Aktuell regt sich breiter Widerstand gegen die faschistischen und diktatorischen Ambitionen der AfD. Strohfeuer oder nicht? Es wird darauf ankommen, wie sich der Zorn ins Alltägliche übersetzt. Das direkte Gespräch mit wankelmütigen oder gar rechten Leuten im nahen Umfeld dürfte der einzige Hebel sein, wobei Überzeugung kaum zu erwarten ist. Vielmehr könnte eine Warnung als Appell an den Zweifel helfen. Ein Gastbeitrag von Politikwissenschaftler Robert Feustel.
Vorab: Wir haben eigentlich allen Anstand verloren. Die tägliche Praxis des Sterbenlassens an den europäischen Außengrenzen ist zutiefst unanständig. Und wer in den Verwaltungsabläufen ernsthaft mit Begriffen wie »fiktionale Nicht-Einreise« arbeitet, um Aslyrecht und Menschenwürde zu umgehen, hat Anstand und Gewissen längst geopfert. Daraus folgt allerdings nicht, dass alles egal ist. Noch Schlimmeres zu verhindern, bleibt das Gebot der Stunde.
Mit ihren Deportationsplänen haben rechts-nationale Kräfte um die AfD dafür gesorgt, dass offenbar einige bisher eher passive Leute aufgeschreckt sind. Nicht, dass solche Fantasien neu oder überraschend wären. Rechtes Denken war immer schon Wirklichkeitsverleugnung und versucht, mit dem Phantasma einer völkischen Reinheit, also einer unvermittelten Gemeinschaft zu punkten. Aus AfD-Kreisen ist seit Jahren Entsprechendes zu hören. Und dennoch hat das Treffen in Potsdam nicht zu Unrecht für Aufruhr gesorgt: Die Klarheit und Aggressivität sind beängstigend.
Affekte überlagern Wirklichkeit
Bisher folgen die üblichen Reaktionen. Empörung und Demos. So weit, so gut. Christian Streich, Trainer des Fußballbundesligisten SC Freiburg, hat dagegen auf einen womöglich wichtigeren Punkt hingewiesen: Die Leute sollten bitte damit beginnen, im eigenen Umfeld Haltung zu zeigen und auf Leute einzuwirken. Was er nicht sagt: Demos und Appelle sind vielleicht nicht schädlich, haben aber noch keinen Effekt auf Wahlentscheidungen.
Zugleich haben Jahre der öffentlichen und wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema eine ernüchternde Lücke hinterlassen. Wie es gelingen kann, Rechte davon zu überzeugen, nicht rechts zu sein oder wenigstens nicht rechts zu wählen, bleibt rätselhaft. Was im Grunde substanzieller Bestandteil rechten Denkens ist, hat sich im Zeitalter »alternativer Fakten« verschärft. Es geht bestenfalls am Rande um soziale, ökonomische oder ökologische Wirklichkeiten. Vielmehr bespielt die rechte Ansprache Affekte und Leidenschaften, die keine Wirklichkeit brauchen. Sachliche oder logische Argumente helfen wenig. Und dass digitale Medien auch noch reichlich Erfundenes, Manipuliertes oder Irreführendes liefern, um den eigenen Affekten vermeintliche Fakten hinzuzufügen, ist auch nicht von Vorteil. Daraus folgt, dass jene privaten Gespräche im nahen Umfeld, von denen Streich spricht, mindestens schwierig werden. Seit Pegida gibt es unzählige Berichte von Versuchen dieser Art. Tenor: Keine Chance.
Vielleicht jedoch gibt es einen besseren Weg. Die verstörende Distanz zwischen rechten Behauptungen und der Welt da draußen lässt den Verdacht zu, dass manche hin und wieder zweifeln. Sie wissen insgeheim, dass sie wirklichkeitsfremden Unsinn erzählen. Wer nicht zweifelt, wird sich so oder so nicht umstimmen lassen.
Die Folgen rechter Politik benennen
Anders liegen die Dinge möglicherweise, wenn die Überzeugungsarbeit zugunsten einer Warnung hintenangestellt wird. Eine Warnung oder eine Botschaft vor den konkreten Folgen rechter Politik. Vielleicht verfängt es bei der einen oder anderen Person, wenn ihr vorgeführt wird, was die mittelbaren und unmittelbaren Konsequenzen jener Politik sind, die sie vor allem unterstützt, weil es sich so schön anfühlt, zur vermeintlichen Herrenrasse oder zur ach so überlegenen und glorreichen deutschen Kultur zu gehören. Es könnte also helfen, sich einige Beschreibungen zurechtzulegen. Welche Sequenzen sich dafür eignen, dürfte unterschiedlich sein. Die direkten Folgen für Menschen im Umfeld, die nicht ins Bild der AfD passen; die Folgen für die Umwelt, wenn selbst die zu schwachen Versuche, das Klima zu schützen, eingestellt werden; die Folgen für Kunst, Kultur und öffentliches Leben, wenn die Angst regiert; die Abgründe grundsätzlicher Abtreibungsverbote; die praktischen Effekte von Deportationen für die Gesellschaft, die sich selbst lähmen würde; der Brexit als Blaupause für einen EU-Austritt, der Großbritannien in eine schwere Krise gestürzt hat. Kurzum: Der Preis für den kurzen Moment gefühlter Überlegenheit müsste deutlich werden. Je konkreter und persönlicher, desto besser. Die heftige Zerstörungskraft rechten Denkens müsste bildlich werden.
Bleibt noch zu erwähnen, dass all dies nicht oder nur selten zu einem unmittelbaren Eingeständnis des eigenen Irrwegs führen dürfte. So viel reflexive Gesprächskompetenz ist selten. Aber die konkreten Aussichten, also die Bebilderung dessen, was passieren, wie viel kaputt gehen würde, könnte den so oder so unterschwellig nagenden Zweifel bedienen. Und der führt schließlich in der Wahlkabine den Stift wie von Geisterhand zu einer anderen Partei. Vielleicht.