Nächste Woche beginnt die Berlinale mit dem irischen Drama »Small Things Like These« mit Cillian Murphy, der den Film auch produzierte. Der Film basiert auf dem Buch der preisgekrönten irischen Schriftstellerin Claire Keegan (»An Cailín Ciúin / The Quiet Girl«) und zeigt die Enthüllungen über die irischen Magdalenen-Wäschereien – entsetzliche Heime, die von den 1820er-Jahren bis 1996 von römisch-katholischen Institutionen betrieben wurden, vorgeblich um »gefallene junge Frauen« zu reformieren. Ein wichtiger Film zum Auftakt der 74. Berlinale, deren Programm seit dieser Woche online zu finden ist unter www.berlinale.de
»74. Berlinale«: 15.–25.2.
Film der Woche: Adam ist einer der wenigen Bewohner in einem neuen Hochhauskomplex eines Londoner Vorortes. Auch der ebenfalls schwule Harry ist in die triste Siedlung eingezogen und versucht, mit Adam anzubändeln. Doch dieser ist noch nicht bereit, sich auf die Avancen des attraktiven jüngeren Mannes einzulassen, weil er mit seinen Gedanken gerade tief in seiner eigenen Vergangenheit steckt. Adam arbeitet an einem Drehbuch über seine schmerzerfüllte Kindheit, denn mit zwölf Jahren wurde er durch einen Autounfall seiner Eltern zur Vollwaise. Nun besucht er die beiden in Gedanken im Jahr 1987 und zeigt ihnen, wer er mittlerweile geworden ist – inklusive seiner homosexuellen Identität. Andrew Haigh (»Weekend«) ist einer der prominentesten und erfolgreichsten Vertreter des Queer Cinema, der in seinen Werken immer sehr authentisch, fast dokumentarisch arbeitet und oftmals persönliche Erfahrungen einbezieht. In »All of Us Strangers» hat er den 1987 erschienenen Roman »Sommer mit Fremden« von Taichi Yamada verfilmt und dafür den Protagonisten homosexuell gemacht. Dadurch erhält die Figur eine viel größere Fallhöhe und die Geschichte ein enormes Spannungspotenzial. Quasi im Schnelldurchlauf macht Haigh hier die Entwicklungen in der Queer-Bewegung der letzten Jahrzehnte greifbar, indem er sie an der Biografie eines schwulen Mannes in mittleren Jahren nacherzählt. Die Tagtraumsequenzen sind dabei ungewöhnlich für den Regisseur, entfalten aber eine ganz eigene Dynamik und am Ende eine unerwartete Dramatik, die zu Tränen rührt. FRANK BRENNER
»All of us Strangers«: ab 8.2., Passage-Kinos
Ein französischer Landsitz irgendwann im 19. Jahrhundert: Gourmetkoch Dodin Bouffant und seine Köchin Eugénie leben hier seit vielen Jahren zusammen. Eugénie ist die Herrin der Küche, Dodin der Hausherr des noblen Anwesens. Wenn sie gemeinsam am Herd stehen, begegnen sie sich auf Augenhöhe. Immer wieder hat er ihr Avancen gemacht, aber sie liebt ihre Freiheit und lässt sich nicht blicken, wenn die Herren im Zimmer oben genussvoll ihre Kreationen verspeisen. Regisseur Tran Anh Hung (»Der Duft der grünen Papaya«) zelebriert die Zubereitung von der Ernte im Garten des Anwesens bis zum Gaumengenuss. Juliette Binoche und Benoît Magimel harmonieren wundervoll vor der Kamera von Jonathan Ricquebourg, aber die wahren Stars sind die Speisen, deren Entstehungsprozess detailverliebt festgehalten wird, so dass sich Düfte und Geschmäcker förmlich im Kinosaal entfalten. Selbst über die Verdauung philosophieren die Herren, während für Eugénie die Virtuosität in der Küche und das Weitergeben uralter Traditionen und Rezepte an die junge Gehilfin Violette das größte Glück bedeuten. Mit viel Sorgfalt und Ruhe inszenierte der vietnamesische Filmemacher einen urfranzösischen Film nach dem Roman von Marcel Rouff über den Genuss des Lebens durch den Magen. Ausgezeichnet wurde er dafür beim Filmfestival in Cannes mit dem Preis für die beste Regie.
»Geliebte Köchin«: ab 8.2.,, Kinobar Prager Frühling, Passage-Kinos
Whistleblower wie Edward Snowden bieten viel Material für innere Konflikte, Bedrohungsszenarien und Verhörduelle. Der reale Fall von Reality Winner (echter Name!) machte 2017 weniger Schlagzeilen, hat es aber auch in sich: Die NSA-Mitarbeiterin findet Dokumente, die beweisen, dass der russische Geheimdienst durch Hacker-Attacken die US-Präsidentenwahl 2016 beeinflusst hat. Die größte Schwäche des Films ist zugleich auch seine größte Stärke – denn fast das gesamte Geschehen der 83 Minuten erstreckt sich allein am und im Haus in Gesprächen zwischen der Frau und zwei FBI-Beamten, die ihr auf der Spur sind. Einerseits ist das als einzelner Handlungsstrang viel zu dünn, um dramatische Serpentinen und größere Überraschungspakete zuzulassen. Andererseits schafft es Regisseurin Tina Satter in ihrem Filmdebüt, aus dem begrenzten Raum und Inhalt doch ein kurzweiliges Kammerspiel zu formen. Weil die entscheidenden Infofetzen so langsam ins Skript kriechen wie die symbolische Schnecke, die später auftaucht. Die Frau scheint manchmal so, als könne sie kein Wässerchen trüben – und verweist im nächsten Moment etwa auf ihr respektables Waffenarsenal im Haus. Schauspielerin Sydney Sweeney wechselt glaubhaft und detailliert vom Unschuldslamm zur Unantastbaren über die gewiefte Unterhändlerin zum einknickenden Unruhestifter. Garniert wird das Ganze durch Bilder der Original-Verhörprotokolle des FBI und von Winners Social-Media-Account sowie eines düster vor sich hin wabernden Musiknebels. MARKUS GÄRTNER
»Reality«: ab 8.2., Luru Kino in der Spinnerei, Passage-Kinos, ab 15.2., Cinémathèque in der Nato
Weitere Filmtermine der Woche
Die Ausstattung der Welt
D 2023, Dok, R: Susanne Weirich, Robert Bramkamp, 99 min
Ein Streifzug durch den Requisitenfundus des Studios Babelsberg.
Cinémathèque, 09.02. 19:30 (mit Filmgespräch, OmeU)
Im toten Winkel
D 2023, R: Ayse Polat, D: Aybi Era, Katja Bürkle, Ahmet Varli, 117 min
Der deutsche Polit-Thriller taucht in drei Kapiteln in das Trauma mehrerer Generationen und ein Netz der Verschwörung im Nordosten der Türkei ein.
Cineding, 08.02. 19:00 (Filmgespräch mit Regisseurin Ayşe Polat, OmU)
Akira
J 1987, R: Katsuhiro Otomo, 124 min
Eine Gruppe motorradfahrender Jugendlicher kommt im postapokalyptischen NeoTokio des Jahres 2019 einem Regierungs-Experiment auf die Spur, das die ganze Welt bedrohen könnte. Stilbildender Anime nach dem Manga-Klassiker von Katsuhiro Otomo.
Passage-Kinos, 12.02. 20:00 (mit Einführung, OmU, Passagen-Werke)
Dangan Runner
J 1996, R: Sabu, D: Tomorô Taguchi, Diamond Yukai, Shin’ichi Tsutsumi
Das Debüt des japanischen Regisseurs Sabu (»Monday«) hat schon alle Elemente, die seine Filme so gut und stilprägend machen: Eine atemlos inszenierte Verfolgungsjagd einer Gruppe zusammengewürfelter Charaktere in einem Gangstersetting.
Cineding, 10.02. 21:15 (OmU, Reihe Zeitlos)
Depeche Mode und die DDR
D 2018, Dok, R: Heike Sittner, Nils Werner, 55 min
Doku zum 30. Jubiläum des legendären DDR-Konzerts von Depeche Mode in der Werner-Seelenbinder-Halle.
Denkmalwerkstatt, 14.02. 18:00 (Cinema Casino: Fankultur, mit anschließendem Filmgespräch)
Mi Vida Loca
USA/GB 1993, R: Allison Anders, D: Angel Aviles, Seidy Lopez, Jacob Vargas, 92 min
Mousie und Sad Girl sind seit Kindheitstagen Freundinnen und wohnen in einem ärmeren hispanischem Viertel von Los Angeles. Doch als Sad Girl von Mousies Freund, dem Drogendealer Ernesto, schwanger wird, werden die beiden zu erbitterten Feindinnen. Während ihr Streit immer heftiger wird, hat auch ihr gewalttätiges Umfeld zunehmend Einfluss auf die Frauen.
Cineding, 15.02. 19:00 (OmeU, This isn’t America. This is LA)
Polska Love Serenade
D 2008, R: Monika Anna Wojtyllo, D: Claudia Eisinger, Sebastian Schwarz, Ryszard Wojtyllo, 75 min
Anna aus Berlin hat die Absicht, sich ihren schrottreifen Golf in Polen klauen zu lassen. In Polen lernt sie den Junganwalt Max kennen. Zusammen erleben die beiden etliche Abenteuer.
Polnisches Institut, 13.02. 20:00 (OF)
Breaking Dawn – Biss zum Ende der Nacht, Teil 1
USA 2011, R: Bill Condon, D: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, 117 min
Team Edward oder Team Jacob? Das CineStar-Kino zeigt jeden Sonntag einen der insgesamt fünf Teile der Mystery-Schnulzen-Reihe nach den Büchern von Stephenie Meyer.
Cinestar, 11.02. 17:00