Im Rahmen des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen findet seit mehreren Jahren sowohl in Leipzig als auch in anderen deutschen Städten die sogenannte »Brötchentütenaktion« statt. Unter dem Slogan »Gewalt gegen Frauen kommt nicht in die Tüte« werden Bäckertüten mit Hilfsadressen bedruckt, an die sich Personen wenden können, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wir haben mit Judith Rick vom Verein »Frauen für Frauen« gesprochen, um mehr über die Aktion zu erfahren.
kreuzer: Wie ist die Idee für die Brötchentütenaktion entstanden?
Rick: Die Aktion »Gewalt gegen Frauen kommt nicht in die Tüte« wurde im Jahre 2001 erstmals in Saarbrücken und seither in zahlreichen Städten mit Erfolg durchgeführt. Mit Hilfe der Aktionstüten wird Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Problem ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Darüber hinaus erfahren betroffene Frauen von Unterstützungs- und Hilfeangeboten in ihren Heimatstädten. Im Jahr 2006 fand die erste Brötchentütenaktion in Leipzig statt. Sie wurde initiiert von der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und unserem Verein.
Was ist das Ziel der Aktion?
Das Ziel der Brötchentütenaktion ist es, das Thema des 25.11., dem Internationalen Tag gegen patriarchale Gewalt, sichtbar zu machen und es in die Leipziger Haushalte und auf den Tisch der Bürger*innen zu bringen. Außerdem sollen die Unterstützungsangebote des Vereins für Betroffene von patriarchaler Gewalt weiterhin bekannt gemacht werden. Und wir sammeln dadurch Spenden.
Die Hilfsadressen könnte man auch auf anderem Wege verbreiten. Warum also ausgerechnet auf einer Brötchentüte?
Die Brötchentüte kommt auch in Haushalte, in denen vielleicht nicht darüber gesprochen wird, dass patriarchale Gewalt in unserer Gesellschaft alltäglich und allgegenwärtig ist. So kann sie aufmerksam machen und Betroffene oder Unterstützer*innen von Betroffenen die Hinweise auf die Hilfsangebote liefern.
19 Bäckereien in Leipzig und Umgebung nehmen an der Brötchentütenaktion teil. Nach welchen Kriterien werden die teilnehmenden Bäckereien ausgewählt?
Die Aktion findet dieses Jahr zum 8. Mal statt. Als diese Aktion im Jahr 2006 das erste Mal stattfand, haben sich diese Bäckereien bereit erklärt, teilzunehmen. Seitdem sind sie verlässliche Kooperationspartner*innen, die jedes Jahr wieder mitmachen. Wenn es jedoch weitere Bäckereien gibt, die Interesse an der Aktion zeigen, nehmen wir sie gerne in die Liste auf.
Wie fallen die Reaktionen und Rückmeldungen auf das Projekt aus?
Von den Bäckereien bekommen wir immer positive Rückmeldungen und auch die Öffentlichkeit reagiert mit Interesse auf die Aktion. Da dies nur ein kleiner Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit ist, können wir jedoch nicht sagen, wie viele Personen über die Brötchentütenaktion zu den Hilfsangeboten gekommen sind oder dadurch zum Spenden angeregt wurden.
Was sollte man tun, wenn man selbst häusliche Gewalt erfährt?
Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben ohne Gewalt, dazu gehört auch emotionale und psychische Gewalt. Wenn eine Person das Gefühl hat, dass sie sich in ihrer Partner*innenschaft nicht wohlfühlt, ist es gut, sich mit Menschen aus dem Umfeld auszutauschen. Mit Hilfe derer können weitere Schritte gegangen werden. In Leipzig gibt es die Möglichkeit, die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) des Frauen für Frauen-Vereins anzurufen, sie können dabei unterstützen, die nächsten Schritte zu planen.
Und was kann man tun, wenn man häusliche Gewalt bei Menschen im Umfeld mitbekommt?
Achte auf dich und bringe dich selbst nicht in Gefahr. Wenn du unsicher bist und dir Beratung wünschst, melde dich bei der KIS. Wir besprechen dann die individuelle Situation und können Handlungsoptionen aufzeigen.
Tausche dich über deine Vermutung mit Nachbar*innen oder Freund*innen aus, die auch etwas bemerkt haben könnten. Es sollte keine Konfrontation mit der vermutlich gewaltausübenden Person geben, weder unter vier Augen noch im Beisein der vermutlich gewaltbetroffenen Person. Wenn die Vermutung besteht, dass es eine akute Konfliktsituation in einer Wohnung gibt, kann es gut sein, unter einem Vorwand zu klingeln, und zum Beispiel nach Mehl zu fragen oder so. So kann die Situation unterbrochen werden. Es kann die Polizei angerufen werden, das geht zum eigenen Schutz auch anonym. Die Polizei kann eine polizeiliche Wegweisung für bis zu 14 Tage veranlassen, das bedeutet, die gewaltausübende Person muss gehen.
Es ist möglich, auf die vermutlich gewaltbetroffene Person zuzugehen, zum Beispiel unter vier Augen im Treppenhaus. Sie sollte gefragt werden, welche Unterstützung sie braucht und wie man helfen kann. Sinnvoll ist es auch, das eigene Handy anzubieten, damit die Person Telefonate führen kann oder um die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking anzurufen, denn das eigene Handy wird eventuell kontrolliert.
Wichtig ist es, keinen Druck auszuüben! Die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen hängt hauptsächlich von der Entscheidung der gewaltbetroffenen Person ab und ob sie etwas ändern möchte oder nicht. Beide Optionen sind legitim.