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Kultur

»Wie man seiner gedenkt, ist wichtiger als der Ort, an dem er begraben wird«

Autor George Knottnerus über die Lebensumstände des Marinus van der Lubbe

  »Wie man seiner gedenkt, ist wichtiger als der Ort, an dem er begraben wird« | Autor George Knottnerus über die Lebensumstände des Marinus van der Lubbe  Foto: George Knottnerus (c) Terry Meerveld Ede

In der Nacht des 27. Februar 1933 wurde der Reichstag in Brand gesetzt. Am 10. Januar 1934 wurde dafür der Niederländer Marinus van der Lubbe in Leipzig hingerichtet. Bis heute konnte nicht nachgewiesen werden, dass van der Lubbe wirklich der alleinige Täter war. 2007 war das Urteil gegen ihn vom durch die Bundesanwaltschaft aufgehoben worden.

Schriftsteller, Autor und Verleger George Knottnerus, schrieb 2014 das Buch »Missie Berlijn« (z.dt. »Mission Berlin«), das sich mit dem Leben Marinus van der Lubbes befasst. Im Interview spricht er über van der Lubbes Kindheit und die verschiedenen Theorien, die sich um den Reichstagsbrand ranken.

Was können Sie zu van der Lubbes Kindheit, seiner Jugend und seiner beruflichen Entwicklung sagen?

Marinus war das jüngste Kind einer armen, neunköpfigen Familie. Als er sieben Jahre alt war, lief sein Vater weg. Als er 12 Jahre alt war, starb seine Mutter. Sie war ständig auf der Flucht vor Mietschulden und zog mit der Familie mehrmals um. Marinus half seiner Mutter, wo er konnte. Er schloss die Grundschule ab. In Oegstgeest wurde er von seiner Halbschwester und ihrem Mann aufgenommen. Dort absolvierte er einen Abendkurs als Maurerlehrling. Marinus liebte den Bau und das Maurerhandwerk. Leider erlitt er im Alter von 15 und 17 Jahren Arbeitsunfälle, die ihn auf beiden Augen teilweise erblinden ließen. Er behielt etwa 30 Prozent seiner Sehkraft. Als er arbeitslos wurde, musste er seine körperlichen Kräfte und seine unbändige Energie irgendwo unterbringen. Er engagierte sich in der Arbeitsorganisation, in sozialen Kämpfen und ging auf Weltreisen.

 

Was bedeutete dauerhafte Invalidität in den 1920er Jahren in den Niederlanden?

Im Allgemeinen bedeutete das Betteln, Abhängigkeit von privater Unterstützung oder einer mageren Invalidenrente.

 

Was für ein Mensch war Marinus van der Lubbe? Warum ist es unwahrscheinlich, dass er sich von Leuten manipulieren ließ, die sich als Linke ausgaben, aber Nazis waren?

Meiner Meinung nach war er überdurchschnittlich unabhängig und eigenständig in seinem Denken und Handeln. Dies wurde auch von den Psychiatern Bonhoeffer und Zutt bestätigt, die ihn während des Prozesses 1933 eingehend untersuchten. Vom Charakter her war er unternehmungslustig, positiv, sozial, rechtschaffen, aber sehr rechthaberisch, sogar stur. Manchmal war er auch naiv und unrealistisch.

 

Wie hat die niederländische Gesellschaft auf den Prozess reagiert, der damals zeitweise international verfolgt wurde?

Die Niederländer waren überrascht, schockiert, aber auch beschämt. Man befürchtete, dass er die Dinge nur noch schlimmer gemacht hatte. Dass er Hitler in die Hände gespielt hatte.

 

Wie hat sich die Wahrnehmung zum Reichstagsbrand im Laufe der Jahre verändert?

Wissenschaftlich und historisch gibt es keine Beweise dafür, dass Marinus an einer Verschwörung beteiligt war. Das passte auch nicht zu seinem Charakter. Auf jeden Fall hat Marinus wirklich geglaubt, er sei der alleinige Täter, was wahrscheinlich auch stimmt.

 

Wie war es dann möglich, eine alternative Geschichte aus mehreren Mittätern zu konstruieren?

Die Berliner Polizei hat zusammen mit der deutschen Justiz viele Rekonstruktionen in Auftrag gegeben und Marinus' Bericht geprüft. Dabei stellte sich immer wieder heraus, und so wurde es auch in den Gerichtsakten festgehalten, dass Marinus' Geschichte der Wahrheit entsprach. Ein Offizier von außerhalb des Reichstages schoss nachweislich auf Marinus, als dieser im Reichstag war. Da aber Göring noch in der Brandnacht rief, dass es die Kommunisten gewesen seien, wurden Experten mit einer doppelten Absicht hinzugezogen. Sie behaupteten, dass Marinus es nicht allein getan haben konnte.

 

Warum ist es für einige Historiker so wichtig, zu beweisen, dass Marinus van der Lubbe kein Einzeltäter war?

Viele Menschen halten einen einzelnen mutigen, wenn auch naiven, Widerstandskämpfer im Jahr 1933 für unglaubwürdig. Damals wurde die Weltbühne von Bewegungen, Parteien, Massen beherrscht, glauben diese Menschen. Ich denke auch an Peinlichkeit: Es kann doch nicht sein, dass ein armer arbeitsloser halbblinder Maurer mehr gesehen und gewagt hat als mancher Intellektuelle.

 

Wie hat man in den Niederlanden die Exhumierung Marinus van der Lubbes verfolgt?

In den Medien wurde dem Ereignis sofort viel Aufmerksamkeit geschenkt, wenn auch nicht im Fernsehen. Denn es stellten sich die Fragen: Lag Marinus wirklich dort und war er vielleicht in Gefangenschaft oder während des Gerichtsprozesses unter Drogen gesetzt worden von den Nationalsozialisten?

 

Sollten die Überreste von Marinus in Leipzig bleiben oder gibt es Argumente, ihn in die Niederlande umzubetten?

In Leiden gibt es fachkundige Stimmen, die dafür plädieren, ihn in den Niederlanden zu bestatten. Ich persönlich denke, dass die Art und Weise, wie man seiner gedenkt, um ein Vielfaches wichtiger ist als der Ort, an dem er begraben wird. Für mich ist Marinus ein ganz besonderer und schöner Mensch. Auf jeden Fall ein rechtschaffener und engagierter Mann mit bewundernswerten Ansichten und viel Mut.

 

Wissen sie etwas über das berühmte Foto von Marinus van der Lubbe mit den Kohlenanzündern?

Ich glaube, die Berliner Polizei hat einige Tage oder Wochen nach dem Reichstagsbrand das Foto von Marinus gemacht, der ganz stolz auf die Brandstiftung war. 

 

> Künstlerkollektiv Marinus auf Instagram und FB

> Ausstellung »115« zum 115. Geburtstag von Marinus van der Lubbe: 13.1., 20 Uhr, im Kunstraum Salon Similde, Simildenstr. 9. Hier gibt es weitere Infos zur Veranstaltung.

> Gedenken am Grab Marinus van der Lubbe und Kollquium: 10.1., 13 Uhr, Südfriedhof, 14 Uhr Hauptkapelle Südfriedhof


Transparenzhinweis: Jos Diegel ist beim Künstlerkollektiv Marinus aktiv.

 


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