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Kultur

»Es soll ja weh tun«

Grassi-Direktorin über künstlerische Zerstörung und Museumsvergangenheit

  »Es soll ja weh tun« | Grassi-Direktorin über künstlerische Zerstörung und Museumsvergangenheit

Im Grassimuseum für Völkerkunde wurde vor drei Wochen der Sockel, auf dem bis 2019 die Büste des ehemaligen Direktors Karl Weule stand, in einer künstlerischen Intervention um das koloniale Erbe teilweise zerstört.

Am 3. März präsentierte das Grassimuseum für Völkerkunde die ersten Ergebnisse zum Projekt »Reinventing Grassi. SKD«. Die Initiative wird von der Kulturstiftung des Bundes  über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren mit einer Millionen Euro gefördert. Ziel ist es, die Dauerausstellung neu zu konzipieren, neue Kommunikationswege mit den Herkunftsgemeinden zu finden über die Provenienzforschung bis zur Öffnung gegenüber den Stadtgesellschaften (siehe kreuzer 12/2021).

Die Umgestaltung der Sammlung begleiten zeitgenössische Kunstschaffende. Bereits 2016 fand unter der damaligen Direktorin Nanette Snoep die Ausstellung »Fremd« in Kooperation mit der Hochschule für Grafik und Buchkunst statt. Damals wurde die auf einem Sockel im Treppenhaus stehende Büste des ehemaligen Direktors Karl Weule entfernt und in eine Vitrine im Saal der Makonde-Masken gestellt, die während seiner Amtszeit in die Sammlung gelangten. Die Büste wurde dem Museum 1929 vom Verein für Völkerkunde überreicht. Nach der Ausstellung 2016 stand sie wieder im Treppenhaus. Unter der neuen Direktorin Léontine Meijer-van Mensch verschwand die Büste vor drei Jahren im Depot.

Presslufthammer
Foto: Grassimuseum für Völkerkunde, Para

Am Eröffnungstag wurde der Sockel von Menschen in oranger Arbeitskleidung mit Hammer und Pressluftbohrer bearbeitet. Die Aktion bildete einen Teil der künstlerischen Intervention, die sich mit Hans Meyer (1858-1929) auseinandersetzt. Der Verleger und Kolonialpolitiker bereiste Ostasien, Nordamerika und 1887 folgte Ostafrika, die damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika. Bei seiner Erstbesteigung des Kilimandscharo im Oktober 1889 benannte Meyer nicht nur dessen Spitze in Kaiser-Wilhelm-Spitze um, sondern entwendete den obersten Stein. Er wurde halbiert. Die eine Hälfte schenkte er dem Kaiser. Er wurde Bestandteil des Grottensaals im Neuen Palais in Sanssouci und ist heute verschollen. Die andere Hälfte bietet ein österreichisches Antiquariat für 40.000 Euro an.

Die Spitze steht nun im Mittelpunkt eines künstlerischen Beitrags der Ausstellung »Reinventing Grassi. SKD«. Die Künstlerinnengruppe Para, deren Mitglieder aus Berlin, Frankfurt am Main und Hamburg stammen, beschäftigt sich laut Selbstaussage mit Zeitfragen und Narrativen der Erinnerungspolitik. Sie lädt nun die Museumsgäste gemeinsam mit den tansanischen Künstlerinnen Rehema Chachage und Valerie Amani ein, Steine (unter dem Titel »Skrupel«) aus dem Museumssockel für zwanzig Euro zu erwerben. Im Verkauf soll so das erforderliche Kapital zusammenkommen, um die richtige Spitze zu kaufen.

Außerdem entfernte Para im September »die obersten sechs Zentimeter der Zugspitze«. Sie gilt als Tauschobjekt, um die Auktion anzustacheln. Die Homepage »Berge versetzen« (https://berge-versetzen.com/?) dokumentiert und erklärt das Projekt.

kreuzer: Bei der ersten Teileröffnung der neuen Ausstellung bearbeitete das Künstlerinnenkollektiv Para den Sockel, auf dem sich bis 2019 die Büste von Karl Weule befand. Welche Reaktionen erhielten Sie als Direktorin auf diese Aktion am Tag der Eröffnung danach?

Léontine Meijer-van Mensch: Die Idee, vom Museum Substanz abzutragen, so wie es Hans Meyer damals auf dem Kilimanjaro gemacht hat, kommt von Rehema Chachage und Valerie Asiimwe Amani. Sie wollen damit die Debatte öffnen mit einer spektakulären Aktion, die dem Museum auch weh tun soll.

Wir geben im Museum den Platz ab, gerade an diejenigen, die vorher oft nicht selbst im Museum sprechen durften, über die lediglich aus einer wissenschaftlich und europäischen Perspektive gesprochen wurde oder deren Stimmen nur Beiwerk waren. Para, Chachage und Amani nehmen sich den Platz, greifen ein und stören. Sie wirbeln den Staub auf, auch den Staub der fehlenden Auseinandersetzung, um zu sehen, was darunter ist und was mit dem freigelegten Material heute getan werden kann. Die Reaktionen fielen ganz unterschiedlich aus. Damit hat die Performance bereits ein Ziel erreicht: über die Polarisierung die Debatte neu entfachen. Es gibt nicht wenige Stimmen und hier natürlich insbesondere von unseren Partner*innen in Tansania und von Leuten hier vor Ort, die sich für koloniale Erinnerungsorte einsetzen und mit ihren Anliegen viel zu wenig gehört werden, die die Aktion sehr begrüßen. Die Gegenreaktionen gehen leider am Thema etwas vorbei. Es wird sich abgearbeitet an einem Stein, der weder denkmalgeschützt ist, noch zur historischen Gebäudesubstanz gehört. Aber es ist genau dieser Symbolwert, der uns in dieser Art und Weise verdeutlicht, was es bedeutet, wenn etwas zerstört wird. Wir wissen von tansanischen Partner*innen, dass der Gipfelstein des Kilimanjaro sehr wohl vermisst wird. Dass dort also etwas zerstört wurde, was bis heute ein Thema ist. Para, Chachage und Amani setzen sich genau damit auseinander und tragen das Gefühl der Ohnmacht oder aber der Genugtuung, je nach Perspektive, in unsere Auseinandersetzung. Das ist ein aktiver Umgang mit Geschichte.

Können Sie die negativen Reaktionen im Sinne von Zerstörung des Museumsbesitzes  nachempfinden?

Es soll ja wehtun und einigen Leuten tut es weh. Auf der anderen Seite würde sich wohl kaum jemand mit einem Stein vom Kilimanjaro in Deutschland identifizieren, geschweige denn für seine Rückführung eintreten. Es ist ja nur ein Stein. Doch hinter jedem Stein verbirgt sich eine Geschichte und in Tansania gibt es Menschen die um den Symbolwert des Gipfelsteines wissen. Für sie ist das ganz und gar nicht unwichtig. Beim Gipfelstein des Kilimanjaro geht es um die koloniale Aneignung einer ganzen Region als deutsche Kolonie, die »Köpfung« eines heiligen Berges, des höchsten Berges auf dem afrikanischen Kontinent und zwar durch Hans Meyer, der hier im Museum wirkte und mit Karl Weule befreundet war.

Ich frage mich, ob die Leute, die heute ein Unrecht im Umgang mit dem Steinsockel bei uns im Museum erkennen, sich so sehr in der Frage der Rückführung der Kilimanjaro-Spitze engagiert hätten. Doch genau darum geht es ja den Künstlerinnen: Um ein Aufzeigen von Schieflagen in unseren Maßstäben und Bewertungen und um das Aufzeigen unseres Umgangs mit der Vergangenheit. Es gibt Personen, die reden lieber über eine nicht denkmalgeschützten Säule, auf der eine Büste platziert war, als über das Unrecht, das mit großen Teilen unserer Sammlungen verbunden ist. Für mich eine Scheindebatte. Ich habe den beiden tansanischen Künstlerinnen dieses Recht eingeräumt und stehe dazu. Ist es nicht wichtiger, genau diesen Positionen in einem Museum Platz einzuräumen?

Warum reichte nicht die am Beginn Ihrer Amtszeit vorgenommene Benennung des büstenlosen Sockels als Teil einer Präsentation?

Sowohl das Museum für Musikinstrumente als auch das Museum für Angewandte Kunst hatten ebenso Büsten im Treppenfoyer stehen. Es war eine gemeinsame Entscheidung, die Büsten einzulagern und die Säulen abzutragen. Wir haben uns von den drei Häusern am meisten Zeit damit gelassen, um zu prüfen, wie wir damit umgehen wollen. Wir wollten die Büste Karl Weules nicht kommentarlos verschwinden lassen. Es sollte eine kritische Auseinandersetzung mit der Person Weules, seinem Wirken und der Büste geben. Genau das ist passiert. Weule hat während der Kolonialzeit die Sammlungen am Museum verfünffacht. Er profitierte vom kolonialen System und handelte in einem Milieu welches von einem »Sammelwahn« getrieben war. Dabei wussten die Akteure dieses Milieus, was sie taten und wir können heute nicht mehr sagen, dass diese im Zeitgeist gehandelt hätten. Zur Wirkungszeit Weules gab es auch im Deutschen Reich lebhafte Debatten gegen den Kolonialismus, gab es bereits antikoloniale Publikationen, um nur an der Oberfläche zu bleiben. Wir wollen ein offenes Haus sein, in dem wir vor allem aber die historische Verantwortung tragen. Dies haben wir bereits mit unserem Backstage-Bereich zu einem Teil umgesetzt, in dem sich der »Raum der Erinnerung« für Repatriierungszeremonien befindet. Ich denke, dass wir in unserem Museum nicht die Nachfahren empfangen können, die ihre Vorfahren – deren menschlichen Überreste aus Gräbern geplündert wurden – aus dem Museum zurückholen und über allem thront mindestens ein Nutznießer und Profiteur der Kolonialzeit.

Sehen Sie einen Widerspruch darin, dass einerseits historische Museumsvitrinen aus den 1920er-Jahren restauriert werden und andererseits die Akteure aus der Zeit im Depot verschwinden?  

Wir stehen Widersprüchen offen gegenüber, denn in der Reibung entsteht meist etwas Produktives. Die Geschichte des Hauses ist widersprüchlich und in den ethnologischen Museen ist es ein Kern unserer Arbeit, mit Widersprüchen umzugehen und diese für das Publikum zu übersetzen. Direkt im ersten Raum werden Besuchende von einem von der Fotokünstlerin Anja Nitz aufgenommenen Bild der Büste in einem unserer Depots sozusagen begrüßt. Direkt dahinter befindet sich die Sammlung der Makonde-Masken, die von Weule zusammengetragen wurde. Im Endeffekt geht es nun viel mehr um Karl Weule als vorher. Wir lassen die Geschichte aktiv aufleben und stellen sie zur Debatte. Wir reflektieren im ersten Raum der neuen Ausstellung über seine Person, erlauben uns die notwendige Kritik und setzen uns damit auseinander, dass zum Beispiel das von Weule eingeführte systematische Katalogisierungssystem bis heute genutzt wird.

Titelfoto: Tom Dachs


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