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Literatur

Heiße Themen

Ein Leipziger Magazin für erotische Texte zeigt körperliche Liebe abseits der Norm

  Heiße Themen | Ein Leipziger Magazin für erotische Texte zeigt körperliche Liebe abseits der Norm

Die kurze Geschichte einer Begegnung dreier junger Leute in einer schummrigen Bar endet auf der Toilette, wo einer der anderen Körperflüssigkeiten von den Beinen leckt. Lena Aprils »Eisprungdays« ist einer von fünfzehn erotischen Texten, die in der dritten Ausgabe der Hot Topic! versammelt sind. Für die Gestaltung – »angelehnt an die Ära und Ästhetik der Groschenromane«  und gekrönt von einer Illustration Eva Gräbeldingers – zeichnet Grafik- und Web-Designer Clemens Rothbauer verantwortlich, der sich seit 2013 mit der typischen Ästhetik der Billigheftchen beschäftigt, aber nichts anfangen kann mit der darin immergleichen Story: Ein Bergdoktor trifft auf eine unglückliche junge Frau, sie atmet die frische Luft, sieht in tiefblaue Augen, spürt das wahre Leben – dann wird geheiratet. Um diesem heteronormativen und vor allem recht langweiligen Topos etwas entgegenzusetzen, gründeten Rothbauer und Ruth-Maria Thomas Hot Topic! als Magazin für »zeitgemäße Erotikgeschichten in Groschenromanmanier – von everybody für everybody, so echt, so hot – too hot not to talk about«. Das aktuelle Magazin ist bereits seit Mai letzten Jahres erhältlich, die Redaktion steckt gerade mitten in der Arbeit zum nächsten Heft. Erst vor wenigen Wochen wurde der Open-Call erfolgreich beendet. Jetzt beginnt mit der Auswahl die Arbeit am Text, die für Thomas und – die erst kürzlich dazugestoßene – Nina Heller nicht anders ist als die, die sie vom Studium am Deutschen Literaturinstitut kennen: »Das Prickeln ist meistens schon da«, erklärt Thomas den ersten Leseeindruck. Für sie ist der Text am Ende der zahlreichen Lektoratsrunden »tot«, das Prickeln verschwindet in den Details des Close-Readings und seinen zahlreichen Bearbeitungsrunden.  

Manche der Autorinnen und Autoren des Magazins sind bereits bekannt, Sasha Marianna Salzmann zum Beispiel oder John Sauter. Grundsätzlich treffen in der Hot Topic! aber  Debütantinnen und Debütanten auf Etablierte. Zwingend allein ist für die Auswahl, dass der Text bei den Herausgeberinnen das besagte Kribbeln auslöst, bindend der Fokus auf eine Sexualität, die in gängigen Erotik-Formaten selten ist: selbstbestimmtes weibliches Agieren; queere Körper, die sich eindeutigen Zuschreibungen verweigern; Lust auf Sex, der nicht zustande kommt; das vermeintliche Scheitern am Höhepunkt; Selbstbefriedigung; heteronormativer Sex aus weiblicher Perspektive. Neben der inhaltlichen Vielfalt setzt die aktuelle Ausgabe auch auf neue Formen. Im Lyrik-Spezial trifft Statement-Poesie (»Ja, da ist noch was, ja, dort, / abseits der / aktiver-Mann*-nimmt-devote-Frau*-hart-ran- / er-kommt-sie-täuscht-vor-Konstruktion.«) auf ein Close-up verborgener Körperteile (»lingua / glossa glassa / glotta ein länglicher / von schleimhaut überzogener / muskelkörper der auf dem boden / der mundhöhle liegt und diese bei / geschlossenen kiefern fast ganz ausfüllt«).  

Dass das Thema trotz zunehmender Offenheit seitens der Literaturszene mit Scham und Befürchtungen vor Stigmatisierung belegt ist, ist ein Grund mancher Autorinnen und Autoren, ihre Beiträge unter Pseudonym zu veröffentlichen. Die Figuren fiktionaler Geschichten werden zu oft mit ihren Verfasserinnen und Verfassern gleichgesetzt. Doch seit dem Beginn ihrer Arbeit an der ersten Ausgabe im Sommer 2020 beobachten Thomas und Rothbauer eine Veränderung im Umgang mit dem Thema Erotik. Zwar wurde ihnen schon das erste Heft förmlich aus den Händen gerissen — die 120er-Auflage des Freizeit-Projekts war nach zwei Tagen verkauft –, aber  mittlerweile stellt sich auch ein wachsendes Selbstbewusstsein bei den Autorinnen und Autoren ein. So habe sich zum Beispiel ein Autor gegen das Schreiben unter Pseudonym entschieden, trotz seines katholischen Hintergrunds und anfänglicher Zweifel. Und die Auflage des Hefts hat sich mittlerweile verzehnfacht. 

Bei den Hot Topic!-Release-Lesungen werden gern Kissen und Decken verteilt, »um dem Text ein gutes Zuhause zu geben«, so Thomas. Sie stellt immer wieder fest, dass zu den Lesungen kein reines Literaturpublikum erscheint. »Da kommen einfach Leute, die Bock haben auf sexy Geschichten.« Und dann stellt es sich wieder ein, das Prickeln. 

> Hot Topic! erscheint im Marian Arnd Verlag und kostet 9 Euro: www.marian-arnd.de 


Titelfoto: Clemens Rothbauer


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