Neu gestaltet: Das Grassi-Museum für Völkerkunde eröffnet seine Räume wieder
Ein leichter Hauch von Nikotin schwebt durch den Raum in der zweiten Etage des Grassi-Museums für Völkerkunde. Dabei handelt es sich um den neu entstandenen Bonvenon-Raum. Bonvenon heißt auf Esperanto »Willkommen«. Eröffnet wurde er im Dezember im Rahmen von »Re:Opening No. 3«, eines von der Bundeskulturstiftung finanzierten Prozesses für ein zeitgenössisches ethnologisches Museum; im Grassimuseum trägt er den Titel »Reinventing Grassi. SKD«.
In diesem Bonvenon-Raum befinden sich nun kostenfrei für alle ein Wohnzimmer mit Spiel- und Leseecke, ein Atelier und Teile der ehemaligen Kneipe »Weißes Roß«. Das Lokal befand sich bis 2019 in der Auguste-Schmidt-Straße, im Seeburgviertel unweit des Museums – und liefert heute noch die Nikotinnote. Auf einem Monitor ist die letzte Runde der Gaststätte zu sehen. Darunter steht eine Bank, die hier keine besondere Rolle in der Ausstellungsinszenierung einnimmt. Trotzdem ist sie sagenumwoben, denn es könnte sein, dass darauf Hitler saß. Er nächtigte bei seinen Leipzig-Aufenthalten im Hotel Hauffe, das sich in der Nähe des Lokals am Roßplatz befand. Dazwischen lag die Innere Mission. Aber darum ist die Kneipeneinrichtung nicht Teil des Re-Openings. Vielmehr geht es bei ihr um die Schattenseite der Gentrifizierung, die Gaststätten zur Schließung zwingt und den Menschen ihren sozialen Treffpunkt raubt.
Einen Auftritt hatte die Lokalausstattung unmittelbar nach der Schließung in der ersten von Direktorin Léontine Meijer-van Mensch eröffneten Schau »German Dream: Ütopien aus den Reihenhäusern«. Laut Meijer-van Mensch kann das Fremde im ethnologischen Museum nur reflektiert werden, wenn das Eigene bekannt ist. Und so serviert der letzte Weißes-Roß-Wirt Herr Nagel auch zu ausgewählten Museumsterminen Getränke für die Besucherinnen und Besucher. Neben der Gaststätte finden sich die Arbeitsplätze des Ateliers im neuen Willkommensraum. Hier zeigen lokale und internationale Initiativen des Frauenkollektivs »Frauen in Arbeit« Lösungen für ökologische und soziale Herausforderungen.
Das von 2020 bis 23 laufende Programm »Reinventing Grassi. SKD«, betont die Direktorin bei der dritten Wiedereröffnung, sei »sehr wichtig für die Institution selbstgewesen und konzentrierte sich anfangs eher auf den Innenprozess«. Einen ziemlich starken Eindruck nach außen gab es bisher allerdings auch.
Im März bohrte das Künstlerkollektiv Para den Sockel des von 1907 bis 1926 tätigen Direktors Karl Weule im Treppenhaus an und hinterfragte die Rolle des Direktors des Instituts für Kolonialgeographie an der Leipziger Universität, Hans Meyer, bei seinen Exkursionen in Afrika (siehe kreuzer 08/22 und www.kreuzer-leipzig.de). Die Auseinandersetzungen sind heute noch in einem Museumsraum zu sehen. Ebenfalls schon im Frühjahr eröffnete der »Assoziationsraum«. Hier wird das Publikum zu Beginn von einem erzgebirgischen Bergmann begrüßt. Für Meijer-van Mensch ist dieser Start wichtig, denn »Europa wird oft in ethnologischen Museen vergessen«. Die Ver-bindung mit Objekten aus der ganzen Welt soll den Besucherinnen und Besuchern auch zeigen, welches Potenzial in der Neugestaltung von Museen liegt. Neu finden sich an den Wänden nun Fotografien des belgischen Fotografen Mark De Fraeye aus dessen Serie »Witness of Time«. Sie zeigt seine Sammlung von Objekten als visuelle Anthropologie aus der Welt.
Ganz neu entstand der Raum »Winds of Change – Klanggeschichten von den Andamanen und Nikobaren im Indischen Ozean«. Er wirkt im bisherigen Neuarrangement der Sammlung am stimmigsten. Der Raum verbindet Objekt, Sound und Bild miteinander. Den sehr überschaubar angeordneten Objekten in den drei Vitrinen steht eine gebeamte Fotoshow zur Seite, die die aktuelle Situation der Inseln – einst britische Strafkolonien – beschreibt. Hier herrschen Monsunwinde, Massentourismus und Klimawandel. Aus den Lautsprechern kommen Töne von Korallenriffen, aus dem Regenwald und Berichte der Bewohnerinnen und Bewohner.
Ergänzung erfuhr unterdessen der Raum, der die Leipziger Benin-Bronzen thematisiert. Die Präsentation wurde 2021 abgebaut. Der Freistaat beschlossdie Rückgabe der Bronzen aus den sächsischen Sammlungen am 12. Juli 2022. Im Sommer beschäftigte sich der nigerianische Künstler Enotie Paul Ogbebor mit den Bronzen und setzte seine gemalten Interpretationen zu einzelnen Plastiken ins Verhältnis. 2023 soll dann, so Meijer-van Mensch, eine Ausstellung mit Kolleginnen und Kollegen aus Benin folgen.
Eingelegtes Gemüse »zwischen Feminismus und Kapitalismuskritik«, so die Selbstaussage, stellt der Studiengang Kulturen des Kuratorischen von der Hochschule für Grafik und Buchkunst im Raum »Rapid Response« aus. In dem Raum will das Museum schnell auf Debatten und Ereignisse reagieren und einen »Diskurs- und Diskussionsraum« schaffen. Die aktuelle Präsentation geht auf die Intervention »Erfrischungsraum« während des Festivals Osten in Bitterfeld-Wolfen im vergangenen Sommer zurück. Hierbei geht es um das Sammeln und Fermentieren von Erlebnissen der Menschen in Bitterfeld-Wolfen.
Titelfoto: »Winds of Change«: Blick in den Raum zu Klängen von den Andamanen und Nikobaren, Foto von Tom Dachs