anzeige
anzeige
Kultur

Alte Bekannte

Die Münsteraner Tanzcompany Bodytalk beschwört Geister als Fast-Premiere im Lofft

  Alte Bekannte | Die Münsteraner Tanzcompany Bodytalk beschwört Geister als Fast-Premiere im Lofft

Am Wochenende im Lofft: Die Tanzcompany aus Münster ist zurück in Leipzig und hat Korea im Gepäck. Für »Koreality – (K)Eine Geisterbeschwörung« haben Bodytalk sich (mal wieder) Unterstützung aus Fernost geholt, in diesem Fall vom Seoul International Dance Festival.

Sie bescheren unvergessliche Bilder. Da wächst einem ehemaligen Bolschoi-Tänzer auf offener Bühne eine Rose aus dem Arsch, nachdem sich das Tänzerensemble vorher bereits durch eine riesige Papierrolle getanzt hat. Drastisch geht es zu, wenn Bodytalk zur Performance laden. Nackt wirbelnde Körper, angedeutete Gewalt oder auch herzallerliebster Tanz mit Rollatoren, wie zuletzt bei »Alte Bekannte«. Überraschend und überwältigend ist es aber immer.

Jetzt ist die Tanzcompany aus Münster zurück in Leipzig – diesmal hat sie Korea im Gepäck. Für »Koreality – (K)Eine Geisterbeschwörung« haben Bodytalk sich (mal wieder) Unterstützung aus Fernost geholt, in diesem Fall vom Seoul International Dance Festival. Am 10. März hatte das neue Stück Premiere im Pumpenhaus Münster – und gleich die erste Gastspielreise eine Woche später führt die Company ins Lofft, mit dem sie eine mittlerweile jahrzehntealte Partnerschaft verbindet.

Deren erste Koproduktion »Zig Leiber/Oi Division« (2010) gewann aus dem Stand den Leipziger Bewegungskunstpreis. Starke körperliche Expressivität, Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen, aber ohne Belehrung, sondern über drastische getanzte Bilder, Live-Musik und immer die nötige Prise Humor gehören zum unverwechselbaren Profil der Truppe.

Waki ist der choreografische Kopf und wurde als Tänzerin vom Tanzrevolutionär Johann Kresnik geprägt. Der stand in den Siebzigern für einen neuen Stil, für wütendes politisches Tanztheater. Wut ist es bei Bodytalk nicht, aber die Company legt den Finger in Wunden. Zuletzt vor einem Jahr bei »Alte Bekannte« mit der Frage von alternden Tänzerinnen – Waki verpflichtete ältere Kresnik-Kollegen und gab der Blut-spur des aktuellen Krieges Raum. Das sorgte dann für entsprechende Reibung, kam aber dennoch stimmig rüber. Die auf der Bühne platzierten Totenköpfe verließen das Hamlet-Zitat und wurden zum Symbol für die Schrecken, die gerade die jungen Tänzer in explosive Bilder zu packen wussten. Die Bühne wurde zur Blutspur und das choreografierte Chaos des Schlussbildes, die Auflösung aller Ordnung war die perfekte Chiffre für die damalige Ungewissheit. Es ist heute noch gültig.

Rolf Baumgart fungiert gleichermaßen als Produzent und musikalischer Kopf der Company. Er hat als Komponist für Theater und Opern gearbeitet und steht eher am Technikpult als auf der Bühne. Waki und er sind seit vielen Jahren in Münster beheimatet – und dort Nachbarn vom Theater Titanick; die Company bekommt die sogenannte Spitzenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Hier in der Region sind sie nicht nur in Leipzig selbst bekannt: In Torgau haben sie 2013 sogar einen veritablen Skandal produziert. In Kooperation mit der Landesbühne Sachsen entstand dort »Ossimisten Wessimisten«, das sich nicht nur des DEFA-Films »Heißer Sommer« annahm, sondern auch der Geschichte des Torgauer Jugendwerkhofs, eines DDR-Jugendgefängnisses mit Zwangsarbeit und Fällen von sexuellem Missbrauch – mit der klassischen Bodytalk-Ästhetik, also auf den Boden klatschenden und gewaltsam ringenden Körpern. Das ging der Stadtwerkechefin zu weit und das Geschrei war groß. Gezeigt wurde das Stück im Hof des Schloss Hartenfels trotzdem. Ein weiteres Stück aus dieser Koproduktionsreihe war »Adams Äpfel«, fürs Leipziger Publikum verbunden mit dem Wiedersehen bereits Bekannter aus »Oi Division«: Sowohl Sylvana Seddig, die 2017 in Leipzig den Faust-Preis des Deutschen Bühnenvereins als beste Tänzerin gewann, als auch Ronny Hoffmann, eigentlich Tänzer beim Leipziger Tanztheater, durften hier dem Rechtsradikalismus tänzerisch und spielerisch auf den Zahn fühlen.

In Polen wurden Bodytalk gerade ausgezeichnet mit dem Golden Yorick des International Shakespeare Festival in Gdańsk, wo ihr »Romeos & Julias unplagued. Traumstadt« zu sehen war. Pandemie trifft Liebende und Bodytalk auf das Polski Teatr Tańca aus Poznań. Es ist bereits ihre dritte Zusammenarbeit, nachdem sich die Vorgängerproduktionen mit geschichtlichen Themen und den unterschiedlichen Blicken aus Deutschland und Polen beschäftigten – davon war nur »Solidaritot« in Leipzig zu sehen. Die »Romeos und Julias« wären sicher einmal ein Gastspiel wert – hallo Euro-Scene, hallo Off-Europa! Im Osten sind sie gerne. Mit der polnischen Truppe Teatr Rozbark brachten Bodytalk »Bilderzerstörer« (2020) ins Lofft. In der Fusion aus bildender Kunst, Tanz und Musik kamen dabei noch einmal ganz neue überschwängliche Bilder zum Vorschein. Besonders das Schlussbild mit tanzenden, in Windeln eingepackten Tiefkühlhähnchen hat sich tief in die Erinnerung des Publikums eingegraben.

Jetzt also Korea. Wie die Kresnik-Erbin und gebürtige Japanerin wohl mit dem Material aus Seoul umgeht? Schon bei »Atom Heart Mother« (2016) zu den Folgen von Fukushima, natürlich im Lofft zu sehen, hat dieser deutsch-asiatische Dialog ein skurriles Feuerwerk hervorgebracht.

■ »Koreality – (K)Eine Geisterbeschwörung«: 17.3., 20 Uhr (Premiere), 18.3., 20 Uhr, 19.3., 18 Uhr, Lofft

Foto: Bodytalk


Kommentieren


0 Kommentar(e)