Seit 2004 beteiligt sich Leipzig an den bundesweit stattfindenden Internationalen Wochen gegen Rassismus. Die 20. Ausgabe dieser Veranstaltungsreihe wartet mit einem Programm auf, das viel Raum für interaktives Lernen, Diskutieren und Unterwegssein bietet. Es hält in diesem Jahr über 60 Angebote von rund 50 veranstaltenden Organisationen und Einrichtungen bereit. Dazu gehören Workshops, Filmvorführungen, Stadtteil-Aktionen, Vorträge, Gespräche und Lesungen ebenso wie Stadtrundgänge, Theater, Installationen und Projekte.
»20. Internationale Wochen gegen Rassismus«: 20.3.–2.4., div. Orte
Film der Woche: Es braucht nicht viel, um das alte Rom zum Leben zu erwecken. Eine verfallene Ruine mit dem weiten Blick in eine karge, zerklüftete Landschaft, durch die Menschen in Roben wandeln und reden. Robert Schwentke lässt mit seiner Interpretation des Lebens und Sterbens des römischen Philosophen Seneca eine versunkene Epoche auferstehen und das einzig mit Mitteln des Drehbuchs und furchtloser Darsteller und Darstellerinnen. Wie schon bei seinem außergewöhnlichen Film über das Grauen der SS, der schwarz-weißen Groteske »Der Hauptmann«, bricht Schwentke auch hier mit den althergebrachten Konventionen der Filmhistorie. »Seneca«, der seine Premiere im Rahmen der diesjährigen Berlinale feierte, ist alles andere als ein klassischer »Sandalenfilm«.
Im Jahre 65 nach Christus ist der Mentor Neros ein selbstgefälliger Narziss geworden, der sich für sein Leben gern reden hört. Er war es, der Nero stets begleitete, auch als er mit 16 Jahren den Thron bestieg. Doch aus Nero ist ein launischer Tyrann geworden, der alle in seiner Nähe ermorden ließ und den Tod seiner Mutter selbst verantwortete. Es dauert nicht lang, da ist er auch Senecas beschwichtigender Zunge überdrüssig und beschuldigt ihn fälschlich der Komplizenschaft bei einem Attentat auf sein Leben. Nero sendet einen Attentäter, der Seneca jedoch die Wahl lässt: Entweder setzt er seinem eigenen Leben bis zum Morgengrauen ein Ende oder der Auftragsmörder wird seine bestialische Arbeit verrichten. Seneca tut das, was er am besten kann und redet um sein Leben – bis er realisieren muss, dass ihm das aus dieser Situation nicht heraus helfen wird.
Der Stuttgarter Robert Schwentke hat eine beachtliche Karriere hingelegt, inszenierte mit Jodie Foster (»Flightplan«) und Bruce Willis (»RED«) und die abschließenden Episoden der Jugendbuchverfilmung »Die Bestimmung«. Seine Wurzeln im Genrefilm (»Tattoo«) sind auch bei seinem eigenwilligen Historiendrama zu spüren. »Seneca« ist nichts für Zartbesaitete, das lehrt schon die Geschichte. Schwentke und sein Co-Autor Matthew Wilder lassen sich von ihr inspirieren, servieren aber ihre ganz eigene Interpretation. Im Gegensatz zum Hochglanz Hollywoods zeigt Schwentke die Intrigen, die Missgunst und auch die Gewalt in ihrer ganzen hässlichen Realität. Die Parallelen zur Gegenwart sind überdeutlich, nicht nur weil Schwentkes Figuren Sonnenbrillen und Armbanduhren tragen. Es sind vor allem die Abgründe der menschlichen Natur, die uns im Angesicht rechter Populisten nur allzu vertraut vorkommen.
Auch Seneca ist kein Heiliger und hat durchaus verdient, was ihm blüht. Mit John Malkovich fand Schwentke den perfekten Darsteller, um diese Ambivalenz zu verkörpern und die nahezu 90 Seiten Monolog überzeugend zu transportieren. Sein Seneca ist der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und wird flankiert von einem Ensemble aus Geraldine Chaplin, Mary-Louise Parker, Samuel Finzi und Louis Hoffmann. Gaspard Noés Kamera-Genie Benoît Debie (»Enter the Void«) verzichtet bewusst auf hochglanzpolierte Aufnahmen, erzeugt aber dennoch große Kinobilder. »Seneca« ist furchtloses Kino von einem der eigenwilligsten Regisseure des Landes.
»Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben«: ab 23.3., Passage-Kinos
Viel wurde bereits erzählt über die Ambivalenz des Schauspieler- und Schauspielerinnen-Daseins. In einem Moment im Rampenlicht auf der Bühne oder im Fokus der Kamera zu stehen und eine Figur zu verkörpern, im nächsten Moment als Privatmensch im Supermarkt zu stehen oder sich durch die Welt der sozialen Medien zu bewegen – immer wieder reiben sich diese Welten und jeder Fehltritt wird gierig von der Schmierpresse aufgesogen. Auch Lars Eidinger hat vor einigen Jahren Öffentlichkeit und Bühne verwechselt und sich mit einer Luxustasche im Design einer Aldi-Tüte vor dem Lager eines Obdachlosen ablichten lassen. Offensichtlich wollte er damit irgendein Statement setzen. Den meisten Pressevertretern war das egal: Die Aktion sorgte für viel Kritik und ein angeknackstes Ego des Schauspielers. Man kann von ihm halten, was man will – aber Eidinger ist nicht nur einer der schillerndsten Künstler Deutschlands mit Auftritten in Deichkind-Videos und exaltierten DJ-Sets, er ist auch einer der begnadetsten Schauspieler unserer Zeit. Schauspielerinnen wie Juliette Binoche oder Isabelle Huppert sind fasziniert von seiner Präsenz. Seine Interpretationen von Hamlet oder dem Jedermann werden gefeiert. Der Dokumentarfilmregisseur Reiner Holzemer zeigt Eidinger in Nahaufnahme. Auch wenn er Persönliches nahezu komplett ausklammert, ist sein Film eine intime Auseinandersetzung mit der Kunst des Schauspiels und das faszinierende Porträt eines Vollblutschauspielers.
»Lars Eidinger – Sein oder Nicht sein«: ab 23.3., Passage-Kinos
Weitere Filmtermine der Woche
Shorts Attack: Oscar Shorts: Animation
Eine Auswahl nominierter animierter Kurzfilme für den Academy Award 2022.
UT Connewitz, 23. März, 19 Uhr
Shorts Attack: Oscar Shorts: Live Action
Eine Auswahl nominierter Kurzspielfilme für den Academy Award 2022.
UT Connewitz, 23.03., 21 Uhr
Persepolis
F/USA 2007, R: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud, 95 min
Von Heimweh geplagt, kann sich die in Teheran aufgewachsene Marjane am Pariser Flughafen nicht entscheiden, ob sie in den Iran zurückkehren soll. Sie blickt auf ihre Kindheit und Jugend zurück. Der Animationsfilm basiert auf dem gleichnamigen Comic von Marjane Satrapi.
Schaubühne Lindenfels, 30.03., 18:30 Uhr (OmU, Women. Life. Freedom)
Taxi Teheran
IRN 2015, R: Jafar Panahi, 86 min
Der iranische Regisseur Jafar Panahi wurde in seiner Heimat mit einem Arbeitsverbot für die nächsten 20 Jahre belegt und drehte trotzdem weiter. Sein überraschend heiteres Werk, eine Taxifahrt durch Teheran mit allerlei illustren Gästen, erhielt auf der Berlinale 2015 den Goldenen Bären. Ein mutiges Stück reaktionäres Kino.
Schaubühne Lindenfels, 27.03. 19 Uhr (OmU, Women. Life. Freedom)
Teheran Tabu
D 2017, R: Ali Soozandeh, 92 min
Seine miteinander verzahnten Geschichten über (Un-)Recht und (Un-)Moral in der iranischen Hauptstadt erzählt dieses Drama im Rotoskop-Animationsstil.
Schaubühne Lindenfels, 24.03. 19 Uhr (OmU, Women. Life. Freedom)
752 Is Not a Number
CDN 2022, Dok, R: Babak Payami, 98 min
Doku über den Abschuss des Flugs 752 von Ukraine International Airlines am 8. Januar 2020 über dem iranischen Luftraum, bei dem alle 176 Personen an Bord ums Leben kamen.
Schaubühne Lindenfels, 23.03. 18 Uhr (OmU, im Anschluss digitales Q&A mit dem Regisseur)
Ponyo – Das große Abenteuer am Meer
J 2008, R: Hayao Miyazaki, 101 min
Liebevoller Animationsfilm für Jung und Alt von Hayao Miyazaki, inspiriert von Hans Christian Andersens Märchen »Die kleine Meerjungfrau«.
Schaubühne Lindenfels, 25.03. 14:30 Uhr (Kinderkino)
Co:memorate
D 2022, Dok, R: Judith Schein, Birgit Said, Alexander Kramer, Antonio Quarta, 45 min
Der Dokumentarfilm zeigt alltägliche Orte, an denen rassistische Gewalt verübt wurde. Auf diesem Weg möchten die Filmschaffenden an Taten und Opfer, vor allem aber an Menschen, an Lebensgeschichten und Spuren erinnern, die allzu schnell im Alltag verwischen.
Kinobar Prager Frühling, 23.03., 18 Uhr (mit Gespräch)
Robin Hood Gardens
D 2022, Dok, R: Thomas Beyer, Adrian Dorschner, 90 min
Doku über den 2017 abgerissenen Sozialwohnungskomplex »Robin Hood Gardens« im Londoner East End.
Luru-Kino in der Spinnerei, 25.03., 17 Uhr (OmU), 26.03., 17 Uhr (OmU)
Anhell69
KOL/RUM/FRA 2022, Dok, R: Theo Montoya, 72 min
Junge queere Menschen aus Medellín kämpfen gegen ein repressives Umfeld. Ein Film über eine Welt ohne Zukunft, die Kraft der Gemeinschaft und die schmale Grenze zwischen Leben und Tod. Gewinnerfilm der Goldenen Taube im Internationalen Wettbewerb des Dok Leipzig.
Kinobar Prager Frühling, 31.03., 19:30 Uhr (Internationaler Tag für trans Sichtbarkeit, OmU)
Anne-Sophie Mutter: Vivace
D 2023, Dok, R: Sigrid Faltin, 91 min
Die Doku porträtiert die Star-Violinistin durch Gespräche mit mehreren Wegbegleitern.
Cinestar, 28.03. 17:30 Uhr
Passage-Kinos, 28.03. 18 Uhr (mit anschließendem digitalen Live-Q&A mit Anne-Sophie Mutter und einem Glas Sekt zur Kinokarte)
Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod
D 2022, Dok, R: Cem Kaya, 102 min
Mit viel mitreißend geschnittenem Archivmaterial erzählt die Doku die weitgehend unbekannte Geschichte der Lebensrealität türkischer Einwanderer in Deutschland anhand der lebendigen Musikszene.
Cinémathèque in der Nato, 23.03., 21:30 Uhr (OmU, Internationale Wochen gegen Rassismus), 28. und 29.03. 19 Uhr (OmU, Internationale Wochen gegen Rassismus)
Blood Diner
USA 1987, R: Jackie Kong, D: Rick Burks, Carl Crew, Roger Dauer, 88 min
Horrorkomödie, in der zwei Brüder zuerst ihren Onkel und dann eine Göttin wiederbeleben, mit Hilfe von Leichenteilen und ihres vegetarischen Restaurants.
Luru-Kino in der Spinnerei, 29.03., 22 Uhr (Horror-Doppel mit Donis, vorher um 20 Uhr läuft »The Menu« im OmU)
Der Gymnasiast
F 2022, R: Christophe Honoré, D: Paul Kircher, Juliette Binoche, Vincent Lacoste, 122 min
Lucas ist 17, als seine Welt durch den Unfalltod des Vaters plötzlich erschüttert wird. In Paris bei seinem älteren Bruder stürzt er sich in anonyme Sexabenteuer mit Männern, um der dörflichen Enge und der Trauer seiner Mutter zu entfliehen.
Passage-Kinos, 29.03., 20:30 Uhr (QueerBLICK, OmU)
Close
B/F/NL 2022, R: Lukas Dhont, D: Eden Dambrine, Gustav De Waele, Émilie Dequenne, 105 min
Mit Präzision und Verständnis für die Fragilität des Lebens an der Schwelle zum Erwachsenwerden erzählt das Drama die Geschichte einer innigen Kindheitsfreundschaft.
Regina-Palast, 26.03., 17 Uhr (Der Sonntagsfilm um 5)
Schaubühne Lindenfels, 26.03., 17:15 Uhr (OmU)
Ein amerikanischer Held – Die Geschichte des Colin Kaepernick
CH 2020, Dok, 50 min
2016 geht der American-Football-Spieler Colin Kaepernick während der Nationalhymne auf die Knie. Ein Akt des Protests gegen rassistische Polizeigewalt. Sein Kniefall stürzt die USA in eine hitzige Debatte um Rassismus und nationale Identität und macht Kaepernick zur Ikone einer Protestbewegung.
Stadtbibliothek, 30.03., 18 Uhr
John-Wick-Quadruple
USA 2014-23, R: Chad Stahelski, David Leitch, D: Keanu Reeves, Ian McShane, Lance Reddick
Alle vier Teile der Actionsaga am Stück.
Cineplex, 25.03., 16 Uhr
Jung und Endo
D 2023, Dok, R: Medienprojekt Wupperta, 75 min
Doku über drei junge Frauen, die ihren ganz persönlichen Weg mit der Krankheit Endometriose beschreiben und zeigen, wie sie den Alltag und ihr Leben gestalten. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter: medienprojekt-wuppertal.de/filmauffuehrungen
Passage-Kinos, 28.03., 19 Uhr (Eintritt frei, mit anschließendem Podiumsgespräch)
Kurzfilme im Rahmen der Internationalen Woche gegen Rassismus
Fünf Kurzfilme in der Reihe »Filme mit Freund*innen«.
Pöge-Haus, 26.03., 20 Uhr
The Quintessential Quintuplets Movie
J 2022, R: Masato Jinbo, 136 min
Fuutaro Uesugi wird sich endlich für eine der fünf Nakano-Schwestern entscheiden. Adaption der Romantik-Manga-Reihe.
Cinestar, 28.03., 17 Uhr (OmU), 20 Uhr (DF)
Cineplex, 28.03., 18 Uhr (OmU), 20 Uhr (DF)
Spuren – Die Opfer des NSU
D 2019, Dok, R: Aysun Bademsoy, 81 min
Der Dokumentarfilm porträtiert die Familien der Opfer des NSU-Komplex.
Schaubühne Lindenfels, 28.03., 19:30 Uhr (Eintritt frei, Filmgespräch mit der Regisseurin, Interkulturelle Woche, OmU)
Stephan Seidel: The Substitute / K.O.
R: Stephan Seidel, D: Arthur Heckmann, Luise Audersch, Katharina Hänssler
Doublefeature: In »The Substitute« gerät ein junger Mann an eine dubiose Gang und in »K.O.« hecken zwei Supermarktmitarbeiter und eine Callcenter-Beschäftigte einen betrügerischen Plan aus.
Luru-Kino in der Spinnerei, 24.03., 21 Uhr
Titelbild: Filmstill aus »Seneca«, Copyright Filmgalerie 451