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Kultur

Geselligkeit bei Gitarrenmusik

Partysan: Das Extrem-Metal-Fest tobte im Gegensatz zum Wacken-Open-Air bei bestem Wetter

  Geselligkeit bei Gitarrenmusik | Partysan: Das Extrem-Metal-Fest tobte im Gegensatz zum Wacken-Open-Air bei bestem Wetter  Foto: Tobias Prüwer

»Are you good?« Die unfreiwillige Komik entging dem Sänger von Urgehal, als er das Publikum nach dessen Wohlbefinden befragte. Denn eben besang er kunstblutgetränkt, in nietenstarrender Lederklamotte und ellenlangen Stachelarmbändern tausend Höllen. »We are evil«, gaben einige mit einem Lächeln zurück. Freundlichkeit herrschte ohnehin unter den Anwesenden auf dem Partysan. Jeder unabsichtliche Anrempler wurde entschuldigt, verschüttetes Bier bezahlt. Ansonsten unterhielt man sich vor allem über Musik. Denn dem rauen Anstrich zum Trotz ging es auf dem  Extrem-Metal-Festival um Geselligkeit bei Gitarrenmusik – sowie um schlechte und gute Witze.

»Ist es schlimm?« »Nein, Schlamm!«: Mancher Metal-Fan in Schlotheim hat die sarkastischen Worte noch im Ohr, als er die Bilder vom Wacken Open Air in der vergangenen Woche sah. Das mutmaßlich größte Metal-Festival der Welt ist buchstäblich abgesoffen. Das Partysan, das wichtigste Metal-Festival im Osten, hatte dieses Schicksal auch einmal fast ereilt. 2010 brach der Schlammmassel (kreuzer berichtete) über die Party herein. Einige Metaller reagierten nun höhnisch mit Schadenfreude, dass das teilweise als Disney-Land der Metal-Szene verlachte Event quasi ins Wasser fiel. Das Partysan aber zollte Solidarität und Mitgefühl mit den von der Malaise betroffenen Norddeutschen. Und zeigten damit wahre Größe. Man muss sich nicht immer als Konkurrenten betrachten.

Seit 2010 garantiert das bei Schlotheim gelegene Flughafengelände mit betonierten Wegen, dass rund 10.000 Metal-Fans alle Wetterkapriolen überstehen. Angesagtes Gewitter am Samstag und sengende Hitze am Vortag konnten der Laune auch dieses Jahr nichts anhaben. Für Abwechslung im eng gesteckten Bereich der Extrem-Metal-Genres sorgten von Donnerstag bis Samstag 60 Bands auf zwei Bühnen. Die Bandbreite reichte vom sehr musealen Auftritt von Destroyer 666 im Thrash-Gewand bis zum Crust-Roundhouse-Kick von Skitsystem.

Es wurden einige Wall of Death gesichtet, ein Circle Pit kreiste fast immer. Dabei läuft man in einem großen Kreis vor der Bühne herum und zerteilt üblicherweise mit der Handkante die Luft zum Beat des Schlagzeugs. Um dieses sonst männlich dominierte Tanzritual aufzulockern, luden Brutal Sphincter zum Nur-Frauen-Kreislauf. Das kam gut an und danach war der Circle Pit deutlich gemischter, was die Geschlechter angeht. Da zeigte sich der mitunter textlich explizit pornografische Goregrind von seiner freundlichsten Art. Die Belgier, die erstmalig auf dem Festival spielten, holten bei vielen Sympathiepunkte. Apropos Sexismus: Eine Frau im Shirt von Die Kassierer fragte ernsthaft, ob mein »Bitchhammer«-Nicki nicht sexistisch wäre. Nun muss nicht jeder Metal-Ironie verstehen, aber sie trug ernsthaft ein Kassierer-Shirt!

»Mein Hut der hat drei Ecken...«: Der sichtlich gut aufgelegte Sänger von Skinnless (USA) ließ die Melodie aus seinen Grundschulzeiten hören. Mehrfach sang er die Zeilen während des Auftritts, warf seinen Strohhut (rund!) in die Menge. Die Death-Kombo lieferte eine kurzweilige Groove-Session und man merkte ihnen das Alter überhaupt nicht an.  Überraschungen boten einige Bands. Kanonenfieber – eine absolut unbedenkliche Band – trugen ihre kritischen Auseinandersetzungen mit dem Ersten Weltkrieg in Uniform vor. Und stellten damit eine ernsthafte Frage: Kann man da noch unbedenklich die Pommesgabel machen und sie abfeiern? Wie damit umgehen in einem Genre, wo spielerisch ständig der Krieg ausgerufen wird?

Dauer- und Durchbrenner waren wieder eimal Dying Fetus bei leider mittelmäßigem Sound. So war nicht jedes Detail von Saitenanschlagen und -schrammen, Trommeltritten und Beckenklingeln herauszuhören. Als Nackenbrecher bewies sich der technische Death-Metal der US-Amerikaner dennoch. Bei Nile (USA), die ebenfalls einen sehr technischen Drum-Stil pflegen und wo es überall klackt, war der Sound vorn jedenfalls noch viel besser. Seit Jahrzehnten unterwegs, legten Deicide (USA) eine erfrischend lebendige Death-Thrash-Performance hin, Spectral Wound (Kanada) zogen mit brachialem Black in die Schlacht um die Hörgänge.

Alle Bands können hier nicht lobend erwähnt werden. Enslaved bildeten als Festivalabschluss am Samstag kurz vor Mitternacht die Lichtbringer. Sie traten zu einem exklusiven Set an und spielten nur Songs der Platte »Vikingligr Veldi« von 1994, ein Meilenstein des Viking-Metals. Epischer Black-Metal, leise unterlegt mit Keyboards und hymnischen Instrumentalpassagen prägen das Werk, das die Norweger überzeugend präsentierten. Bei perfektem Sound und unterstreichender Lichtshow zeigte sich die Qualität des Albums als zeitlos. Mit einem rund zehnminütigen Medley – darunter Songs der ebenfalls einschlägigen Scheiben »Frost« und »Eld« – verabschiedeten Enslaved die Fans wehmütig in die tiefe Nacht.


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