Die Ausstellung »Hakenkreuz und Notenschlüssel« im Stadtgeschichtlichen Museum widmet sich der Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus
»Wie widerständig sind Kunst und Kultur angesichts der Herausforderungen von Krise, Populismus und Ausgrenzung?« – Mit dieser Fragestellung beschreibt Anselm Hartinger, der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, ein Kernthema der Ausstellung »Hakenkreuz und Notenschlüssel«. Diese sei ein wichtiger Beitrag zur kritischen Erinnerungskultur, bei der an vielen Stellen noch immer ausstehenden Beschäftigung mit der Epoche zwischen 1933 und 1945. Sie lasse uns heute gleichsam in einen Spiegel blicken.
Auch im Nationalsozialismus hatte Leipzig eine besondere Bedeutung als Musikstadt. Obwohl im Rahmen von Jubiläen wie Wagner 2013 oder 800 Jahre Thomanerchor 2012 oder zu Mendelssohn-Jubiläen das Thema Musik und Nationalsozialismus bereits beleuchtet wurde, ist die überblickgebende Ausstellung jetzt mit fast 30 Medienstationen die bisher umfangreichste zum Thema in Leipzig.
Sie zeigt, wie sehr sich das Leipziger Musikleben in dieser Zeit veränderte, wie Musik im Sinne von Machtinteressen instrumentalisiert wurde, in welcher Weise Menschen sich innerhalb des Systems bewegten, wie sie sich korrumpieren ließen, während andere zu Opfern wurden. Die Ausstellung gliedert sich in neun musikalisch überschriebene Kapitel und zeigt von Kapitel 1 – »Vorspiel« – an die Veränderungen im Prozess der sukzessiven Gleichschaltung der Gesellschaft. Gezeigt werden personelle Umbesetzungen, Umwertungen, Auslöschung oder Vereinnahmung und Benutzung von Kulturgütern für ideologische und Propagandainteressen.
Innerhalb jedes Kapitels werden anhand von Einzelschicksalen individuelle Handlungsspielräume thematisiert. War beispielsweise ein Musiker wie Gewandhauskapellmeister Hermann Abendroth (in unmittelbarer Nachfolge des aufgrund jüdischer Abstammung 1933 von seinem Posten verjagten Bruno Walter) wirklich überzeugter Nationalsozialist oder einfach ein Opportunist? Inwieweit haben prominente Musiker innerhalb ihrer Position auch gewisse Dinge verhindern können? Wo haben sie Kompromisse gemacht oder profitiert? Der Anspruch der Ausstellung, multiperspektivisch in der Darstellung von Einzelbiografien zu sein, wird überzeugend eingelöst und entlässt die Besucher und Besucherinnen – dem Thema angemessen – gerade deshalb mit vielen Fragen.
Kuratorin Kerstin Sieblist betont die erschreckende Geschwindigkeit, mit der nach 1933 die Gleichschaltung des Kulturlebens vonstattenging. Eine Periode, in der Weichen gestellt wurden, erste Entlassungswellen um sich griffen und vor allen Dingen auch bereitwillig Selbstgleichschaltung einsetzte. Als markantes Beispiel hierfür zeigt die Ausstellung im zweiten Kapitel – »Gleichklang« – die Entwicklungen am damaligen Landeskonservatorium, der heutigen Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy«. In rechtlicher Hinsicht war die Lehranstalt 1933 eine private Bildungseinrichtung, somit war das Berufsbeamtengesetz vom 7. April 1933 nicht bindend. Ohne rechtliche Grundlage ordnete man sich jedoch auch hier der regierungskonformen Linie unter und entschied sich schon im November 1933 für die Kündigung jüdischen Personals. Noch bevor das Mendelssohn-Denkmal vor dem damaligen Gewandhaus 1936 entfernt wurde, ließ man die Büste des Institutsgründers Felix Mendelssohn Bartholdy in einem Akt vorauseilenden Gehorsams aus dem Foyer des Konservatoriums entfernen. Am 20. April 1937 wurde dafür eine Büste Adolf Hitlers eingeweiht. Die finanziellen Mittel dafür wurden aus privaten Mitteln der Studierenden und Lehrenden bestritten. Rund zehn Prozent des Bibliotheks-Bestandes – rund 109 Komponisten mit 581 Werken – wurden mit einem »N« für Nichtarier versehen und ausgesondert.
»Paukenschlag« stellt die versuchte Auslöschung Felix Mendelssohn Bartholdys der Glorifizierung Richard Wagners gegenüber. Gezeigt werden in dem Zusammenhang auch die Entwürfe für die nie realisierte gewaltige Denkmalsanlage zu Ehren Wagners. Das Kapitel »Abschiedslied« widmet sich explizit der Beleuchtung des jüdischen Musiklebens der Stadt zwischen Auslöschung und Selbstbehauptung. Leipzig hatte vor 1933 die größte jüdische Gemeinde in Sachsen mit 11.800 Mitgliedern. Das Kapitel dokumentiert ergreifende Einzelschicksale, unbeirrbare Standhaftigkeit und zeigt Ansichten komplett vernichteter Teile von Leipzig, wo einst mehrere große Synagogen standen.
In »Akzent« wird die hiesige Jazz- und Swing-Szene thematisiert, die offiziell unerwünscht war und dennoch im Untergrund Leipzigs agierte. Die Veränderungen an der Oper mit Repertoireverboten, der geschlossene Thomanerchor in HJ-Uniformen und die Instrumentalisierung auch der Musik Bachs sind nur einige der außerdem bearbeiteten Themen.
Kerstin Sieblist und Co-Kurator Sebastian Krötzsch stellen eine Präsentation zu Leipzigs Musikleben nach 1945 in Aussicht – nicht zuletzt, da die aktuelle Ausstellung auch unerwartete Kontinuitäten über 1945 hinaus sichtbar macht, zum Beispiel die nahezu bruchlose Weiterbeschäftigung mehrerer ehemaliger NSDAP-Mitglieder an musikalischen Schlüsselpositionen.
- »Hakenkreuz und Notenschlüssel«: bis 20.8., Stadtgeschichtliches Museum, Di–So/feiertags 10–18 Uhr, freier Eintritt an jedem ersten Mittwoch im Monat
- Kerstin Sieblist, Sebastian Krötzsch und Anselm Hartinger (Hg.): Hakenkreuz und Notenschlüssel – Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus. Altenburg: Klaus-Jürgen Kamprad 2023. 164 S., 14,80 €
Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig