Eine fetter schwarzer Strich zieht sich über alle Gesichter, die im Treppenaufgang des Schauspielhauses aufgereiht hängen. Sie zeigen das Ensemble und Gäste, sollen eigentlich Einigkeit im Haus symbolisieren. Zwei Gesichter sind zusätzlich mit Kreuzen versehen, wirken rausgestrichen. Die beiden ge-xten Porträts gehören den Schauspielerinnen Julia Preuß und Katharina Schmidt. Ihnen wurde Hausverbot erteilt. Die Bühne, ihren Arbeitsplatz, dürfen sie nicht mehr betreten, ihre Rollen nicht mehr spielen. Eine unerhörte Eskalation an einem Stadttheater.
Wer die Porträtreihe durchgestrichen hat, ist nicht bekannt. Er oder sie hinterließ aber ein deutliches Signal: Der Haussegen hängt schief, sagen die einen. Der Intendant und die Kulturbürgermeisterin widersprechen.
Den Anlass für den Eklat bilden zwei sogenannte Nichtverlängerungen. Schauspielende haben einen besonderen Vertragsstatus, man kann auch sagen, ihre Angestelltenverhältnisse sind prekär. Arbeitsverträge am Theater sind laut Tarifvertrag NV Bühne jeweils für ein Jahr befristet. Sie verlängern sich automatisch um je ein weiteres Jahr, wenn nicht rechtzeitig eine Vertragspartei die Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht. Will ein Arbeitgeber diese aussprechen, muss zuvor ein Anhörungsgespräch mit dem Schauspielenden erfolgen und die Nichtverlängerung begründet werden. Und über die Begründungen in den Fällen von Julia Preuß und Katharina Schmidt, die im Oktober vom Auslaufen ihrer Verträge erfuhren, besteht Uneinigkeit. Beide sehen ihre Nichtverlängerung als ungerechtfertigt an, ist von Quellen aus dem Haus zu hören. Sie hätten Rechtsmittel eingelegt und wollen daher mit dem kreuzer vorerst nicht sprechen.
Das vor zwei Wochen verhängte Hausverbot begründet die Intendanz mit der Mobilisierung der Belegschaft und der Störung des Betriebsfriedens durch Preuß und Schmidt. Die zwei Ensemblemitglieder hatten auf Solidaritätsgesten der Gewerke (Kostüm, Technik, Bühne) mit einem Dankesschreiben reagiert, was die Theaterleitung als Affront auffasste. In dem Schreiben, das dem kreuzer vorliegt, heißt es: »Die überraschenden und nicht nachvollziehbaren ›Nichtverlängerungen‹ sind zu einem Auslöser geworden, eine tiefe Unzufriedenheit mit der Hauspolitik zum Ausdruck zu bringen. Eure Schreiben haben wir mit Bewunderung und Respekt zur Kenntnis genommen und möchten Euch hiermit versichern, dass auch wir (das Ensemble) Euch zur Seite stehen. Wir sind das Schauspiel Leipzig!«
»Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu personalrechtlichen Fragen nicht äußern«, erklärt Intendant Enrico Lübbe, vom kreuzer zu den Vorkommnissen befragt. »Nichtverlängerungen sind für die Betroffenen niemals einfach. Am Schauspiel Leipzig haben wir schon vor Corona vergleichsweise selten von Nichtverlängerungen Gebrauch gemacht, zu Corona-Zeiten gar nicht. Dass ein solcher Schritt nun Verunsicherung auslöst, ist verständlich.« Die Corona-Zeit habe immense »Energie für Koordination und ähnliches erfordert. Natürlich merkt man nun, dass durch die besonderen Umstände der vergangenen Jahre manches an direkten Gesprächen mit den Abteilungen und Kolleginnen und Kollegen nicht wie zuvor stattfinden konnte. In letzter Zeit ist dies nachgeholt worden. Das war ein guter Weg, Dinge zu besprechen und sich neu zu sortieren.« Eine allgemeine »Unzufriedenheit der Belegschaft« am Schauspiel verneint Enrico Lübbe. Die Gespräche hätten aber unterstrichen, wo man nachjustieren müsste: »Es geht um ganz unterschiedliche Anliegen und Sachverhalte, etwa was die veränderten Abläufe und Planungen betrifft. Natürlich nehmen wir diese Anliegen ernst und sind hierzu mit den Mitarbeitenden im Austausch.« Ob das Hausverbot zu Umbesetzungen der Rollen, die Schmidt und Preuß derzeit spielen, oder Vorführungsausfällen führt, konnte Lübbe nicht beantworten: »Natürlich sind wir als Betriebsleitung verpflichtet, den laufenden Spielbetrieb auf die aktuelle Situation anzupassen.«
Sie findet es ist »nicht geboten, Personalentscheidungen öffentlich zu kommentieren«, sagt Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke gegenüber dem kreuzer. »Ich stehe im engen Austausch mit der Betriebsleitung, auch zu diesem Sachverhalt.« Nichtverlängerungen seien im künstlerischen Bereich normal, aber »für die Betroffenen immer ein persönlicher Einschnitt. Dafür habe ich Verständnis.« Auch ihr zufolge hätten sich in Gesprächen des Intendanten mit Mitarbeitenden »die im Brief behauptete Unzufriedenheit nicht bestätigt. Konkrete Vorfälle wurden weder der Betriebsleitung noch mir gegenüber angezeigt.« Zum Eingreifen sieht Jennicke keinen Anlass. »Es handelt sich um personalrechtliche Entscheidungen der Intendanz. Es liegt in der originären Verantwortung von Enrico Lübbe über Engagements im künstlerischen Bereich zu entscheiden. Würde ich hier beginnen, einzugreifen, wo würde das enden?«
Die Bühnengenossenschaft, die die Arbeitnehmerrechte der Schauspielenden vertritt, hat sich eingeschaltet, wie Präsidentin Lisa Jopt dem kreuzer bestätigt. Weil sie in beiden Fällen vermitteln möchte, wollte sie auf Details nicht eingehen; noch nicht. Der kreuzer wird über die weitere Entwicklung berichten.
Titelfoto: Fotogalerie im Schauspiel Leipzig.