Etwas ist faul im Staate Bosestraße – das bekräftigen nach dem Hausverbot für zwei Schauspielerinnen drei ehemalige Ensemble-Mitglieder des Schauspiel Leipzig
»Wir – große Teile des Ensembles des Schauspiel Leipzig – erklären hiermit, dass wir hinter unseren Kolleginnen Katharina Schmidt und Julia Preuß stehen« – im bisher letzten Akt des Dramas solidarisiert sich die Belegschaft mit den beiden Schauspielerinnen. Die beiden seit 2015 beziehungsweise 2013 am Schauspiel Engagierten müssen zum Spielzeitende das Haus verlassen und wurden Ende des Jahres mit einem Hausverbot belegt. Der kreuzer berichtete als erstes Medium darüber. Auf den Vorgang befragt, bat Intendant Enrico Lübbe um Verständnis, sich grundsätzlich zu »personalrechtlichen Fragen« nicht zu äußern. Er widersprach dem Eindruck, eine allgemeine Unzufriedenheit herrsche unter der Belegschaft (kreuzer berichtete). Nach der ersten Berichterstattung zum Thema zeigten sich drei ehemalige Ensemble-Mitglieder bereit, dem kreuzer ihre Erlebnisse am Schauspiel Leipzig zu schildern. Alle drei sehen darin kein Nachtreten, sondern wollen Solidarität mit Preuß und Schmidt zeigen. Die haben inzwischen rechtliche Mittel gegen die beiden Entscheidungen eingelegt, werden von der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger unterstützt. Der kreuzer wird das Geschehen weiter verfolgen.
Fehlende Kommunikationskultur
»Ich war nicht überrascht, nun von Julias und Katharinas Fall zu hören. Denn bei mir passierte es ähnlich plötzlich.« Marie Frisch (Name von der Redaktion geändert) arbeitete mehrere Jahre am Schauspiel Leipzig. »Die Nichtverlängerung wurde in meinem Fall ohne jede vorherige Andeutung schriftlich übermittelt. Es gab im Vorfeld keinen Versuch, über die offenbar entstandenen künstlerischen Differenzen in ein konstruktives Gespräch zu gehen. Bis zu der offiziellen Anhörung bei der Intendanz, in der ich mich persönlichen Angriffen ausgesetzt fand, wurde mir kein Feedback zu dem Vorgang angeboten. Mein direkter Vorgesetzter verweigerte rundheraus das Gespräch.«
Darin macht Frisch eine Schwäche der Theaterleitung aus: »Es fehlt eine Kommunikationskultur, in der Erwartungen und Feedback transparent formuliert sowie Differenzen konstruktiv und lösungsorientiert moderiert würden. Das fehlende Miteinander und die fehlende Resonanz werden leider durch große Härte kompensiert.« Solches Verhalten wirke sich auf die ganze Belegschaft aus. »Man sieht ja jetzt bei den Kolleginnen, wie viel Energie das einem abverlangt, sich zur Wehr zu setzen. Die Gefahr, nirgendwo mehr engagiert zu werden, weil man als Unruhestifter gilt, ist real.« Frischs »Schutz-Strategie« bestand darin, »mich durch innere Migration vom Vorgang zu distanzieren und mich rasch woandershin zu orientieren.«
Negative Konsequenzen für die, die Kritik äußern
Von sich aus kündigte schließlich Florian Claudius Steffens, der bis 2019 am Haus als Schauspieler engagiert war. »Ich habe in den vier Jahren nicht herausgefunden, für welches Theater Lübbe steht oder wofür er brennt. Habe mich immer wieder gefragt, was er dort künstlerisch als Intendant bewirken möchte. Er prägt durch seine Position ja viele Biografien mit, da wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, konkrete Ideen zu haben, wofür man Leute engagiert.« Er habe trotz »toller Begegnungen« gemerkt: »Das ist nicht mein Theater.«
»Herr Lübbe ist mir anfangs offen und ausgesprochen freundlich begegnet. Er hat mir den Eindruck vermittelt, dass er für flache Hierarchien steht. Leider hat sich das nicht eingelöst.« Mitbestimmung und offene Gespräche erlebte er nicht am Haus. »Ideen und Einwände wurden ausgesessen und weggelächelt.« Zum Beispiel habe das Con-Action-Café, ein 2016 initiierter Begegnungsort für Geflüchtete mit Leipzigerinnen und Leipzigern, von Angestellten des Hauses nur gegen massive Bedenken durchgesetzt werden können. Steffens hatte den Eindruck, dass Kritik negative Konsequenzen hatte. Kritische Künstlerinnen und Künstler seien gegangen oder wurden nicht verlängert: »Da war Angst in der Hütte.« Das hätten Lübbes langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verinnerlicht. »Daher finden sich nur wenige, die sich trauen, den Mund aufzumachen.«
»Von einem Intendanten wünsche ich mir, dass er mit Kritik konstruktiv umgeht, sie als Notwendigkeit im künstlerischen Arbeitsprozess begreift und keinesfalls persönlich nimmt. In einer großen, öffentlich getragenen Kultureinrichtung muss das auch breit diskutiert werden.« Steffens sieht auch die Stadtpolitik in der Verantwortung: »Wer entscheidet warum über die Besetzung solcher Leitungspositionen? Warum wurde Lübbe zweimal um fünf Jahre verlängert, ohne dass es eine ordentliche Evaluation gab? – Mir geht es nicht um plumpes Intendanten-Bashing. Ich weiß aber, dass es auch anders geht.«
Schikanen für langjährige Weggefährtin
Mehrere Jahre spielte Daniela Keckeis auf der Leipziger Bühne und kennt Enrico Lübbe schon von früheren Engagements. »Wir hatten über eine lange Zeit eine sehr gute und erfüllende Zusammenarbeit, das ist mir wichtig zu sagen. Allerdings hatte ich immer das Gefühl, dass ich funktionieren musste, möglichst nichts in Frage stellen sollte. Ein Vertrauensverhältnis, wie ich es mir gewünscht hätte, hat sich auch nach vielen Jahren nicht eingestellt. Der Gedanke, dass es vorbei sein könnte, wenn die Dinge nicht so laufen, wie Herr Lübbe sich das vorstellt, war immer präsent. Ich glaube, da fehlt ihm einfach Empathie und Verständnis für seine Mitmenschen. Das hat zur Folge, dass Entscheidungen, die getroffen werden, nicht unbedingt sozial sind.«
Für Keckeis begannen »die Schikanen mit meiner zweiten Schwangerschaft, über die sich Herr Lübbe wenig erfreut zeigte«. Nach der Elternzeit sollte Daniela Keckeis plötzlich nicht wie vereinbart in zwei Neuproduktionen zu sehen sein, sondern zusätzlich in einer Sommertheaterproduktion die Rolle einer Gastschauspielerin übernehmen – wohl aus finanziellen Gründen. Es häuften sich solche Situationen, in denen Keckeis als Verfügungsmasse erschien. Mit zwei kleinen Kindern musste sie ihre Zeit vorausschauend planen. »Lübbe sagte, mein Privatleben gehe ihn nichts an, wo kämen wir hin, wenn er mitbedenken müsse, dass ich Kinder habe?«
So wurde Keckeis an einem der letzten Tage der Elternzeit angerufen, um sich kurzfristig mit einem Regisseur zu treffen, weil sie eine ausgefallene Schauspielerin ersetzen musste. »Das war ein Erzähltext, wo völlig egal war, ob ihn Mann oder Frau, Jung oder Alt spricht. Und ich war ja mit zwei kleinen Kindern allein, die konnte ich ja schlecht in den Schrank packen für die Zeit der Proben. Da kam dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion meine Mutter vom Bodensee, um auf die Kinder aufzupassen.«
Rücksicht wurde auch nicht darauf genommen, dass Daniela Keckeis ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegt hatte, was ihr zuvor erlaubt worden war. Bei Proben für ein neues Stück war sie die Erste, die morgens den Coronatest machen musste. »Da nahm ich den Zug 6.15 Uhr, damit ich pünktlich auf der Matte stand. Zwei Mal stand ich in Lutherstadt Wittenberg herum, weil ich wegen zu langer Proben den letzten Zug verpasste. Enrico Lübbe soll nämlich gefordert haben, dass ich immer bis zum Ende der Proben um 22 Uhr anwesend sein soll, auch wenn ich nicht dran war.« Er wollte nicht, dass sie zwischendurch nach Berlin fährt. »Mir schien es, als sollte ich einfach ständig und permanent zur Verfügung stehen – grundlos. Ich habe mich dann informiert bezüglich dieser ominösen ›Residenzpflicht‹. Es gibt sie nicht, sie ist eine Erfindung und arbeitsrechtlich nicht haltbar.« Bei einem Gespräch, zu welchem Lübbe Daniela Keckeis zitierte, sei er »sehr laut« gewesen: »Er hat unter der Gürtellinie argumentiert, mir wieder vorgeworfen, ich wäre gedanklich zu sehr bei den Kindern.« Ihre Frage, ob sie gleich über die etwaige Verlängerung sprechen könnte, verneinte er. »Ich könne ihm aber einen Brief schreiben, in dem ich darlege, warum ich so gern am Schauspiel Leipzig bleiben möchte. Daraufhin sagte ich ihm, er könne meine Kündigung fertig machen. Die vorgebrachten Argumente waren hauptsächlich persönliche Beleidigungen und sehr unsachlich. Das fand ich vor dem Hintergrund einer 15-jährigen Zusammenarbeit absolut daneben und verletzend. So wollte ich nicht mit mir sprechen lassen.«
Nichtverlängerungen, meint Keckeis, treffen oft – jüngere – Frauen. »Da haben sich immer so Drohkulissen aufgebaut, überall musste gespart werden, auf Kosten der Leute. Man hatte das Gefühl, ständig alles stehen und liegen lassen zu müssen, wenn man nicht die Nichtverlängerung ausgesprochen bekommen wollte.«
»Es gab keine Möglichkeit, auch mal zu sagen, es funktioniert einfach nicht.« Dann sei die Nichtverlängerung sehr wahrscheinlich ausgesprochen worden. »Eigentlich sollte das Theater ein Ort des Diskurses sein. Aber es spielt wohl keine Rolle, wie lange und aufopfernd man für das Theater einsteht – übt man Kritik, muss man damit rechnen, dass es das war.«
TOBIAS PRÜWER
Hausverbot
Die verhängten Hausverbote begründet die Intendanz mit der Mobilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen die Betriebsleitung und der Störung des Betriebsfriedens durch Preuß und Schmidt. Die beiden hatten auf Solidaritätsgesten der Gewerke (Kostüm, Technik, Bühne) mit einem Dankesschreiben reagiert, was die Theaterleitung als Affront auffasste. Preuß und Schmidt hatten in dem Schreiben eine offene Belegschaftsversammlung »ohne Druck, ohne Leitung« gefordert. kreuzer berichtete.
Nichtverlängerung
Nichtverlängerungen an Theatern sind keine Seltenheit. Denn die Arbeitsverträge sind laut Tarifvertrag NV Bühne jeweils für ein Jahr befristet. Sie verlängern sich automatisch um ein weiteres Jahr, wenn nicht rechtzeitig eine Vertragspartei die Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht. Tut dies ein Arbeitgeber, muss er das in einem Anhörungsgespräch mit dem Angestellten begründen. »Am Schauspiel Leipzig haben wir schon vor Corona vergleichsweise selten von Nichtverlängerungen Gebrauch gemacht, zu Corona-Zeiten gar nicht«, sagt Enrico Lübbe. Da im Corona-Lockdown die Angestellten am Schauspiel Kurzarbeitergeld bezogen, bestand für sie ohnehin Kündigungsschutz. Wie die konkreten Gründe in den Fällen von Julia Preuß und Katharina Schmidt lauten, ist unbekannt. Beide spielten in vielen Rollen, Preuß war zum Theatertreffen der Berliner Festspiele eingeladen. Schmidt ist außerdem Ensemblesprecherin im Personalrat. Beide fechten ihre Nichtverlängerungen juristisch an.
Foto: Rolf Arnold, Schauspiel Leipzig