anzeige
anzeige
Kultur

»Musik ist kein Snack«

Fiona Lehmann und Paul Pötsch im Gespräch über die Prekarität hinter der Popmusik

  »Musik ist kein Snack« | Fiona Lehmann und Paul Pötsch im Gespräch über die Prekarität hinter der Popmusik

In der Popmusik sind alle jung, schön, reich und berühmt? Eine Gesprächsreihe und ein damit zusammenhängender, im nächsten Jahr im Ventil-Verlag erscheinender Buchband mit dem Titel »Kommst du mit in den Alltag?« möchten mit den Mythen der Popkultur aufräumen und stattdessen die konkreten Lebensrealitäten und Erfahrungen von Künstlerinnen und Künstlern in den Fokus rücken. Wir sprachen mit Paul Pötsch (Trümmer, Hotel Rimini, Ilgen-Nur) und Fiona Lehmann (Frau Lehmann) über ihre aktuellen Bandprojekte, Prekarität und ihren Versuch, sich dem Zeitgeist der Marktlogik zu widersetzen.

kreuzer: Woran haben Sie in letzter Zeit musikalisch gearbeitet?

FIONA LEHMANN: Hauptsächlich bin ich aktuell mit Frau Lehmann aktiv, mit der wir vor einem halben Jahr eine EP herausgebracht haben. Abseits der Musik habe ich einen Roman geschrieben.

PAUL PÖTSCH: Ich bin aktuell in den Bands Trümmer, Hotel Rimini und Ilgen-Nur musikalisch tätig. Hauptberuflich bin ich aktiv als Theatermusiker, womit ich vor drei, vier Jahren begonnen habe. Mein großes Thema ist gerade ein Projekt, das ich für nächstes Jahr vorbereite: Und zwar wird es da in Halle einen Theaterabend über Punkrock in der DDR geben, an dem ich die vergangenen drei Jahre sehr intensiv gearbeitet habe.
 

In dem Sammelband »Kommst du mit in den Alltag«, der Anfang 2023 erscheint, geht es unter anderem um Prekarität und Überlebensstrategien im Popbusiness. Was hat Sie motiviert, an dem Band mitzuwirken?

PÖTSCH: Andre Lessner, der den Band herausgibt, ist ein guter Freund von mir und zugleich ein unermüdlicher Kämpfer aus dem Berliner Indie-Underground. Zuletzt hat er sich die »Kommst du mit in den Alltag?«-Reihe ausgedacht, und das ist ein schöner Rahmen, um nicht nur Musik zu hören, sondern auch was über die Protagonisten auf der Bühne zu erfahren und miteinander in Austausch zu geraten. In Berlin habe ich auch schon an dem Format teilgenommen und im Zuge dessen mit Christiane Rösinger über das Thema Familie gesprochen. Denn sie hat eine erwachsene und ich eine kleine Tochter, und durch diesen Austausch kommt man eben auch auf Problemfelder, die einem vorher vielleicht nicht so bewusst waren.

LEHMANN: Ich habe die Gesprächsreihe von Andre schon eine Zeit lang beobachtet, aber bisher noch keine Zeit finden können, selbst bei einem Termin dabei zu sein. Vor Kurzem hat er mich dann eben gefragt, ob ich mir vorstellen kann, auch selbst als Gast dabei zu sein.
 

Warum wurden Themen wie Prekarität und Alter im Popgeschäft so lange tabuisiert?

PÖTSCH: Ich glaube, das hat verschiedene Gründe. In erster Linie hängt es damit zusammen, dass wir gegenwärtig in einem neoliberalen System leben, das uns zu Konkurrent:innen macht. Und es ist am Ende natürlich alles andere als cool, darüber zu sprechen, dass man mit gewissen Dingen vielleicht keinen Erfolg hat, oder dass bestimmte Musik zu nischig ist, um in der Masse aufzugehen. Das wird dann schnell mit Scheitern in Verbindung gebracht, und scheitern will niemand. Das ist ein sehr schambehaftetes Thema. Alle wollen mittlerweile big und fame werden. Ich habe den Eindruck, dass es mittlerweile immer mehr Leute gibt, die ihre Band wie ein kleines mittelständisches Unternehmen am Reißbrett entwerfen. Meistens klingt die Musik dann leider auch dementsprechend.

LEHMANN: In Bezug auf das Älterwerden lässt sich damit auch das berühmte Zitat von Blondie verknüpfen: »Stay young, stay pretty«, was unterstreicht: Du bist für die Musikbranche nur vermarktbar, solange du jung und hübsch bist.

PÖTSCH: Ja, voll! Ich habe auch überhaupt nichts gegen erfolgreiche Bands. Mein Problem ist nur, das von Vorneherein genau so planen zu wollen. Diese Strategie macht ja dann auch nicht vor dem Songwriting halt, was man ja beispielsweise gegenwärtig daran merkt, dass Refrains neuerdings schon nach 20 Sekunden kommen müssen, damit die Leute dann auch das Lied zu Ende hören und nicht direkt weiterskippen, denn ein Stream wird erst nach 30 Sekunden gezählt. Dieses permanente Schielen auf den Markt ist mir zu wirtschaftlich.
 

Dieses Schielen auf den Markt ist oft Folge individueller wirtschaftlicher Zwänge, die auf einem lasten, wenn man nicht gerade reich geerbt hat. Natürlich kann man dann auch einer regulären Lohnarbeit nachgehen und Musik nebenher machen – aber dann bleibt natürlich nicht genügend Zeit für sie.

PÖTSCH: Ich habe immer nebenher in einer Kneipe gearbeitet, auch dann noch, als wir schon angefangen hatten zu touren und auf Festivals zu spielen. Ich bin jetzt finanziell unabhängig von der Band Trümmer, weil ich die Theatermusik mache und nebenher noch Gitarrenunterricht gebe. Musik zu produzieren, die weggesnackt werden kann wie eine Tüte Chips, widerspricht einfach meiner Vorstellung.

LEHMANN: Ja, das kann ich auch nicht vereinbaren mit meiner Idee von künstlerischem Schaffen.
 

Aber durch die nochmals zugespitzten Produktionsbedingungen im Zuge der Pandemie wird jetzt schon mehr über Prekarität gesprochen, oder?

LEHMANN: Ja, das ist auch mein Eindruck.

PÖTSCH: Ich glaube, dass die Pandemie etwas ans Tageslicht gebracht hat, das vorher auch vielen in der Politik gar nicht klar war, nämlich: dass Leute wie Fiona und ich, aber auch Leute aus der Tontechnik oder dem Veranstaltungswesen mit ihrer Lebensrealität überhaupt existieren. Begriffe wie »Solo-Selbstständige« wurden vor der Pandemie nur äußerst selten verwendet. Und dann hat man in der Pandemie plötzlich gemerkt: Ah, eine nicht unwesentliche Anzahl an Menschen arbeitet in Deutschland eigentlich seit geraumer Zeit so. Dieses Bewusstsein ist mittlerweile mehr da. Ob das am Ende ausreichend ist, darüber wird noch zu streiten sein.
Fiona und ich haben neulich schon in Leipzig über die Frage gesprochen, ob nicht der gesamte sogenannte subkulturelle Bereich im Vergleich zur sogenannten Hochkultur vollkommen unterfinanziert ist, gemessen an der jeweiligen Nachfrage. Dadurch, dass ich mittlerweile im Theaterbereich tätig bin, fallen mir diese sehr unterschiedlichen finanziellen Ressourcen einfach stark auf, was natürlich auch Resultat bestehender Präferenzen seitens der Politik ist.
 

Was verschafft Ihnen mit Blick auf die im Buch verhandelten Problemfelder Hoffnung auf Besserung?

LEHMANN: Nichts (lacht). Na ja, für mich dann am Ende tatsächlich auch wieder Begegnungen und Austausch wie jetzt mit Paul. Oder Konzerte zu spielen, wo man dann eben auch zurückgespiegelt bekommt, dass die Leute Spaß haben, und dadurch die Hoffnung entsteht, dass durch das eigene Engagement auch das Bewusstsein beim Publikum wächst für die prekäre Situation der Kulturlandschaft.

PÖTSCH: Hoffnung verspüre ich vor allem immer im unmittelbaren Kontext von Begegnungen oder Veranstaltungen, hauptsächlich eben bei Konzerten. Das ist ja auch eine wichtige Form von Kommunikation und Austausch mit den Leuten, die da sind.

> »Kommst du mit in den Alltag?«-Gesprächsreihe mit Paul Pötsch und Fiona Lehmann, 4.12., 19 Uhr, Ilses Erika ■ Andre Lessner (Hrsg.): Kommst du mit in den Alltag? Gespräche über Lebenswelten von Musiker*innen. Mainz: Ventil 2023. 180 S., 15 € (erscheint im Januar)


Titelfoto: Christiane Gundlach.


Kommentieren


0 Kommentar(e)