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Stadtleben

Ein Mann der Tat

Vor 114 Jahren wurde Marinus van der Lubbe am 13. Januar in Leiden geboren

  Ein Mann der Tat | Vor 114 Jahren wurde Marinus van der Lubbe am 13. Januar in Leiden geboren

»So, jetzt sind sie wieder für ein, zwei Jahre lesbar«, mit den Worten beendet der niederländische Konzeptkünstler Ronnie Sluik am vergangenen Dienstag seine Aktion auf dem Südfriedhof. Mit Bürste und Wasser reinigte er den Gedenkstein für Marinus van der Lubbe, der den Reichstag in Berlin am 27. Februar 1933 angezündet haben soll. Auf dem von Sluik und Reinier Kurpershoek errichtet Gedenkstein sind jetzt wieder die Namenszüge des Niederländers und drei Daten im Leben des mit 23 Jahren Getöteten zu lesen. Der 50 Zentimeter hohe und ein Meter lange Stein ist den Bausteinen des Berliner Reichstagsgebäudes nachempfunden - aus Sandstein und in dem Schnitt der Steine für das Parlamentsgebäude. Es gibt drei dieser Steine - einen in van der Lubbens Geburtsstadt Leiden, einen in Berlin vor dem Deutschen Theater, da ein Platz vor dem Reichstag nicht genehm war, und an seinem Sterbeort in Leipzig. Auf den Sockeln finden sich jeweils die Strophe eines Gedichtes, das Marinus van der Lubbe im Gefängnis schrieb. Anfang der 1990er-Jahre fand es Sluik im Bundesarchiv in Berlin-Hoppegarten. Dort lagern Kilometer an Akten zum Reichstagsbrand sowie persönliche Aufzeichnungen von Marinus van der Lubbe aus der Haftzeit.

Am 10. Januar 1934 gegen 7.30 Uhr wurde Marinus van der Lubbe vom Scharfrichter Alwin Ehrhardt im Hof des Leipziger Landesgerichtes ermordet. Drei Wochen zuvor sprach das direkt gegenüberliegende Reichsgericht, das damals höchste Gericht im Land, das Todesurteil über den Niederländer. Er hatte gestanden, allein das Feuer im Reichstag gelegt zu haben. Für die Nazis stand fest, dass die Kommunisten hinter dem Brand steckten. Oder mit Hitlers Worten: »Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden.« Es folgten große Verhaftungswellen in den Reihen der Kommunisten und bei dem im September 1933 beginnenden Reichstagsbrandprozess im Leipziger Reichsgericht – dem heutigen Bundesverwaltungsgericht – waren neben dem sich für schuldig bekennenden Marinus van der Lubbe, dessen vermeintlicher Anstifter Ernst Torgler, Vorsitzender der KPD-Reichstagsfraktion, sowie die bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoj Siminoff Popoff und Wassil Konstantinoff Hadji Taneff angeklagt (mehr dazu im kommenden kreuzer 2/2023). Das Todesurteil erging nur an van der Lubbe. Sein Leichnam wurde anonym auf dem Südfriedhof in der VIII. Abteilung beigesetzt. Zu seinem 90. Geburtstag 1999  wurde der Leipziger Gedenkstein mit einer großen Zeremonie eingeweiht.

Vor der Aktion von Ronnie Sluik am vergangenen Dienstag waren weder der Name noch die Daten auf dem Stein zu erkennen. Bei den Daten handelt es sich um das Geburtsdatum (13.1.1909), den  Reichstagsbrand (27.2.1933) sowie den Tag der Hinrichtung (10.1.1934). Ursprünglich fand sich auf dem Stein auch noch ein Bild von der Nordsee. In den Niederlanden war damals eine Siegprämie von 500 Gulden für den ersten Schwimmer durch den Kanal nach England ausgeschrieben. Der sportbegeisterte und sportliche van der Lubbe hatte als erster Niederländer den Kanal schwimmend durchqueren und die Siegprämie einem sozialen Projekt zukommen lassen wollen. Er plante die Errichtung einer Kinderbibliothek. Diese Geschichte, die Sluik während seiner Reinigungsaktion am Dienstag erzählte, zeigt, welch ein Optimist der niederländische Linke war. Er war sich sicher gewesen, dass er nach einiger Zeit im Gefängnis wieder in Freiheit leben würde. Dazu kam es nicht, denn die Nazis erließen Ende März – und damit vier Wochen nach dem Brand – das Lex van der Lubbe: ein Gesetz über die Verhängung und den Vollzug der Todesstrafe. Sie stand nun auch auf Brandstiftung.

Für Sluik war Marinus van der Lubbe »kein Mann der Politik, sondern der Tat«. Was seine Rolle in der Geschichte nicht einfach macht. Bis heute ist der Reichstagsbrand nicht aufgeklärt. Die Frage nach der Alleinschuld des Niederländers konnte nicht nachgewiesen werden. Nach jahrzehntelangem Kampf der Angehörigen mit bundesdeutschen Gerichten wurde im Dezember 2007 das Todesurteil van der Lubbes durch die Bundesanwaltschaft auf der Grundlage des NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz aus dem Jahr 1998 aufgehoben.


Foto: Britt Schlehahn


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1 Kommentar(e)

sluik 13.01.2023 | um 20:58 Uhr

und so ist es ( vielen dank britt schlehahn!