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Kapitulation hier, Machtdemonstration da

Die neue Opernintendanz von Tobias Wolff beginnt mit »Undine« unglücklich

  Kapitulation hier, Machtdemonstration da | Die neue Opernintendanz von Tobias Wolff beginnt mit »Undine« unglücklich

»Undine« ist in Mode: als Märchen von der »kleinen Meerjungfrau«; als Mythos vom seelenlosen Wassergeist, der bei den Menschen durch Liebe Gestalt und Seele bekommt und wieder verliert. Zuletzt hat Anna-Sophie Mahler als neue Hausregisseurin am Schauspiel das Thema in einem sehenswerten »Musiktheaterprojekt« variiert (s. kreuzer 05/2022). Jetzt legt die Oper mit Albert Lortzings »Undine« nach. Es ist der Auftakt der neuen Intendanz von Tobias Wolff. Insofern darf, muss man das wohl programmatisch sehen.

Die Bühne dominiert eine sich von Szene zu Szene drehende Riesentreppe: 15 Stufen, bedeutungsschwanger wie in Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin«, allerdings entpuppt sie sich als Inszenierungstod. Sie gibt keinen Spielraum. Tische, Stühle fallen um und deswegen aus. Das Solistenensemble ist bemüht, nicht zu stolpern. Der Chor lässt sich eigentlich nur zweifach in Szene setzen, besser: legen (erstens), und zweitens zum Hochzeitsfoto aufstellen. Wenn das hohe Treppenende für die nächste Szene nach vorne dreht, bleibt nur Spiel an der Rampe. Und wenn letztendlich der Souffleurkasten zum Requisiten-Abstellen dient, ist das die szenische Kapitulation, die Regisseur Tilmann Köhler und Bühnenbildner Karoly Risz zu verantworten haben.

Auch kostümtechnisch wenig Aussagekraft: Neunziger-Jahre-Zeug, Freizeitklamotten, die vielleicht Spaßgesellschaft bedeuten sollen; das arme Fischerpaar mit Mütze markiert, Ritter Hugo trägt Kunstleder, Fürstin Bertalda das Kleine Schwarze in Hermelin. Spielen die Klassenunterschiede des Originals keine Rolle mehr? Warum sieht Pater Heilmann aus, als wäre er auf Fjällwanderung, trägt aber nur seine Soutane im Rucksack und keinen Esbitkocher?

Lortzings »Undine« ist ein Experiment. »Ist die Seele nur ein Wahn?«, fragt Wasserfürst Kühlborn und nimmt dem Fischerpaar das Baby weg, um es gegen die eigene Tochter Undine auszutauschen. Wie wird sie sich in der Menschenwelt zurecht- und eine Seele finden? Ein Vater, der die Tochter als Objekt benutzt: Lortzing wählt eine interessante Exposition, fällt aber in den sentimentalen Spielopernton zurück, der Originalität schuldig bleibt und in den Dialogen vieles doppelt erzählt. Für das internationale Sängerensemble eine Hürde. Sprechtext klingt nur auswendig gelernt, ohne Sinn und tönend vorgetragen. Muss die Oper ihr Ensemble so vorführen? Auch sängerisch, indem sie ihren Solistinnen und Solisten eine Musik zumutet, die deutlich hinter den Mozarts, Puccinis oder Schostakowitschs zurückbleibt, die es zum Auftakt hätten sein können? Ist das auch Chor und Orchester angemessen, die aus Partituren Klänge und Farben auf Spitzenniveau hervorzaubern könnten?

Ortswechsel. Genau eine Woche später hat in Weimar Nikolai Rimsky-Korsakows »Der goldene Hahn« (Regie: Stephan Kimmig) Premiere und genau das, was in Leipzig fehlt: klingende Musik, die originell komponiert ist und Spaß beim Zuhören macht. Diese schöne Entdeckung basiert auch auf dem Mythos über die Seele und das Menschsein. Sie ist dramaturgisch gut gebaut, hat einen zeitgemäßen Plot. Es geht um einen kriegsmüden Zaren, der Angst vorm Angriff der Nachbarn hat. Ein Astrologe gibt ihm einen goldenen Hahn, der kräht, wenn Gefahr droht. Natürlich passiert das auch. Als die Zarensöhne an der Front sterben, zieht der Zar selbst in die Schlacht, wo er einer Zarin begegnet, die schön, begehrenswert, mächtiger ist und wohl das Ideal seiner selbst, eine Allmachtsfantasie: »Wer setzt meiner Seele ein Ende?«

Regisseur Kimmig zeigt nicht Putin auf der Bühne. Ihn interessiert die Mechanik der Macht, was auch die Musik herrlich auslotet und satirisch dechiffriert. Andererseits gibt er dem Volk – und das ist so neu wie genial interpretiert – großen Raum, zeigt uns in ihm einen inneren Feind, wo es im Text um den äußeren geht. Am Ende steigt das Volk über den toten Zaren hinweg, wirkt befreit in diesem Augenblick: »Was gibt uns die neue Morgenröte? Wie werden wir ohne den Zaren leben?« Das Volk muss es jetzt richten. Der Nachbar, das kann Kasachstan, Finnland, die Ukraine sein. Die Verführung der Macht: Unterliegt auch ein Selenskyj?

In Weimar funktioniert das Bühnenbild. Hier gibt es auch, weil sie zum Gesamtkunstwerk Oper heutzutage dazugehört, eine Videoebene. Hier stellen sich die Kostüme in den Dienst der Rollen. Das ist geschickt programmiertes Musiktheater. Gesellschaftlich relevant bietet es einen Denkraum und lässt dabei Freiräume fürs Publikum. Was Leipzig nicht vermag, ist in Weimar zu sehen.


Titelfoto: Szene aus »Undine«. Copyright: Kirsten Nijhof.


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