Weniger Menschen in Deutschland vertreten ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Gleichzeitig nehmen rassistische Ressentiments besonder in ostdeutschen Bundesländern mehr zu. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie.
Die Zufriedenheit mit der Demokratie ist in der deutschen Bevölkerung gestiegen – zumindest in der Theorie. Denn auch wenn viele sie als Staatsform befürworten, ist nur jeder zweite zufrieden mit der demokratischen Alltagspraxis im Land. Das bescheinigt die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie. In der Studienreihe beobachten Wissenschaftler seit 20 Jahren, wie sich autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland entwickeln. Alle zwei Jahre finden neue Erhebungen statt. Die Ergebnisse der diesjährigen Studie, für die im Mai und Juni dieses Jahres rund 2.500 Personen befragt wurden, haben die Studienleiter Elmar Brähler und Oliver Decker bei der Bundespressekonferenz am 9. November vorgestellt.
Die aktuelle Studie zeigt, dass rechtsextreme Einstellungen massiv zurückgegangen sind. Dazu gehören die Diktatur-Befürwortung, Sozialdarwinismus, klassischer Antisemitismus und die Verharmlosung des Nationalsozialismus. So zeigen nur zwei Prozent der Ostdeutschen ein geschlossenes, rechtsextremes Weltbild. 2020 waren es noch zehn Prozent. »Das ist die gute Nachricht«, sagt Marius Dilling, einer der Autoren der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Else-Frenkel-Brunswik-Institut. Die schlechte ist, dass mehr Menschen in Ostdeutschland Migranten und Muslimen feindlich gegenüberstehen. Fast 40 Prozent der ostdeutschen Befragten stimmten der Aussage »Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet« zu, im Westen waren es knapp 23 Prozent. Auch in den Bereichen Antifeminismus und Sexismus verzeichnete die Studie einen Anstieg. Ungefähr jeder Fünfte ist der Meinung, dass sich »Frauen wieder mehr auf die Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen« sollten. Die Studienautoren vermuten, dass dieses Meinungsbild auch auf Erfahrungen während der Pandemie zurückzuführen ist, als mit der Schließung von Kindergärten und Schulen die Betreuungsverantwortung wieder stärker auf die Familie, und vor allem auf Mütter, verlagert wurde.
Entwarnung gibt es also kaum: »Wir beobachten eine Verschiebung der Problemlage: weg von ausdrücklich rechtsextremen Einstellungen hin zu antidemokratischen Einstellungen, die auch in der Breite der Bevölkerung anschlussfähiger sind«, erklärt Dilling die Ergebnisse.
In diesem Jahr haben die Wissenschaftler erstmals versucht, die Ost-West-Unterschiede auszudifferenzieren und sich regionale Spezifika angeschaut. Laut Dilling konnten sie feststellen, dass ein ausgeprägter Autoritarismus insgesamt einhergeht mit einer hohen Arbeitslosenquote, einem niedrigen Frauenanteil, einem geringeren Anteil an Schutzsuchenden sowie einem hohen durchschnittlichen Haushaltseinkommen. »Bis auf das Haushaltseinkommen sind all diese Strukturmerkmale in ostdeutschen Kreisen eher anzutreffen als im Westen«, hält er fest.
Obwohl die Studie repräsentativ ist und höchste wissenschaftliche Standards erfüllt, gibt es laut Dilling die Gefahr – wie immer in der empirischen Einstellungsforschung –, dass Befragte ihre Aussagen dem anpassen, was sie als sozial gewünscht einschätzen. Die Teilnehmenden füllen den Fragebogen zwar selbst aus, weshalb die Bereitschaft, seine eigene Sicht und teilweise intime Details preiszugeben, hoch ist. Es gebe aber immer eine Restgefahr, dass die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen unterschätzt wird, sagt Dilling.
Um autoritären Reaktionen entgegenzuwirken, plädiert er für mehr demokratische Mitbestimmung in Bildungseinrichtungen und Betrieben. So erleben Menschen Demokratie in ihrem Alltag und binden sich eher an sie.