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Politik

»Das hat sich immer weiter zugespitzt«

Warum Leipzig nimmt Platz den Protest gegen die »Montagsdemos« eingestellt hat

  »Das hat sich immer weiter zugespitzt« | Warum Leipzig nimmt Platz den Protest gegen die »Montagsdemos« eingestellt hat

Es wurde ruhiger am Montag. Im Juni beendete das Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« seinen regelmäßig organisierten Gegenprotest der rechts-verschwörerischen »Montagsdemonstrationen«. Die Gründe dafür laut Stellungnahme: geringe Teilnehmerzahlen auf der Gegenseite sowie Polizei-Repressionen, denen der eigene Protest ausgesetzt gewesen sei. Wie diese Repressionen genau aussahen, fragte der kreuzer bei Irena Rudolph-Kokot von »Leipzig nimmt Platz« nach.

Seit dem Jahr 2009 protestiert »Leipzig nimmt Platz« in Leipzig und Umland gegen rechts. Als Zusammenschluss verschiedener Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen organisieren sie eigene thematische Veranstaltungen sowie aktiven Gegenprotest, auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams.

Wie lief Ihr Gegenprotest ab?

Wir hatten keine konstante Protestform. Wir haben uns zum Beispiel mit Liegestühlen und Popcorn auf den kleinen Willhelm Leuschner Platz gestellt, wo der Hassauflauf vorbeigelaufen ist. Um zu zeigen, »Das ist hier Zirkus«. Es ist auch eine lächerliche Nummer, ohne zu verschweigen, dass da sehr gefährliche Menschen dabei sind.

Wir hatten spontane Versammlungen mitten auf der Straße. Wir haben symbolisch Stolpersteine verlegt und auf die Straße gepinselt. Wir haben auch angemeldete symbolische Blockaden gemacht, da musste die rechte Melange umgeleitet werden. Das waren eher so taktische Geschichten. Also sehr, sehr unterschiedliche Protestformen, um Leute auch abzuholen.

Wen haben Sie mobilisiert?

Also wenn man Größeres geplant hat, dann war das Querbeet. Ansonsten sind es vorwiegend junge Menschen.

Sie beenden den montäglichen Gegenprotest auch wegen nicht tragbaren Repressionen seitens der Polizei und der Versammlungsbehörde. Welche Art von Repressionen erlebten die Demonstrationsteilnehmenden?

Es wurde im Falle einer Sitzblockade einfach gleich gekesselt und alle ID behandelt (Erfassung von personenbezogenen und biometrischen Daten einer Person durch die Polizei, Anm. d. Red.). Das hat sich zugespitzt mit der Zeit, dass man komplett davon abgekommen ist, den Leuten die Ansage zu machen: »Ihr seid keine Versammlung, bitte steht auf und geht«. Im Prinzip wurden alle rechtsstaatlichen Grundsätze außer Kraft gesetzt. Das hat sich immer weiter zugespitzt und aus unserer Sicht klar was mit der Staatsanwaltschaft zu tun.

Mit der Staatsanwaltschaft?

Im Laufe der Proteste hat sich der Umgang geändert und es kamen öfters Aussagen von Polizei oder teilweise auch von Mitarbeiter:innen der Versammlungsbehörde, das sei so mit der Staatsanwaltschaft abgesprochen. Wo ich mir sage: Das ist spannend. Also, dass der Wunsch bestand, dass jede auch noch so kleine Blockade aufgenommen wird.

Die Repressionen meinen also hauptsächlich das ID-Behandeln und das Kesseln?

Wenn junge Menschen öfters in ID-Maßnahmen bei Versammlungslagen geraten, egal ob wegen vermeintlichen Auflagenverstößen oder angeblichen Verhinderungsblockaden, dann kam es schon vor, dass sie zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeladen wurden, um Fingerabdrücke und so abzugeben. Als Begründung wurde dann gesagt, dass man aufgrund der Häufigkeit der Verstöße davon ausgehen müsse, dass sie auch weiterhin Straftaten begehen würden. Das ist aus meiner Sicht eine krasse ungerechtfertigte Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement.

Der Umgang mit den jungen Menschen ist unter aller Sau: Die behandeln die zum einen wie Schwerverbrecher:innen und zum anderen hat man immer den Eindruck, das sollen Erziehungsmaßnahmen sein. Von manchen Polizist:innen wird das auch so artikuliert. Wo man nur sagen kann: Ihr habt keinen Erziehungsauftrag, das steht euch überhaupt nicht zu. Diese Abschreckung, die da gewollt vollzogen wird, ist aus meiner Sicht in vielen Punkten gefährlich. Denn entweder wenden sich Menschen dann ab und sagen: »Ich will damit überhaupt nichts mehr zu tun haben«, die sind für die Demokratie verloren. Und dann wundern wir uns, warum Leute nicht wählen gehen und sich nicht beteiligen. Oder sie radikalisieren sich. Auch das ist, glaube ich, nicht das, was gewollt sein kann. Diese Schwierigkeit versuchen wir schon die ganze Zeit zu artikulieren und es kommt einfach nicht an.

Wird denen dann auch irgendwas vorgeworfen, nachdem die Identität festgestellt wurde?

Da kommen unterschiedliche Sachen, das ist nach Gusto. Es wird viel eingestellt, aber manche Sachen eben nicht. Im Grunde genommen sollen die Zahlen hochgetrieben werden, weil das alles unter linksmotiviert fällt. So entstehen die Zahlen: Wenn man sich das genau anguckt, sind das hauptsächlich solche Sachen, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz oder alle möglichen Geschichten in der Richtung.

Zum zivilen Ungehorsam gehört es nach dem Verständnis der Gruppe, die Konsequenzen für sein Handeln zu tragen. Sind diese Repressionen die Konsequenzen, die man tragen sollte?

Wir versuchen natürlich so viel wie möglich im komplett legalen Rahmen zu machen. Und natürlich, wenn ich eine Autobahn blockieren würde, oder etwas anderes, wo es wirklich Eingriffe gibt, dann ist das aus meiner Sicht klar, dass es ein Bußgeld gibt. Aber was jetzt stattfindet, sind kaum Komplettblockaden, es sind kleine Sitzblockaden, bei denen, wenn überhaupt, eine Behinderung stattfindet, aber keine Verhinderung. Und bei diesen so massiv vorzugehen, genau das nennen wir akute Repression. Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit und wir sehen grade nicht, dass überhaupt noch verhältnismäßig gehandelt wird.

Gibt es einen Gegenprotest, welche nicht diesen Repressionen unterfallen würde?

Selbst bei normalen Standkundgebungen, wo gar nichts passiert, wird gesucht: Da ist eine Glasflasche, dort hat jemand eine Vermummung. Wir haben bei regulären Versammlungen jedes Mal die Diskussion wegen irgendwelcher Regenschirme, wegen Transparenten. Es wird einfach alles rangezogen. Ich war auf vielen Demonstrationen, und das hat eine neue Qualität angenommen. Ich finde die Behörden überziehen grade extrem, und greifen so in die Versammlungsfreiheit ein, dass es überhaupt keinem mehr Spaß macht auf eine Demo zu gehen.

Auch, wenn es kein ziviler Ungehorsam ist?

Genau. Und damit ist aus meiner Sicht irgendwann ein Punkt erreicht, wo es gefährlich ist. Weil: Wenn die Bürger:innen Angst haben, überhaupt eine Versammlung durchzuführen, dann sind wir auf einem anderen Level angekommen.

Wie ordnen Sie es ein, wenn Protest wegen der Angst vor Repression nicht mehr stattfindet?

Dann befinden wir uns in einem autokratischen Staat. Das, was grade passiert, speziell in Sachsen, speziell hier und einseitig gegen Linke oder vermeintliche linke Versammlungen ist schon eine neue Qualität. Gepaart mit den Umfrageergebnissen der AfD, mit den Wahlen, die grade um uns herum stattgefunden haben, halte ich das für sehr gefährlich.

Was müsste sich verändern, damit Leipzig nimmt Platz den Protest wieder stattfinden lässt?

Was wir im Moment nicht machen, sind die Proteste gegen diese kleine Gruppe, weil die aus unserer Sicht durch unseren Protest eher medial aufgewertet wird. Das sind um die hundert Leute, die offensichtlich nichts Besseres zu tun haben, als am Montag hassbrüllend um den Ring zu rennen. Im Moment sehen wir bei denen eher eine Art Selbstbeschäftigung. Die nerven nur die Umgebung, mehr als Kopfschütteln erreichen die nicht. Aber wir schauen genau hin, was da jeden Montag passiert und wenn es nötig wird, werden wir wieder zu Protesten aufrufen.


 Foto: Demonstrationen und Sitzblockaden am 3. Oktober 2022, von Leon Joshua Dreischulte.


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