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Stadtleben

Ein Ort ohne Erwachsene

Der Jugendtreff in Sellerhausen hat wieder geöffnet

  Ein Ort ohne Erwachsene | Der Jugendtreff in Sellerhausen hat wieder geöffnet  Foto: Christiane Gundlach

Ein kalter Januarabend in Sellerhausen-Stünz, es fällt Schnee. Vor dem offenen Freizeittreff Sellerhausen (OFT) steht eine Traube Jugendlicher, drinnen brennt Licht. Seit Sommer 2023 hat die Einrichtung wieder dauerhaft geöffnet, fast eineinhalb Jahre hatten die Jugendlichen darauf warten müssen. Im Februar 2022 hatten die damaligen Mitarbeitenden sich geweigert, ohne konzeptionelle Veränderung weiterzuarbeiten. Gründe waren für sie die unzureichende Renovierung, gewalttätige Übergriffe und damit einhergehende Überforderung und Resignation.

Seit Oktober 2022 ist die Kindervereinigung Leipzig nun neuer Träger der Einrichtung. Eine besondere Situation, wie Matthias Stock, Fachbereichsleiter für Kinder- und Jugendarbeit im Verein, erklärt. »Wir haben die Zeit erst mal genutzt, um als Team zusammenzuwachsen und zu schauen, welche Themen uns erwarten werden.« Außerdem wurden notwendige Renovierungen durchgeführt, zum Beispiel funktionierende Rollläden eingebaut.

Ab Februar 2023 wurde der Club dann schrittweise wieder geöffnet, bereits davor war über Schulbesuche und Instagram auf die bevorstehende Öffnung aufmerksam gemacht worden. »Teilweise standen aber schon Jugendliche vor der Tür. Denn trotz der Schließung war das weiterhin der Ort, an dem sie abhingen«, erzählt Sozialarbeiterin Marike, die seit Herbst 2022 im OFT Sellerhausen arbeitet. Da sei auch viel Redebedarf gewesen zur Schließung und zu den Ereignissen, die dazu geführt hatten. Trotzdem sollte es ein Neuanfang für alle werden. Damit die Besuchenden den Ort zu ihrem machen konnten, wurden sie aktiv in die Umgestaltung der Räume eingebunden: »Einmal die Woche hatten wir die ›Cluberkundung‹, um die Räume kennenzulernen. Dazu gab es das Format ›Snacken und Schnacken‹, bei dem es vor allem um Wünsche für die Neueröffnung ging.« Dieses Gesprächsformat gibt es immer noch als festen Bestandteil der Clubkultur. »Plenum« heißt es, bei dem jede und jeder teilnehmen kann, egal ob die Person schon lange in den Freizeittreff kommt oder zum ersten Mal da ist. Mal sind es dabei Situationen, die nachbesprochen werden, mal werden Vorschläge für Aktivitäten oder weitere Umgestaltungen eingebracht. Darüber können dann alle Gäste des Clubs abstimmen.

Die aktive Mitgestaltung und Selbstwirksamkeit der Jugendlichen ist ein Schwerpunkt im Konzept des Vereins. Das zeigt sich auch bei der Gestaltung der Räume. Bei der Cluberkundung sei klar geworden, dass der Wunsch nach Bewegung groß ist. So wurde das frühere Kreativzimmer zum Sportzimmer umgestaltet: mit Kletterwand, Weichbodenmatte und großen Spiegeln, die bei Bedarf aufgehängt werden können. Ein Musikzimmer ist entstanden, mit Gitarren, Schlagzeug und einem Computer, an dem Musik produziert werden kann. Einmal in der Woche kommt das Team vom »Puls der Eisi« und bietet einen Hip-Hop-Workshop an. Das werde von den Jugendlichen sehr gut angenommen. »Mit den Texten, die sie selbst schreiben, können die Jugendlichen Geschehnisse verarbeiten und sich ausdrücken«, erzählt Marike.

Der Chillout-Raum dagegen befindet sich noch in der Umgestaltung. Filigran zieht sich eine weitverzweigte Wolke aus LED-Lichterketten und Watte über eine Wand und die Decke. Ein laufendes Projekt. Aber eines, das die Jugendlichen selbst umsetzen. Dass der Raum endlich wieder öffnet, wünschen sich auch Josi (16) und Jasmin (14). Die beiden kommen jeden Tag nach Sellerhausen, obwohl sie in Gohlis wohnen. Der Jugendtreff dort musste schließen, einer von vier, die die Stadt seit Mitte 2023 nicht mehr finanziert. »Uns gefällt hier eigentlich alles. Unsere Freunde sind hier«, erklärt Jasmin den täglichen weiten Weg hierher. »Wir dürfen hier alles, Energydrinks trinken zum Beispiel«, ergänzt sie grinsend. Das mache einen guten Jugendclub auch aus, findet Josi: viele Freiheiten und gute Betreuer, »die einen wirklich verstehen und einem bei Problemen helfen können«. Jasmin nickt zustimmend. »Es ist toll, dass wir mit den Mitarbeitern reden können.« Die gute Beziehung ist auch spürbar. »Ich hab alle sehr liebgewonnen. Besonders Marike. Und Jonas. Und Annelie«, sagt Josi mit einem Grinsen in Richtung der Sozialarbeiterin. Wenn die beiden Mädchen hier sind, spielen sie am liebsten Tischtennis oder turnen. Wie es aussieht, wenn sie im großen Raum des Jugendtreffs Spagat und Handstand üben, demonstrieren sie beim Fotoshooting.

Gar nicht cool finden die beiden die Kidszone. Denn sie bedeutet, dass Montag bis 16 Uhr nur Kinder unter 12 in den Jugendtreff dürfen. Dienstag bis Freitag dürfen Josi, Jasmin und alle anderen über 12 schon ab 13 Uhr in den OFT. Der Fokus des Treffs liege weiterhin auf den Jugendlichen, erklärt Stock. Sie sollen einen Ort haben, an dem sie sich aufhalten und ihren Interessen nachgehen können. Deshalb gibt es viermal die Woche ab 16 Uhr kinderfreie Jugendzone.

Meistens sind rund 30 Besucherinnen und Besucher pro Tag im OFT Sellerhausen, an vollen Tagen können es auch 50 bis 60 sein. Für die Jüngeren seien vor allem die Angebote interessant, das ganze Gebäude ist für sie wie ein riesiger Indoor-Spielplatz. Die Älteren suchen dagegen einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen oder auch mal dem Stress von zu Hause entkommen können: »Für sie ist das wie ein Ort ohne Erwachsene«, erklärt Marike. »Wir Mitarbeitende werden nicht so sehr als Erwachsene gesehen, eher als Spielpartner, Gesprächspartner und Ratgeber.« Oft entstünden aus oberflächlichen Themen an der Bar tiefgründige Gespräche.

Dass der Jugendtreff wieder mit Leben gefüllt ist, kommt auch im restlichen Stadtteil gut an, die Anwohnenden hätten sich darüber sehr gefreut. Zum Neuanfang wurde ein Arbeitskreis wiederbelebt, in dem verschiedene Einrichtungen aus Sellerhausen vertreten sind. Die Kirchengemeinde, der Bürgerverein und sogar der angrenzende Supermarkt. Der Arbeitskreis trifft sich alle zwei Monate und unterstützte schon die Eröffnung des Jugendtreffs bereits im Vorfeld intensiv.

Nach vorne blicken ist die Devise. »Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Angebote in Selbstverwaltung stattfinden. Die Jugendlichen übernehmen schon viel Verantwortung, aber es könnte noch mehr sein. Dabei würden wir sie gerne empowern«, sagt Marike zum Abschied. 

 

> OFT Sellerhausen: Mo 13–19 Uhr (Kidszone 13–16 Uhr), Di/Mi 13–19 Uhr (Jugendzone 16–19 Uhr), Do/Fr 14–20 Uhr (Jugendzone 16–20 Uhr), www.kv-leipzig.de/freizeittreff/oft-sellerhausen


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