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Kultur

»Auch Feuergeräusche brauche ich demnächst«

Geigerin Izabela Kaldunska im Gespräch über ihre experimentellen Klangwelten

  »Auch Feuergeräusche brauche ich demnächst« | Geigerin Izabela Kaldunska im Gespräch über ihre experimentellen Klangwelten  Foto: Christiane Gundlach

Unter dem Projektnamen The New Solarism erschien unlängst Izabela Kaldunskas zweite Soloplatte »Hibernaculum« beim Leipziger Label Dran Musik. Die 34-Jährige stammt aus Danzig und schloss 2018 in Leipzig ihr klassisches Violinstudium ab. Während der letzten Jahre vertiefte sie sich in Erweiterungen der klanglichen Möglichkeiten ihres Instruments, dabei arbeitet sie mit Mikros, Loopstation und Effektgeräten. In ihrer Musik nimmt sie »ein Gefühl unter die Lupe« und entwickelt mit untrüglicher Intuition für Ereignisdichte und Energie klangliche Räume und Landschaften. Ihr musikalisches Universum weist Schnittmengen mit Ambient, New Classic und der Musik von Giacinto Scelsi auf. Zu erleben ist die vielseitige Musikerin außerdem mit ihrer Balkan-Band Herje Mine – und neuerdings auch als Film- und Theatermusikerin.  

Inzwischen gibt es schon die zweite Platte von The New Solarism – das ist schon eine ungewöhnliche Entwicklung für eine klassisch ausgebildete Geigerin, oder?  

Ich habe schon als Kind sehr viel einfach gespielt, was mir eingefallen ist, damit die Eltern denken, dass ich übe. Auch nach meinem Studium habe ich in meiner freien Zeit wieder mehr herumprobiert, in meinem Zimmer improvisiert, experimentiert und aufgenommen. Wenn ich etwas cool fand, habe ich es aufgeschrieben. Gezeigt habe ich das eigentlich niemandem. Vielleicht mal meinem Mitbewohner. Es hat sich dann irgendwie von Freund zu Freund herumgesprochen. Die Jungs vom Ilses Erika haben dann gleich zu Beginn der Pandemie einen Livestream gemacht. Sie waren damals gerade am Label-Gründen, aber eher ein Zusammenschluss von Musikern, und haben mich gefragt, warum ich noch keine Platte habe. Ich hatte selbst noch gar nicht daran gedacht. Sie haben mich dann dabei unterstützt, das zu realisieren. Tatsächlich wurde ich nach Veranstaltungen immer öfter nach Aufnahmen gefragt. Wenn jemand mich wirklich unterstützen und was mitnehmen will, kann er das jetzt tun und eine Platte kaufen. 
 

Unterscheiden sich die Titel live von den Aufnahmen?  

Im Konzert mache ich alles live, ich nehme jede Spur auf der Bühne auf, ich habe nichts Vorproduziertes da. Das Ergebnis ist dann ungefähr so wie auf der Platte. Es gibt improvisierte Stellen, die immer anders klappen, aber das sind Feinheiten. Auf der Bühne ist die Balance sicher etwas anders, im Studio basteln wir ja stundenlang am Sound.  
 

Computer ist aber keiner im Spiel? 

Nein. Ich habe schon die Geige mit ihren unendlichen Möglichkeiten, dazu Effekte, Loopstation, Mikros für Geräusche und Gesang. Das reicht. Computer würde ich gern nutzen in Verbindung mit Feldaufnahmen. Was ich im Augenblick an Geräuschen integriere, erzeuge ich ja live. Ich möchte zum Beispiel gern Möwenschreie aus meiner Heimat in einem Stück haben, auch Feuergeräusche brauche ich demnächst.  
 

Was bedeutet The New Solarism? 

Es gibt keine genaue Übersetzung dafür. Das Wort meint die Art, wie man in der Überlieferung verschiedener Völker die Entstehung der Sonne interpretiert.  
 

Sonne verbindet man mit Helligkeit und Leben, die Stücke sind aber schon sehr melancholisch, oder? 

Ich bin in Danzig geboren, komme von der Ostsee. Diese bestimmte Melancholie hat man bei den meisten Komponisten, die aus dem Baltikum kommen. Die trage ich in mir, das bleibt für immer.  
 

Wie ist es mit Rhythmus und dem Puls in der Musik? 

Wenn etwas deutlich rhythmisch pulsiert, liegt es oft an der Natur des Loopens. Die rhythmische Freiheit auf der anderen Seite ist das Gegenteil zu meinem Balkan-Projekt, wo alles immer superschnell und rhythmisch ist. Ich wollte mit The New Solarism auch ein Projekt haben, wo ich frei in der Zeit bin. Ich fühle hier trotzdem einen sehr langsamen Puls. Bis man den Ton wirklich erlebt, ist eine halbe Minute um, dann gibt’s den zweiten, dritten. Man muss sich Zeit nehmen, um reinzuhören, zu genießen, dass es mal nicht so schnell ist. Sich in einen Ton oder Akkord reinsetzen und ihn studieren.  
 

Hat Giacinto Scelsi dabei eine Rolle gespielt? Welche anderen Einflüsse gab es noch? 

Scelsi, ja, den habe ich tatsächlich sehr gemocht, irgendwann Ohrwürmer gehabt. Dann habe ich ein Soloprojekt von Andrea Belfi, einem italienischen Schlagzeuger, entdeckt. Da wurde mir klar, dass ich auch als einzelne Musikerin einen eigenen Kosmos aufbauen kann. Etwas mainstreamiger vielleicht der Einfluss von Nils Frahm, er war auch immer allein mit seinem Klavier.  
 

In welche Richtung soll es weitergehen? 

Natürlich würde ich gern noch mehr Konzerte spielen. Ein paar Sachen, von denen ich geträumt habe, passieren gerade schon. Musik fürs Theater zu machen, gehört dazu. Filmmusik interessiert mich auch. Der Dokumentarfilm über sorbische Identität »Bei uns heißt sie Hanka« von Grit Lemke, zu dem ich mit Walburga Walde die Musik gemacht habe, hat Kinostart in Deutschland am 18. April. Eine der aufregendsten Sachen war es für mich, auf der Premiere beim Dok-Filmfestival die eigene Musik im Kino zu hören. Es fängt mit meinem Loop an und man bekommt gleich Gänsehaut. 

 

> www.thenewsolarism.bandcamp.com 


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