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Kultur

Dada-Punk im Realsozialismus

Das Leipziger Label Edition Iron Curtain Radio veröffentlicht Interpretationen von Art-Punk aus dem ehemaligen Ostblock

  Dada-Punk im Realsozialismus | Das Leipziger Label Edition Iron Curtain Radio veröffentlicht Interpretationen von Art-Punk aus dem ehemaligen Ostblock

Dada-Punk im Realsozialismus? Ja, es gab in den Ostblock-Staaten lange vorm Mauerfall florierende Subkulturen, die die Restriktionen der staatlichen Autoritäten zu umgehen wussten. Zu ihnen gehörte das Dada-Punk-Quartett AG Geige. Dessen Musik war stark performativ geprägt und basierte außer auf E-Gitarren auf Synthesizern und Samples sowie vom Frühdadaismus beeinflussten Texten. 

Gegründet wurde die Band 1986 in Karl-Marx-Stadt unter anderem von Ina und Jan Kummer. Zwei Kummers aus Chemnitz? Tatsächlich sind die beiden die Eltern von Felix und Till Kummer – zwei Mitgliedern von Kraftklub. Außdem ist Jan Kummer der Vater von Nina und Lotta Kummer, ihrerseits Frontfrauen der Band Blond. Die wiederum hat mit »Ich bin ihr Boy« ein Stück von AG Geige gecovert, auf Youtube zu sehen in der Videoshow »Ba(a)d Schandau Express – The German-Hungarian Art Pop Tribute TV Show«. 

In deren Fokus – der Name lässt es erahnen – stehen aber nicht nur AG Geige, sondern auch das aus Ungarn stammende Kollektiv A.E. Bizottság, das bereits in den frühen achtziger Jahren gegründet wurde und musikalisch noch stärker vom Sound der Siebziger und Bands wie Captain Beefheart geprägt war. Im Vergleich zu den übrigen Staaten des Ostblocks verfolgte Ungarn in jener Zeit eine relativ liberale Kulturpolitik, weswegen sich die subkulturellen Umtriebe der heranwachsenden Generation dort schneller entfalten konnten als etwa in der weitaus restriktiveren Sowjetunion oder der DDR. 

Damals gab es keinerlei Berührungspunkte zwischen den beiden Bands. Für den Leipziger Autor Alexander Pehlemann, der bereits mehrere Bücher über die Subkulturen der ehemaligen Ostblockstaaten verfasst hat, gibt es aus heutiger Perspektive dennoch zahlreiche Verbindungslinien zwischen ihnen: So hätten beide Formationen »mehrdimensional zwischen bildender Kunst, Experimentalfilm und Post-Punk-Sounds agiert und zudem auf verrätselte, surreale Lyrics« gesetzt. Nicht zuletzt hätten beide im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten überraschend große Aufmerksamkeit erzielt – auch über den Ostblock hinaus. 

Auch deshalb hat Pehlemann AG Geige und A.E. Bizottság nun als Exponenten für das Projekt »Ba(a)d Schandau Express« ausgewählt. Im Rahmen dessen haben verschiedene zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus Ungarn und Deutschland – wie Prell, Committee und Ùj Bála – Songs der beiden Formationen neu interpretiert, wobei zum Teil Songs aus dem Deutschen ins Ungarische und umgekehrt übersetzt wurden. »Vol. 1« widmet sich dabei dem Schaffen von A.E. Bizottság, »Vol. 2« dem von AG Geige.  

Unter den Interpreten befindet sich mit Felix Kubin auch ein westdeutscher Künstler, der zwar in den achtziger Jahren als Jugendlicher im NDW-Umfeld von Alfred Hilsberg bereits musikalisch aktiv war, die Subkulturen des Ostblocks allerdings erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Ex-post-facto-Verfahren aufsog. Doch was hat ihn überhaupt daran gereizt, sich eingehender mit den musikalischen Erzeugnissen des Ostblocks zu beschäftigen? »Das ist eine gute Frage«, sagt er im kreuzer-Gespräch und erzählt dann, dass der Punk aus dem Osten nach seinem Empfinden schon immer witziger und frecher, zugleich aber auch romantischer gewesen sei als etwa »dieser schmierige sogenannte Diskurs-Rock«, der sich in den neunziger Jahren in Kubins Heimatstadt Hamburg bekanntermaßen großer Beliebtheit erfreute. 

Kubin wird am 18.3. zur Release-Show von »Ba(a)d Schandau Express« mit auf der Bühne des UT Connewitz stehen, zusammen mit Karl-Marx-Stadt, Rózi Máko und Ùj Bála. Auch Jan Kummer von der AG Geige wird an dem Abend musikalisch mitwirken. Bereits einen Tag vorher werden in der Pracht unter dem Titel »Budapest Underground« zeitgenössische Experimental-Künstler aus der ungarischen Hauptstadt ihre Musik präsentieren. Pehlemann hofft, dass dies der Auftakt eines vertiefenden Austausches zwischen der hiesigen und der ungarischen Underground-Szene sein wird. 

> Budapest Underground: 17.3., 20 Uhr, Pracht 

> The Art Pop Tribute Show: 18.3., 20 Uhr, UT Connewitz 

> Transparenzhinweis: Alexander Pehlemann schreibt gelegentlich für den kreuzer) 


Titelfoto: Promo


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