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Politik

Die Ruhe nach dem Sturm

Die Linke in Leipzig bleibt ihrem Markenkern treu und gibt sich betont geschlossen

  Die Ruhe nach dem Sturm | Die Linke in Leipzig bleibt ihrem Markenkern treu und gibt sich betont geschlossen  Foto: Christiane Gundlach

Es ist kurz nach 9 Uhr an diesem Donnerstagmorgen in Grünau, als Sören Pellmann sein Banner aufstellt. Heute ist der erste Tag des Straßenwahlkampfs des Linken-Fraktionschefs im Stadtrat. Drei Orte in sechs Stunden, zumindest solange das Wetter mitspielt. Eine ältere Frau kommt am Stand vorbei, stellt sich vor Pellmann und sagt: »Sie wähle ich nicht mehr.« Daraufhin entfacht sich ein längeres Gespräch über die Poststelle in Grünau, den Bau des Supermarktes, der sich verzögert, aber auch die Linke – was sie tut und was nicht. Eine wichtige Frage, die die Frau umtreibt: Ist die Linke noch wählbar nach all den Streitigkeiten? 

Der Streit um die Positionen von Sahra Wagenknecht droht die Partei seit Jahren zu zerreißen. Seit der Gründung des BSW kämpft die Linke einmal mehr ums politische Überleben. In Leipzig, wo die Linke die größte Fraktion im Stadtrat stellt, ist die Situation zwar eine andere, bei Pellmann schien der Partei-Konflikt dennoch mitten im Stadtverband angekommen: Bis zuletzt versuchte er, Wagenknechts Abspaltung zu verhindern. Dabei wurde er selbst für viele Linke zur Persona non grata, auch wegen seiner russlandfreundlichen Positionen: Im Bundestagswahlkampf 2021 trat er gemeinsam mit Wagenknecht in Leipzig auf – auch auf der Bühne stand dabei der russische Generalkonsul.  

Juliane Nagel kritisierte Pellmanns Auftritt mit Wagenknecht damals entschieden. Sie bedauert die Spaltung der Partei keineswegs. Die Stadträtin und Landtagsabgeordnete sieht es als Chance für die Linke, sich wieder ein Profil zu erarbeiten. Sowohl Nagel als auch Pellmann verurteilen die Positionen des BSW zur Migrationspolitik. 

Auch in der Leipziger Fraktion gab es in den letzten Jahren einige Streitigkeiten. So warf Thomas Kumbernuß (PARTEI), der inzwischen aus der Fraktion ausgetreten ist, dieser vor, Macht- und Strömungskämpfe zu führen. Nagel bestätigt, dass sich in der Fraktion zwar Ströme erkennen ließen, diese allerdings nicht vordergründig seien und auch nicht dogmatisch geführt würden, denn im »Stadtrat wird um eine gemeinsame Sache gekämpft, eben miteinander«.  

Kritik brachte der Linken die Stadtrats-Kandidatur von Mohamed Okasha ein. Der ehemalige Vorsitzende des Leipziger Migrantenbeirats postete letztes Jahr am 9. November, dem Gedenktag der Opfer der Pogromnacht 1938, auf Instagram einen Beitrag, in dem er Israel einen Genozid an den Palästinensern vorwarf. Nagel suchte daraufhin das persönliche Gespräch. Okasha sei offen für die Kritik gewesen, entschuldigte sich öffentlich – für viele aber nur halbherzig. Von seinem Amt als Vorsitzender des Migrantenbeirats trat er freiwillig im Zuge seiner Kandidatur für den Stadtrat zurück. Pellmann und Nagel betonen beide, dass sie Okasha als Kollegen sehr schätzen und hinter ihm und seinem Wahlkampf stehen.   

Die Erfolge der Linken der letzten Jahre liegen im Markenkern: der Sozialpolitik. So brachte die Linke einen Antrag durch, der den Preis des Deutschlandtickets für Leipzig-Pass-Empfängerinnen und Empfänger von 49 auf 29 Euro senkte. Zudem wurde auf Antrag der Linken der Personalschlüssel in Kitas in sozial-ökonomisch schwächeren Stadtteilen erhöht. Im Bereich Wohnungspolitik habe die Linke laut Nagel den »Milieuschutzantrag federführend mit angestoßen«. Dieser erschwert in inzwischen acht Stadtteilen den Bau und die Sanierung von Luxusappartements.  

Allgemein sei die Zusammenarbeit mit der linken Mehrheit im Stadtrat gut gelaufen, resümiert Nagel. Gerade die mit der SPD sei in letzter Zeit »stabiler, ehrlicher und solidarischer« geworden. Anders hingegen sei es mit den Grünen, die seit Längerem »in einem Turbowettkampf stecken und dabei nicht nach links und rechts schauen« würden. Die Zusammenarbeit mit der CDU sei schwieriger geworden, nachdem Michael Weickert im vergangenen September deren Fraktionsvorsitz übernommen hat. Seitdem habe sich der Ton um rassistische und kulturkämpferische Motive massiv verschärft. Nagel betont, dass auch die Zusammenarbeit mit Teilen der Freibeuter erstaunlich gut gelaufen sei, vor allem mit Fraktionschef Sven Morlok, dem Nagel eine »grundhumanistische« und offene Haltung in Bezug auf Rassismuskritik attestiert. 

Für die kommende Wahlperiode werde sich die Linke dafür einsetzen, dass der Empfängerkreis des Leipzig-Passes vergrößert werde. Auch das Thema Kinderarmut habe hohe Priorität. Dafür stellen sie die Forderung nach kostenlosem Mittagessen in Kitas und Schulen sowie einer besseren Vorsorgeuntersuchung und dem Ausbau von Schulsozialarbeit. Der ÖPNV soll ausgebaut und durch eine dichtere Taktung von Straßenbahnen attraktiver gemacht werden.  

»Für die Existenz einer bunten Stadt wie Leipzig ist eine linke Mehrheit extrem wichtig«, sagt Pellmann. Nagel ist optimistisch, dass es diese geben werde, weil »die Arbeit und die Stimmung in der Stadt dafür spricht«. Zumindest die Frau an seinem Grünauer Wahlkampfstand scheint Pellmann für sich zurückgewonnen zu haben. Statt nur einer Wahlkampftüte nimmt sie gleich drei weitere für ihre Nachbarinnen und Nachbarn mit. 

> www.die-linke-in-leipzig.de, www.linksfraktion-leipzig.de 


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