In Sachsen wird der Gewaltschutz bisher über einen Landesaktionsplan geregelt, der mittlerweile zehn Jahre alt ist. Er empfiehlt unter anderem, eine landesweite Koordinierungsstelle einzurichten und einen stärkeren Fokus auf benachteiligte Gruppen, wie ältere Menschen, Kinder und Menschen mit Behinderung, zu legen. Bis heute sind diese Ziele in Leipzig nur bruchstückhaft umgesetzt. Aus dem sächsischen Justizministerium heißt es, man wolle einen neuen Landesaktionsplan bis Ende 2023 fertigstellen. Dieser solle sich stärker an den Vorgaben der Istanbul-Konvention orientieren und zum Beispiel die Angebote zur Prävention ausbauen. Für Sofa-Mitarbeiterin Ida ist das nicht genug: »Ich wünsche mir eine bundesweite und personenunabhängige Finanzierung für jede Frau und jedes Kind. Das würde mit einem Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz einhergehen.«
Doch es könnte Bewegung in den Gewaltschutz kommen. Am 1. Juni 2023 hat die EU-Kommission beschlossen, der Istanbul-Konvention (IK) beizutreten. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, eine staatliche Koordinierungsstelle für die Umsetzung der IK zu schaffen, nachdem sich Deutschland schon 2018 verpflichtet hat, die Istanbul-Konvention umzusetzen. Die IK ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen. Konkret fordert die Konvention, ausreichend finanzielle und personelle Mittel für Frauenhäuser bereitzustellen, um genügend Schutzunterkünfte für Betroffene zu schaffen: mindestens einen Schutzplatz pro 7.500 Einwohner und Einwohnerinnen. Das wären 545 in Sachsen und 82 in Leipzig, tatsächlich sind es 320 in Sachsen und 57 in Leipzig. Derzeit hat die Istanbul-Konvention den Status eines Bundesgesetzes. Laut Dorothea Hecht von der FHK bedeutet das, »dass die IK selbst keine Anspruchsgrundlage darstellt, auf die sich Einzelne unmittelbar berufen können – sie bietet vielmehr wie eine Lupe den Blick auf Schwachstellen und muss bei allen staatlichen Maßnahmen beachtet werden.«
Ein unabhängiges Gremium aus Expertinnen und Experten – kurz GREVIO – hat im Oktober 2022 seinen ersten Bewertungsbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland veröffentlicht. Die Bilanz ist durchwachsen: Während der Bericht die Verschärfung verschiedener Gesetze lobt, kritisiert er gleichzeitig, dass immer noch keine nationale Strategie entwickelt wurde, um den Gewaltschutz zu verbessern und die Ziele der Istanbul-Konvention nachhaltig umzusetzen. Bisher stünden immer noch nicht ausreichend Schutzeinrichtungen bereit. Auch Frauen mit Behinderung, unklarem Aufenthaltsstatus und mehreren Kindern würden vom Hilfesystem nicht ausreichend aufgefangen. Oft führe das laut GREVIO dazu, dass Gewaltopfer schlussendlich wieder zum Täter zurückkehren oder obdachlos werden.