute, die sich da so einen Film anschauen, mündig genug sind, sich eine eigene Meinung zu bilden, dass sie das einordnen können«, sagt Nagler.

Protest formiert sich spontan

Juliane Nagel war schon einige Wochen zuvor auf die Veranstaltung im Rahmen der Globale gestoßen. Am 18. August, dem Tag vor der Vorführung, äußerte sie ihre Empörung darüber auf Twitter. »Ich finde schon, dass man den Film zeigen kann mit einer sehr gut moderierten Diskussion im Anschluss«, sagt sie. »Aber ihn so im öffentlichen Raum zu zeigen, ohne eine kritische Einordnung, und mit einer Diskussionspartnerin, die eher in den Stream des russischen Nationalismus einzuordnen ist – dann wird es Propaganda. Für ein Verbot der Aufführung würde ich nicht plädieren, aber nicht in diesem Format: open air auf einer Wiese als Sommerkino.« Deshalb habe sie zum Protest aufgerufen.

Für die deutsch-ukrainischen Künstlerinnen und Künstler vom Óstov Collective, Anna, Elza und Leon, war die Aufführung ein Affront. Deshalb entschlossen sie sich spontan dazu, vor Ort zu protestieren: »Wir haben erst zwei Stunden vor dem Screening davon erfahren«, sagt Anna. »Wir kamen dorthin, haben das Plakat ›Keine Waffenlieferungen an die Ukraine‹ gesehen, fragwürdiges Informationsmaterial, Hammer und Sichel überall – für uns ist das ein Zeichen einer alten, stalinistischen Haltung. Alleine das ist schon schwierig für uns.«

Sie hätten das Gespräch mit Festivalorganisator Mike Nagler gesucht: »Wir haben mit ihm geredet und gefragt, ob es vor dem Film eine Diskussion geben könnte. Unsere Gespräche führten allerdings in eine Sackgasse.« Besonders der ehemalige Linken-Stadtrat Alexej Danckwardt, der sich zu der Diskussion gesellt hatte, redete auf sie ein, sagt Anna, und ignorierte ihre Fragen. »Dafür hatte ich irgendwann keine Kraft mehr. Mike Nagler war gegangen, nur Alexej Danckwardt blieb und redete weiter. Wir haben dann die ukrainische Hymne angestimmt und er hat uns gegenüber die Hymne der ukrainischen Sowjetrepublik auf Russisch gesungen und gesagt, was wir singen, gibt es nicht«, sagt Anna.

Der Vorhang fällt

Als es dunkel genug war, begann die Veranstaltung. Mike Nagler stellte den Gast des Abends vor, Iwana Steinigk, Vorsitzende des Vereins Zukunft Donbass, der Hilfsgüter in die Region um Luhansk liefert. Nach Angaben von Anna unterstützt Steinigk ausschließlich pro-russische Separatistengebiete. Nach MDR-Recherchen sei der Thüringer Verein Teil eines internationalen Unterstützernetzwerks, das für pro-russische Akteure in der Region Luhansk Sach- und Geldspenden einsammelt. Die Diskussionsrunde im Anschluss an den Film sei einseitig besetzt gewesen, findet auch Juliane Nagel: »Wenn man darüber diskutiert, lädt man auch eine kritische Person ein, die sich mit der ukrainischen Geschichte auskennt, oder Menschen, die gerade fliehen mussten vor dem Krieg. Aber man lädt nicht allein eine Vorkämpferin einer Donbass-Hilfsorganisation ein, die eigentlich ein Deckmantel für russische Propaganda ist. Man kann darüber diskutieren, aber die Grundlage ist eine falsche gewesen.« Der durch seine Nähe zum Verschwörungsideologen Ken Jebsen in die Kritik geratene Journalist und Friedensaktivist Reiner Braun war ebenfalls eingeladen, blieb der Veranstaltung allerdings fern.

Nach Angaben der Globale hatte sich gegen 21 Uhr eine Gruppe von 16 Protestlern am Rande der Wiese eingefunden. Als der Film begann, fingen sie an zu trommeln. »Es wurden halt die üblichen Sprechchöre gerufen – ›Es gibt keinen Platz für Putin-Propaganda‹ und was weiß ich«, sagt Marco von der Globale: »Wir dachten uns: Okay, lasst sie machen. Die Leute im Publikum waren recht genervt, aber es hat keiner was getan. Und dann haben sie halt gemerkt: Sie können uns damit nicht aus der Reserve locken.«

»Wir haben dann schnell gesehen, dass es die Veranstaltung nicht genug stört«, sagt Anna. »Wir haben beschlossen: Wir müssen mit unserem Auftreten klarmachen, dass etwas problematisch ist am Film. Wir durften ja vor dem Film nicht ans Mikro treten. Wenn man am Anfang die Möglichkeit hat zu sagen, was kritisch zu betrachten ist, dann wird der Film in einem anderen Kontext gezeigt. Man hat uns aber nicht zum Mikrofon gelassen. Dann sind wir eben rumgelaufen und haben getrommelt.«

»Sie sind reingelaufen, bis vor den Tisch, am Beamer vorbei«, sagt Marco. »Sie haben sich vor den Beamer gestellt und wir hatten Angst, dass sie den Tisch umschubsen.« Anna verneint das: »Wir haben uns nicht vor den Beamer gestellt. Den Film hätte man auch weiter schauen können. Irgendwann hat Mike Nagler dann das Mikrofon angemacht, um etwas zu sagen, und ich bin zu ihm gegangen und habe gesagt: ›Entschuldigen Sie bitte, könnte ich auch das Mikrofon haben?‹ Er hat gesagt ›Nein‹ und hat sich weggedreht und angefangen, ins Mikro zu sprechen.«

Marco erklärt: »Mike hat gemeint, wir müssen jetzt erst mal kurz hier über diese Situation reden. Ihr könnt gerne protestieren. Wir sind selbst der Meinung: Wenn wir protestieren, soll es die Gegenseite auch hören können. Könnt ihr machen, aber bitte nicht so aktiv reinstürmen, dass unsere Veranstaltung unmöglich wird. Das ist scheiße. Daraufhin gab es eine verbale Auseinandersetzung und es sammelte sich eine Traube um Mike und Einzelne versuchten sich das Mikro zu greifen.«

»Was blieb mir anderes übrig«, sagt Anna. »Ich wollte, dass die Leute verstehen, dass es sich hier um russische Propaganda handelt. Also habe ich mich auf Zehenspitzen neben ihn gestellt und das geschrien. Es ging nicht gegen Mike Nagler, ich wollte einfach, dass die Leute das verstehen. Er hat weitergesprochen und mir nie das Mikro gegeben. Ich habe ihn bis zum Ende nicht angefasst, wobei er mich immer wieder geschubst hat.«

An dieser Stelle gehen die Schilderungen der Ereignisse auseinander. »Auch Elza hat dann versucht, etwas durch das Mikrofon zu sagen«, erklärt Anna. »Sie hat es aber nicht geschafft und dann hat Mike Nagler sie geschlagen. Mit der Hand in die linke Gesichtshälfte. Ich stand direkt daneben.« Nagler habe sich lediglich mit dem Mikro weggedreht, sagt Marco. »Das hat der Mann vom Óstov Collective als Schlag gewertet und wollte mit Fäusten auf ihn los. Und dann hat die junge Frau ihn zurückgehalten und jemand aus dem Publikum ist dazwischengesprungen.« »Leon hat versucht, Elza zu schützen. Wir haben immer wieder gesagt, dass Mike Nagler sie geschlagen hat. Er hat dann deutlich gesagt, wir wollen mit Nationalisten nicht reden«, sagt Anna.

Das Publikum ruft die Polizei

In der Zwischenzeit hatten verschiedene Leute aus dem Publikum die Polizei gerufen. Die Situation beruhigte sich und Nagler startete den Film erneut. Der Protest begann erneut mit dem Trommeln, schließlich trafen Polizei und Ordnungsamt ein. »Das war absurd: Die Polizei fängt an mit uns zu sprechen und im Hintergrund reden Putin und Janukowitsch über die ukrainische Geschichte«, sagt Anna. Auch die Aussage von Mike Nagler wurde aufgenommen. Juliane Nagel versuchte rückwirkend eine Spontanversammlung anzumelden und stellte sich schützend vor die Trommlerinnen. Polizei und Ordnungsamt gingen jedoch nicht darauf ein und trugen die Protestler weg.

Es fing an zu regnen. Der Film endete. Die Diskussion im Anschluss, bei der nach Angaben der Globale noch etwa 20 bis 30 Leute anwesend waren, lief rund eine halbe Stunde. »Wir waren allerdings damit beschäftigt, abzubauen und die Technik ins Trockene zu bringen«, sagt Nagler. Das Óstov Collective hatte den Richard-Wagner-Hain zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. »Wir haben entschieden, nicht mehr an der Diskussion im Anschluss teilzunehmen, weil wir uns nicht mehr sicher gefühlt haben«, sagt Anna.

Die Filmvorführung als Statement der Globale

Was bleibt, ist die Frage, warum die Globale sich entschlossen hat, den Film ins Programm aufzunehmen. »Wir haben wirklich intensiv darüber diskutiert, ob wir den Film zeigen sollen«, sagt Marco. »Es gab unterschiedliche Standpunkte in der Gruppe, am Ende war aber niemand dagegen.« Bei einem einzigen Veto aus der Gruppe wäre der Film nicht gezeigt worden, betont Marco. »Die Globale ist ein politisches Festival mit einer politisch breiten Ausrichtung. Es soll darum gehen, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, aber auch zu diskutieren. Es war ein Stück weit auch der Ansatz, ein bisschen provokativ zu sein. Es war ein Statement. Da können wir uns gar nicht freisprechen und das wollen wir auch nicht.«

Mike Nagler ergänzt: »Wir nehmen die Kritik an, es ist aber schon so, dass die Person vorne nicht den dominierenden Part in der Diskussion stellt. Es geht darum, mit den Menschen, mit allen, die da sind, zu diskutieren. Das ist doch ein Teil einer demokratischen Zivilgesellschaft, dass man sich zuhört. Dafür wollen wir den Rahmen schaffen. Es muss doch möglich sein, einen solchen Film zu zeigen und dann im Anschluss darüber zu diskutieren. Den kann man auch gerne auseinandernehmen. Wir wollen den Dialog fördern. Ich will auch mit denen reden, die an dem Abend protestiert haben, aber eben sachlich.«

Vonseiten der Globale habe es nach der Veranstaltung keinen Versuch der Kontaktaufnahme gegeben, sagt Anna: »Wir als Betroffene wollten diesen Schritt nicht machen.« Nach Angaben der Polizei wurden mehrere Anzeigen auf beiden Seiten aufgrund verschiedener Körperverletzungsdelikte und Beleidigungen erstattet. Mike Nagler vermutet eine Kampagne gegen sich. Das Óstov Collective habe unmittelbar nach der Veranstaltung eine Mail an alle Festival-Förderer und die Presse geschrieben. »Der Betreff war in etwa ›Öffentlich gefördertes Festival zeigt Putin-Propaganda, einer der Moderatoren schlägt junge, geflüchtete Frau‹. Das ist das Framing, das sie damit gesetzt haben – und absolut nicht zutreffend, was alle bestätigen können, die an dem Abend da waren.« Das Óstov Collective will sich zu dem laufenden Verfahren nicht weiter äußern. Man habe sich rechtlichen Beistand gesucht.

Juliane Nagel überrascht das große mediale Interesse an dem Abend: »Ich fand es bemerkenswert, dass es so viel Aufmerksamkeit für die Sache gab. Sowohl von der DPA, der Süddeutschen Zeitung oder Sächsischen Zeitung als auch von verschwörungsideologischen Trollseiten im Internet, deren Ziel es war, ihre Version der Geschichte zu verbreiten und Leute zu denunzieren.« Nagel vermutet dahinter eine konzertierte Aktion vonseiten einzelner Mitglieder der Globale.

Die Globale will sich nach dem Vorfall nicht beirren lassen in ihrer Arbeit. Das Filmfestival plant, »Ukraine on Fire« erneut zu zeigen. Allerdings will man diesmal auch die Gegenseite zu Wort kommen lassen und ukrainische Gesprächspartner und -partnerinnen einladen. Das Óstov Collective will sich in der ganzen Sache nicht als Opfer sehen und weiterhin Aufklärungsarbeit leisten.


Interview: Edgar Lopez, Britt Schlehan, Lars Tunçay

Titelfoto: Christiane Gundlach


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