Am 27. Januar jährt sich der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Auch in den Leipziger Kinos wird mit Filmen daran erinnert. Die Schaubühne Lindenfels zeigt den Animationsfilm »Wo ist Anne Frank?« des israelischen Regisseurs Ari Folman, die Cinémathèque die Doku »Oma & Bella« von Alexa Karolinsk und die Kinobar Prager Frühling den Dokumentarfilm »Miss Holocaust Survivor« von Radek Wegrzyn.
Ausfallen muss leider die Veranstaltung »Film & Musik« in der Cinémathèque am 31.1. – Die Geigerin Alicia Svigals und Pianist Donald Sosin haben die gesamte Tour abgesagt.
Film der Woche: Trotz all ihrer Unzulänglichkeiten hat Alexander Payne eine Schwäche für die Spezies Mensch. Seine meist männlichen Protagonisten sind nicht wirklich sympathisch, aber in der Offenbarung ihrer Schwächen absolut liebenswert. Sei es der pedantische Rentner Warren Schmidt in »About Schmidt«, der überforderte Vater in „The Descendants“ oder der nichtsnutzige Sohn eines alkoholkranken Vaters in »Nebraska« – sie alle begleiten wir auf einer kathartischen Reise, an deren Ziel die Versöhnung mit ihrer kläglichen Existenz steht. Denn obwohl er ein Meister der Tragikomödie ist, bleibt Payne am Ende ein unverbesserlicher Humanist, der das Gute in seinen Figuren sucht.
Mit Paul Giamatti fand er die perfekte Personifizierung seines Archetyps. Unscheinbar, unter dem fliehenden Haaransatz und den tiefen Augenringen, verbirgt sich ein nuancierter Charakterdarsteller. Das beweist er erneut in »The Holdovers«. Fast zwanzig Jahre nach ihrer Zusammenarbeit in »Sideways« steht Giamatti erneut vor der Kamera von Payne und der verpasst ihm nicht nur einen unvorteilhaften Schnäuzer. Er macht ihn auch zum unbeliebtesten Lehrer im Kollegium eines prestigeträchtigen Elitecolleges. Dieser Paul Hunham ist streng, überkorrekt, verbittert und ein passionierter Whiskeytrinker. Am liebsten vergräbt er sich inmitten seiner Bücher. Mit Menschen interagiert er dagegen eher ungern.
Als ein Nachhilfelehrer für die Weihnachtstage gesucht wird, fällt die Wahl natürlich auf Paul und so findet der Misanthrop sich mit einer Gruppe von gestrandeten Teenagern, die von ihren Eltern vergessen wurden, in dem ansonsten menschenleeren Anwesen wieder. Einer von ihnen ist Angus (Dominic Sessa). Seine Mutter hat einen neuen Partner und würde die gemeinsamen Flitterwochen ungern für den Sohnemann unterbrechen. Als die anderen Schüler einen Ausweg finden, bleiben nur noch Paul und Angus zurück. An ihrer Seite, die resolute Köchin Mary (Da'Vine Joy Randolph). Notgedrungen müssen sie sich zusammenraufen, um die Feiertage irgendwie erträglich zu machen.
Dabei offenbaren die Figuren bisher unbekannte Seiten. Jede von ihnen hat ihre Geschichte, die sie an diesen Punkt geführt hat. Was als eine Art »Breakfast Club« in den Siebzigern beginnt, entwickelt sich zu einem konzentrierten Charakterspiel zwischen dem Heranwachsenden und seiner unfreiwilligen Vaterfigur. Alexanders Paynes Film erinnert dabei nicht von ungefähr an die Werke von Hal Ashby (»Harold & Maude«). Nicht nur im Setting und der Ästhetik des Kinos der Siebziger, mit einer langen Eingangssequenz auf dem Campus über der die Credits rollen. Auch im Ton hat „The Holdovers“ viel von Ashbys melancholischen Meisterwerken.
Darüber hinaus hat »The Holdovers« mit Mary eine der besten weiblichen Nebenfiguren der Filmgeschichte zu bieten, großartig verkörpert von Da'Vine Joy Randolph (»Only Murders in the Building«). In Mary liegt eine tiefe Traurigkeit, die sie mit ihrem rauen Charme überspielt. Dominic Sessa schließlich ist in seiner ersten Leinwandrolle ebenso perfekt besetzt und strahlt die Unsicherheit eines Heranwachsenden auf der Schwelle zum Erwachsenwerden aus. »The Holdovers« nimmt sich Zeit für seine Figuren und ihre Geschichten und ist damit auch ein angenehmer Kontrast zur gegenwärtigen Streamingkost und eine Liebeserklärung an das Kino.
»The Holdovers«: ab 25.1., Passage-Kinos, Cineplex, Regina-Palast, Schauburg
Die 18-jährige Stella Goldschlag (Paula Beer) träumt von der großen Karriere als Jazz-Sängerin am Broadway. Doch es ist das Jahr 1940 und Stella ist Jüdin. Sie will sich ausleben und sich nicht verstecken, wie es ihre Eltern (Katja Riemann und Lukas Miko) tun – und landet in Gefangenschaft der Nazis. Hier wird sie vor die Wahl gestellt: Entweder sie verrät ihre Freunde oder sie und ihre Eltern landen in Auschwitz. Es beginnt eine moralisch höchst brisante „Karriere“, die viele mit dem Namen Stella Goldschlag in Verbindung bringen werden. Der Ausgang ist historisch verbrieft. Wie Regisseur Kilian Riedhof („Gladbeck“) das erzählt, ist dennoch spannend und groß inszeniert. Hauptdarstellerin Paula Beer („Undine“) verleiht ihrer Figur die nötige Ambivalenz, um Stella Goldschlag und die Umstände ihrer Geschichte zu verstehen, ohne ihre Taten gut zu heißen.
»Stella. Ein Leben.«: ab 25.1., Passage-Kinos, Cineplex, Regina-Palast
Ein Leben lang hat Blaga als Lehrerin für bulgarische Sprache gearbeitet und auch mit 70 gibt sie noch Privatunterricht, um eine junge Frau aus dem Kriegsgebiet für die Prüfung vorzubereiten. Was bleibt, sind 570 Lew, gut 300 Euro Rente im Monat. Als ihr Ehemann stirbt, verkauft sie dehalb ihren gemeinsamen Besitz, um ihm eine würdige Bestattung zu ermöglichen. Doch dann wird Blaga Opfer eines Telefonbetrugs. Das Geld ist weg, die Scham über ihre Leichtgläubigkeit sitzt tief. In die Ecke gedrängt beschließt Blaga, ihre moralischen Grenzen zu überschreiten und heuert als Kurierin für die Betrüger an.
„Eine Frage der Würde“ ist in der bulgarischen Gesellschaft immer auch eine Frage des Geldes. Stephan Komandarev blickt unversöhnlich auf seine Heimat. Ruhig, konzentriert und trotzdem hochspannend erzählt er seine Alltagsgeschichte, die mit dem Hauptpreis beim Filmfestival in Karlovy Vary ausgezeichnet wurde. Schauspielikone Eli Skorcheva verleiht ihrer Figur Kontur und Würde.
»Eine Frage der Würde«: 25., 30./31.1., Kinobar Prager Frühling, am 25.1. in Anwesenheit des Produzenten
Die junge Helena (Brooklynn Prince) streift mit ihrem Vater Jacob (Ben Mendelsohn) durch das Moor. Sie ist eine geübte Jägerin. Im Fährtenlesen hat er sie ebenso unterrichtet wie im Umgang mit dem Messer. Für Helena ist er der König des Marschlands. Doch als ein Fremder die entlegene Hütte erreicht, greift sich die Mutter (Caren Pistorius) dessen Geländefahrzeug und flieht mit ihrer überraschten Tochter aus dem Wald. Das verstörte Mädchen muss erfahren, dass sie der Vater mehr als zehn Jahre lang in der Hütte gefangen gehalten hatte. Zwei Jahrzehnte später lebt Helena (Daisy Ridley) mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter weit fernab der Wildnis, als ihr Vater aus dem Gefängnis flieht. Mit einem Mal dringt die Vergangenheit, die Helena all die Jahre zu verdrängen versucht hatte, in ihr neues Leben ein und weckt schlafende Instinkte in ihr.
Vor dem „Erwachen der Jägerin“ lässt sich Regisseur Neil Burger viel Zeit, um das scheinbare Idyll im Wald zu schildern, das für das Mädchen so jäh zerbrochen wird. So schafft der Film ein Verständnis für die Beziehung der Tochter zu ihrem Vater. „Star Wars“-Heldin Daisy Ridley („Das Erwachen der Macht“) bringt die perfekten Voraussetzungen mit, um die physischen, ebenso wie die emotionalen Anforderungen an die Figur zu erfüllen. Die Adaption des Romans von Karen Dionne gelingt den Drehbuchautor*innen Elle Smith und Mark L. Smith („The Revenant“), auch wenn sie einige Plotelemente ins allzu Offensichtliche ändern und durch das Fehlen einer romantypischen Reflexion weniger Einblick in die Gedankenwelt von Helena gewähren. Hauptdarstellerin Daisy Ridley macht das mit ihrem Spiel allemal wett. Thriller-Freunde werden aber eher enttäuscht, denn der konventionelle Showdown ist recht vorhersehbar und bietet wenig Neues. Die Stärken von „Das Erwachen der Jägerin“ liegen in der ambivalenten Beziehung zwischen Vater und Tochter und der Frage, wie weit sie zu gehen bereit sind, um die eigene Familie zu schützen.
»Das Erwachen der Jägerin«: ab 25.1., Cineplex, Regina-Palast
Weitere Filmtermine der Woche
The First Slam Dunk
J 2023, R: Takehiko Inoue, 124 min
Langfilm der Anime-Serie um ein Basketball-Team und den Jungen Ryota Miyagi, der sich im Sport und im Leben behaupten muss.
Cineding, 25.01. 19:00 (OmU), 26.01. 19:00 (OmU)
Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben
USA 2023, R: Jonathan Goldstein, John Francis Daley, D: Chris Pine, Michelle Rodriguez, Regé-Jean Page, 134 min
Sieht aus wie »Guardians of the Galaxy« in Westeros: Fantasy-Abenteuerkomödie auf Basis der Pen & Paper-Rollenspiele.
Moritzbastei, 26.01. 20:00 (Moritzkino, Eintritt frei)
Wo ist Anne Frank
In seinem Animationsfilm transkribiert Ari Folman (»Waltz With Bashir«) die Geschichte Anne Franks in die Gegenwart der Migration von Geflüchteten nach Europa.
Schaubühne Lindenfels, 27.01. 18:30 (Aktuelles Kino aus Israel, Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust)
This Kind of Hope
CH 2023, Dok, R: Pawel Siczek, 82 min
Andrei Sannikov privat, in seiner Funktion als Diplomat und als ehemaliger politischer Gefangener.
Passage-Kinos, 25.01. 20:00 (Premiere mit Regisseur Pawel Siczek und Protagonist Andrej Sannikov)
Stranger Than Paradise
USA/D 1984, R: Jim Jarmusch, D: John Lurie, Richard Edson, Eszter Balint, 85 min
Die Reflexion über Heimatlosigkeit und heiter-melancholische Schilderung des »American Way of Life« in Schwarz-Weiß begründete vor allem in Europa den Ruf des Independent-Regisseurs Jim Jarmusch.
Schaubühne Lindenfels, 28.01. 19:00 (OmU, The Independent Cinema of Jim Jarmusch)
Plastic Fantastic
D 2023, Dok, R: Isabella Willinger, 101 min
Können wir in der heutigen Zeit überhaupt noch ohne Plastik leben? Isabella Willinger beschäftigt sich mit der weltweiten Plastik-Krise.
Passage-Kinos, 28.01. 13:00 (EinBLICK, Premiere mit der Regisseurin Isa Willinger und Gästen)
The Favourite – Intrigen und Irrsinn
GB/IRL 2018, R: Yórgos Lánthimos, D: Rachel Weisz, Emma Stone, Olivia Colman, 115 min
Famos gespielte Gesellschaftssatire am Hofe von Englands Königin Anne im 18. Jahrhundert. Oscar und Golden Globe für Hauptdarstellerin Olivia Colman.
Passage-Kinos, 31.01. 20:30 (QueerBLICK, Retrospektive Yorgos Lanthimos, OmU)
Porträt einer jungen Frau in Flammen
F 2019, R: Céline Sciamma, D: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, 122 min
Eine Malerin aus Paris malt 1770 auf einer bretonischen Insel eine junge Adelige und die beiden Frauen kommen sich langsam – sehr, sehr langsam – näher.
Ost-Passage-Theater, 31.01. 20:00 (OmU)
Blade Runner – The Final Cut
USA 1982, R: Ridley Scott, D: Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young, 117 min
Science-Fiction-Krimi um den Detektiv Deckard, der vier künstliche Menschen ausfindig und unschädlich machen soll. Perfekt die Kulisse eines fiktiven L.A. im Jahr 2019. Der bei der Premiere umstrittene Film nach einer Vorlage von Philip K. Dick wird heute oft als einer der wegweisenden Filme der Achtziger genannt.
Passage-Kinos, 29.01. 20:00 (mit Einführung und anschließendem Filmgespräch, OmU, Passagen Werke: Unsere Lieblingsfilme wissenschaftlich aufgearbeitet)
Brodsky … Ferngespräche
9 Kurzfilme mit den literarischen Texten von Joseph Brodsky.
Schaubühne Lindenfels, 27.01. 20:30 (mit einem Gespräch mit den Regisseuren René Reinhardt und Thadeusz Tischbein)
Chihiros Reise ins Zauberland
J 2001, R: Hayao Miyazaki, 125 min
Eines der schönsten Meisterwerke aus dem Anime-Studio Ghibli: Die kleine Chihiro wird in eine seltsame Parallelwelt voller merkwürdiger Wesen und Gottheiten hineingezogen. Dort versucht sie, ihre Eltern von einem Fluch zu erlösen, der sie in Schweine verwandelt hat.
Cinestar, 30.01. 17:00 (CineSpecial), 20:00 (CineSpecial)
Die Stimme Amerikas. US-Musik in der DDR
D 2017, Dok, R: Michael Rauhut, Tom Franke
Der Dokumentarfilm zeigt, wie die amerikanische Musik nach 1945 zwischen die Fronten des Kalten Krieges geriet.
Denkmalwerkstatt, 30.01. 16:00 (Eintritt frei, Nachmittagsfilmreihe)
EOFT − European outdoor Film Festival
Größte Outdoor-Filmtour Europas mit Extremsportdokus aus aller Welt.
Werk 2, 31.01. 19:30
Malaikottai Vaaliban
IND 2024, R: Lijo Jose Pellissery, D: Mohanlal, Sonalee Kulkarni, Hareesh Peradi, 156 min
Das indische Historiendrama wartet mit viel Action auf.
Cineplex, 25.01. 20:15 (OmeU)27.01. 11:00 (OmeU)28.01. 11:00 (OmeU)
Oma & Bella
D 2016, Dok, R: Alexa Karolinski, 76 min
Regina und Bella, zwei ältere Damen, teilen sich seit fünf Jahren eine Wohnung in Berlin Charlottenburg. In der Dokumentation von Reginas Enkelin, der New Yorker Regisseurin Alexa Karolinski, plaudern die beiden betagten Großmütter mit typisch jiddischem Humor über ihre Freundschaft.
Cinémathèque, 27.01. 19:30 (Zum internationalen Holocaust-Gedenktag), 28.01. 16:00 (anlässl. des internationalen Holocaust-Gedenktags)