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Politik

»Ich bin hier nicht die Obergeneralstaatsanwältin« 

Sachsens Justizministerin Katja Meier im Interview über Tag X, Pressefreiheit und Extremisten im Staatsdienst 

  »Ich bin hier nicht die Obergeneralstaatsanwältin«  | Sachsens Justizministerin Katja Meier im Interview über Tag X, Pressefreiheit und Extremisten im Staatsdienst   Foto: Christiane Grundlach

Katja Meier läuft an einem sonnigen Märzvormittag im blauen Mantel über den Innenhof der Feinkost. Sachsens Ministerin für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung ist Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl, gemeinsam mit Umweltminister Wolfram Günther und Fraktionschefin Franziska Schubert. In Leipzig holten die Grünen 2019 zwei ihrer drei Direktmandate, beide Wahlkreise waren damals die einzigen, die nach Zweitstimmen nicht an CDU oder AfD gingen. Leipzig, grüner Fleck im schwarz-blauen Sumpf – aber gleichzeitig auch Brennpunkt für Ermittlungsbehörden: verschleppte Verfahren nach dem Angriff auf Connewitz 2016, Hunderte Ermittlungen nach Tag X, eine Leipziger Staatsanwaltschaft, die eine Hausdurchsuchung bei einem Journalisten veranlasst. Wie macht eine Grünen-Ministerin Politik in Sachsen, dem konservativen, alten Mann? 

Wozu braucht es die Grünen, wenn die CDU sowieso macht, was sie will? Bei der Cannabisdebatte, dem neuen repressiven Versammlungsgesetz oder der Asylpolitik?  

Wir als Bündnisgrüne sind die demokratische Lebensversicherung in dieser Koalition. Ohne uns starke Grüne hätten wir kein Transparenzgesetz, kein Gleichstellungsgesetz und auch kein reformiertes Strafvollzugsgesetz. Aber ich mache auch keinen Hehl daraus: Diese Koalition ist kein Spaziergang und wir sind auch keine Freunde. Wir haben eine Arbeitsebene miteinander und es geht darum, Vorhaben des Koalitionsvertrags umzusetzen und Kompromisse zu finden. 

Anfang des Jahres trat das Sächsische Transparenzgesetz in Kraft. Bei der Umsetzung gab es viel Kritik, unter anderem von Frag den Staat. Sind Sie mit dem Gesetz zufrieden?  

Man muss ja immer erst mal gucken, wo man herkommt. In Sachsen hatten wir neben Bayern als eins der letzten Länder weder ein Informationsfreiheitsgesetz noch ein Transparenzgesetz. Dann haben wir als Grüne das im Koalitionsvertrag verankert bekommen. Das wäre eigentlich ein Thema fürs Innenministerium gewesen, aber wir haben als Justizministerium gesagt, wir halten es für sicherer, wenn wir das auf den Weg bringen. Und das Innenministerium war da auch nicht traurig drüber. Wenn man mit zwei konservativen Koalitionspartnern am Tisch sitzt, dann sagen natürlich nicht alle: »Juhu, es geht voran«. Sondern es war ein sehr schwieriger Aushandlungsprozess – aber wir haben uns durchgesetzt. Natürlich gibt es aber einige Dinge und Ausnahmeregelungen, die wir so im Ursprungsentwurf nicht vorgesehen hatten. 

Wo sehen Sie konkret Nachholbedarf? 

Da geht es vor allem um die Frage der Ausnahmeregelungen: Also, wie viele Informationen können tatsächlich zur Verfügung gestellt werden? Bei der vereinbarten Evaluierung werden wir prüfen, wie praktikabel diese Ausnahmeregelungen sind. Aktuell gilt das Gesetz ja nur für die Staatsverwaltung. Allerdings gibt es bereits jetzt eine Öffnungsklausel für Kommunen. Damit wollen wir die Kommunen nicht alleine lassen, sondern sie beraten. Insgesamt bedeutet ein Transparenzgesetz einen Mentalitätswechsel in der Verwaltung: Bis dato war die Einstellung: »Das ist meine Information, niemand erhält Informationen.« Aber die Grundlage für Bürgerbeteiligung, dass sich Menschen vor Ort einbringen können, ist, dass sie Informationen haben. 

Hohe Krankenstände bei der Belegschaft, keine Auslastung des offenen Vollzugs, schlechte medizinische Versorgung auch in der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen. Im Strafvollzug ist vielerorts von Führungsversagen die Rede. 

So viel Aufmerksamkeit wie in dieser Legislaturperiode hat der Justizvollzug vorher nicht genossen. Ich war selber in der letzten Legislaturperiode Anstaltsbeirätin in der JVA in Zeithain und ich habe da wirklich auch eine Leidenschaft für dieses Thema entwickelt. Wir haben in den letzten vier Jahren eine ganze Reihe von Maßnahmen erfolgreich auf den Weg gebracht. Also zum Beispiel die Stärkung des Vollzugs in freien Formen für Erwachsene und insbesondere für Frauen. Es gibt kein einziges Bundesland, das diese Möglichkeit eröffnet. Zudem haben wir die medizinische Versorgung durch die Einrichtungen von Suchttherapiestationen oder der Telemedizin gestärkt. Schließlich haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Vollzug wieder verstärkt auf fest angestellte Anstaltsärzt:innen statt Honorarärzt:innen setzt. 

Der kreuzer berichtete bereits 2018 von verfassungsfeindlichen Symbolen in den Zellen der JVA Leipzig. Alle Gefangenen rund um Tag X haben das Gleiche berichtet. Haben Sie das auf dem Schirm?  

Ich gehe fest davon aus, dass verfassungsfeindliche Symbole, Hitlergrüße oder Ähnliches selbstverständlich von den Bediensteten zur Anzeige gebracht werden, das ist auch ihr Job. Und wenn ich mir die kleinen Anfragen im Landtag anschaue, die dazu regelmäßig gestellt werden, dann passiert das ja auch. 

Was haben die Geschehnisse rund um Tag X mit Ihnen persönlich gemacht? Noch immer laufen etliche Ermittlungsverfahren – warum werden diese nicht eingestellt? 

Ich war an dem Tag nicht in Leipzig, aber ich habe das natürlich verfolgt und entsprechende Gespräche geführt. Zu einzelnen Ermittlungsverfahren steht es mir als Ministerin jedoch schlicht und einfach nicht zu, mich zu äußern oder da eine Bewertung abzugeben. Es ist gut und wichtig, dass wir unabhängige Gerichte und Staatsanwaltschaften haben. Und das war auch in den Koalitionsverhandlungen eine lange Auseinandersetzung. Erstens darüber, dass es kein Einzelfallweisungsrecht des Justizministeriums mehr gegenüber den Staatsanwaltschaften in Sachsen gibt, also keine politische Einflussnahme auf Ermittlungen. Und zweitens, dass wir die Möglichkeiten der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, auch unabhängig tätig zu sein, stärken wollten. Man muss es immer von beiden Seiten sehen. Auf der einen Seite sagen die einen: »Hier braucht es eine politische Einflussnahme« und von der anderen Seite heißt es dann: »Das ist zu viel« – da braucht es einen Ausgleich. Und ich bin in diesem Land nicht die Obergeneralstaatsanwältin. 

Sind Sie nach Tag X immer noch der Meinung, dass es sinnvoll ist, der Staatsanwaltschaft nicht hier und da doch eine Meinung auf den Weg zu geben? 

Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, das gerichtlich überprüfen zu lassen. Dazu haben wir auch eine gute und leistungsstarke Anwaltschaft, die die Betroffenen unterstützt. Und deswegen setze ich hier auch auf unabhängige Gerichte. Wir haben doch in Polen gesehen, wo das hingeführt hat, als ein Justizminister gleichzeitig Generalstaatsanwalt war. 

Innenminister Armin Schuster sprach nach Tag X von einem Heimspiel in Leipzig: Polizei und Staatsanwaltschaft waren vorbereitet, Krankenhäuser wurden angewiesen, sich auf viele Verletzte vorzubereiten. – Nur bei Gericht sah die Besetzung mit einem überforderten Haftrichter mau aus. Hat sich die Justiz bewusst zurückgehalten und das Innenministerium gewähren lassen? 

Die Besetzung und die Geschäftsverteilung in einem Gericht liegt nicht in meiner Hand und wird von unserer Verfassung ausschließlich den Gerichten selbst zugewiesen. Ich kann nicht als Ministerin einfach anrufen und sagen: Ich hätte gern soundso viele Richter in diesem Bereich und soundso viele in jenem Bereich. Das entscheiden die Gerichte in ihrer Unabhängigkeit. Und da habe ich auch das vollste Vertrauen, dass sie das sachgemäß machen.  

Nach unseren Informationen waren Sie nach Tag X in der Staatsanwaltschaft Leipzig, kurz nachdem herauskam, dass ein Staatsanwalt vermummt im Kessel gewesen war. Was haben Sie dort besprochen?  

Das sind die üblichen Behördenbesuche. Ich hatte die Staatsanwaltschaft auch schon 2020 besucht. Mein Ziel ist es natürlich als Ministerin, die Gerichte und Staatsanwaltschaften zu besuchen und auch über aktuelle Herausforderungen, wie zum Beispiel ausreichendes Personal, zu sprechen.  

Nach Tag X gab es eine Hausdurchsuchung bei einem Journalisten in Halle – veranlasst von der Staatsanwaltschaft in Leipzig. Welche Möglichkeiten haben Sie, um die Pressefreiheit in Sachsen sicherzustellen? 

Pressefreiheit ist ein überragend hohes Verfassungsgut. Deswegen haben wir schon am Anfang der Legislaturperiode mit dem Deutschen Journalisten-Verband und anderen Organisationen entsprechende Gespräche geführt. Da geht es vor allem um ein Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Journalist:innen – das fällt nicht vom Himmel. Auf der einen Seite ist es Aufgabe der Strafprozessordnung, die Pressefreiheit zu schützen. Andererseits sieht die Strafprozessordnung auch einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Verfassungsgütern explizit vor. Wann und ob eine Staatsanwaltschaft ermittelt, legt das Gesetz fest.  

In dem Fall hätte es kein minimalinvasiveres Mittel als eine Hausdurchsuchung gegeben?  

Auch das ist wieder der konkrete Fall, bei dem ich nicht dabei war. Ich kann das nicht beurteilen und darf mich hier als Politikerin nicht in konkrete Ermittlungsverfahren einmischen. 

Beim ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier haben Sie verhindert, dass ein Extremist ins Richteramt zurückkehren kann. Gibt es denn Untersuchungen dazu, wie viele Extremisten im Staatsdienst vertreten sind? 

Den Versuch gab es auf Bundesebene schon immer mal, zum Beispiel bei der Polizei. Auch mit Blick auf den Justizvollzug setzen wir uns dafür ein, dass keine Verfassungsfeinde dort tätig sind. Hierzu wird der Landtag Ende März ein Gesetz verabschieden, was eine Regelabfrage für die Einstellung in den Allgemeinen Vollzugsdienst ermöglicht. Gleichwohl will ich das an der Stelle auch noch mal sagen: Der große Teil der Menschen, die in der Justiz oder bei Gericht arbeiten, macht einen sehr guten Job, steht auf dem Boden des Grundgesetzes. Menschen, die nicht die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die Verfassungsordnung einzutreten, müssen mithilfe des Disziplinarrechts – wie im Fall von Jens Maier – mit entsprechenden Maßnahmen rechnen. 

Was soll sich durch das Verfassungstreuegesetz nun konkret ändern? 

Beim Fall Jens Maier haben wir gesehen, dass schlichtweg noch Lücken in den Gesetzen bestehen. Deshalb geht es zum einen um eine wirksamere Durchsetzung von Disziplinarmaßnahmen. Hierzu werden die Fristen zum Disziplinarmaßnahmeverbot sowie zum Verwertungsverbot hinsichtlich früherer Disziplinarmaßnahmen spürbar verlängert. Ebenso kann zukünftig das Justizministerium ein Disziplinarverfahren von erheblicher Bedeutung für die Öffentlichkeit bereits direkt selbst führen. Bislang liegt ein Disziplinarverfahren zunächst beim unmittelbaren Dienstvorgesetzten. Zudem soll es eine Regelabfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz geben vor der Einstellung in den Allgemeinen Vollzugsdienst.  

Können Sie ausschließen, dass aktuell Menschen im sächsischen Staatsdienst arbeiten, von denen bekannt ist, dass sie Mitglied extremistischer Vereinigungen sind? 

Wir können nicht in die Köpfe reingucken oder Abfragen zu Einstellungen machen. Wenn Informationen vorliegen, dann wird dem nachgegangen und es wird alles versucht, um Verfassungsfeinde aus dem Dienst rauszuhalten. Jens Maier war ein Lehrbeispiel dafür, wie kompliziert das sein kann. Aber es gab jetzt eine Reihe von Gesetzesinitiativen, um das zu beschleunigen. Noch ein Beispiel dafür, wie sehr uns das beschäftigt: Nachdem die AfD als rechtsextremistisch eingestuft wurde, war ich es, die gefragt hat: Was heißt das denn jetzt für die Beamtinnen und Beamten im Land? Wir sind im Austausch mit dem Innenministerium, um jetzt zu schauen, welche Maßnahmen wir an dieser Stelle ergreifen können. Aber die Initiative kam von uns – nicht vom Innenministerium. 

Glaubwürdigkeit der Justiz hat auch etwas mit ihrer Handlungsfähigkeit zu tun: Acht Jahre nach dem Angriff auf Connewitz sind immer noch nicht alle Täter rechtskräftig verurteilt. Der erste Prozess zu den Ausschreitungen in Chemnitz 2018 endete im Januar mit einer Verfahrenseinstellung. Warum gibt es noch immer so ein Ungleichgewicht bei der konsequenten Verfolgung von rechts- und linksextremistischen Straftaten in Sachsen? 

Unser Anliegen ist immer, dass es zügige Verfahren gibt. Am Ende ist das aber auch eine Personalfrage. Die Gerichte entscheiden in ihrer Unabhängigkeit, wie sie bestimmte Kammern und Senate besetzen. Wir erleben jetzt gerade einen extremen Generationenwechsel. In den nächsten fünf bis zehn Jahren geht die Hälfte der Richter:innen und Staatsanwält:innen in den Ruhestand. Wir haben jetzt gerade sehr viele junge ausgebildete Leute, die neu in die Staatsanwaltschaften und Gerichte kommen. Ich hoffe, dass auch dadurch Altverfahren schneller aufgearbeitet werden können.  

Es ist aber auffällig, dass Ressourcen immer dort zu fehlen scheinen, wo die Gefahr für die Demokratie doch am größten ist: bei Verfahren gegen Rechtsextremisten. 

Das kann ich keinesfalls so bestätigen, ich sehe da keine politische Motivation. Dass wir in Sachsen einen Innenminister haben, der sagt: »Das größte Problem im Freistaat ist der Rechtsextremismus«, das allein ist schon mal mehr, als wir die letzten Jahrzehnte hatten. Und dass wir erstmals in dieser Staatsregierung ein Gesamtkonzept Rechtsextremismus auf den Weg gebracht haben, das die verschiedenen Bereiche abbildet, von Polizei über Justiz bis zum Thema Prävention und politische Bildung, das sind ganz wichtige Schritte, die an der Stelle gegangen wurden.  
 

INTERVIEW: MARCO BRÁS DOS SANTOS, LEON HEYDE 


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