»Was macht das Theater in eurer Stadt konkret aus?« – Diese Frage steht im Zentrum des Programms, erzählt Maximilian Grafe, der künstlerische Produktionsleiter des Sächsischen Theatertreffens. Wir treffen ihn im Turmzimmer des Schauspielhauses zum kreuzer-Gespräch. »Das ist der zentrale Punkt: Wie seht ihr eure Stadt, wie werdet ihr in der Stadt gesehen, was bewegt eure Theaterarbeit?« Gemeinschaft stiften, Raum für Begegnungen öffnen, das möchte Grafe, das möchten die am Treffen Beteiligten.
Den Charakter eines wirklichen Treffens haben laut Grafe alle elf sächsischen Staats-, Landes- und Stadttheater im Vorfeld unterstrichen, die nun im Mai nach Leipzig kommen: »Begegnungsmomente, Austausch, das war allen wichtig.« Das – insgesamt zwölfte – Sächsische Theatertreffen findet zum dritten Mal in Leipzig statt. Das Schauspiel und das Theater der Jungen Welt (TdJW) richten es jetzt gemeinsam aus. Es sei weniger ein »Konkurrenzding«, sagt der Verantwortliche Grafe. »Es geht vielmehr darum, sich gegenseitig zu zeigen, was vor Ort passiert, und die Kraft und Energie der Theaterszene zu verdeutlichen.« Das ist wahrscheinlich in diesem politisch ungemütlichen Jahr besonders gewünscht.
Jedes Theater entsendet eigene Produktionen für die verschiedenen Festivalreihen. Fürs Hauptprogramm »Panorama« standen bestimmte Arbeitsweisen oder originäre Themen im Mittelpunkt. Sehr direkt kommt die Ibsen-Bearbeitung »Ein Volksfeind« aus Bautzen mit Publikumsabstimmung und das Görlitz-Zittauer »Das beispielhafte Leben des Samuel W.« daher. In Letzterem beschreibt der als Ost-Erklärer gehandelte Autor Lukas Rietzschel, der kein Ost-Erklärer sein will (s. »Nicht die Lösungen der letzten 30 Jahre«, www.kreuzer-leipzig.de, 11.5.2021), den Aufstieg eines AfD-Politikers. Dem zur Premiere herrschenden Medienrummel zum Trotz wird das auf kleiner Bühne passieren. »Es muss räumlich wirken. Außerdem folgt das unserer Grundkonzeption, junge Dramatik in der Diskothek zu spielen«, erklärt Grafe.
Vom TdJW ist das bemerkenswerte Tanz-Stück »Hyper Normal« zu sehen (kreuzer 11/2023), das Schauspiel zeigt »Romeo und Julia« (kreuzer 09/2022) in besonderer Fassung: Gab es bisher Abende, an denen vom Bühnenrand aus eine Übersetzung in Gebärdensprache erfolgte, so werden die Dolmetscher nun direkt auf der Bühne mit inszeniert. Teilhabe findet damit noch intensiver statt. Bleibt bloß die Frage, wo sie neben dem rosa Riesenteddy in der Mitte Platz finden sollen.
Am überraschendsten fällt der Beitrag des Winterstein-Theaters aus Annaberg-Buchholz aus, zumindest auf den zweiten Blick. Dass die Produktion um und über Anton Günther gebaut wurde, ist so viel Erzgebirge wie nur möglich. Dennoch ist sie relevant, wurde und wird der Mundartdichter mit Lokalheldenstatus doch von Nazis und Neonazis vereinnahmt – derzeit von den Freien Sachsen (s. S. XY). Günther als Projektionsfläche thematisiert der Abend, der auch als spezielles Format zu besuchen ist: Es gibt ihn als sogenannte relaxed performance, also als entspannte Vorstellung mit gelockerter Theateretikette. Das Licht bleibt an, reizüberflutende Effekte aus und die Türen auf. Es gibt bequeme Sitzgelegenheiten, Bewegungsfreiheit wird gewährt.
Mit der Reihe »Perspektiven« werden ungewöhnliche Ansätze zu erleben sein, etwa eine Überland-Theaterbusfahrt. »Positionen« wartet genau mit solchen auf: Hier zeigt das TdJW »All Gender*splaining« – aus Gründen. Darüber hinaus gibt es Kooperationen mit der Freien Szene und viele Partizipationsmöglichkeiten fürs Publikum. Das hat auch in der Jury das Wort: Die besteht aus je einem mit dem beteiligten Theater verbundenen Menschen, also treuen Zuschauern oder Fördervereinsmitgliedern. Die Kategorie, in welcher sie schließlich den Preis vergeben, denken sie sich selbst aus. Das ist ein hübsches Experiment.
Auch für die Theatermachenden selbst werden Räume für Begegnungen geboten. »Wir wollten weg vom Gastspielcharakter«, sagt Maximilian Grafe. »Also dass ein Ensemble kommt, spielt und wieder fährt. Auf dem Treffen werden die Darsteller:innen verschiedener Häuser zusammenkommen können zu Gesprächen über ihre Arbeitsbedingungen und künstlerischen Ansätze. Der Wunsch nach solchem Austausch kam aus den Ensembles selbst.« Eine lobenswerte Neuerung, entstand bei vergangenen Treffen doch der Eindruck, ebendas sei von organisatorischer Seite gar nicht gewollt. Allabendliche Partys für alle soll es übrigens auch geben.
> 21.–26.5., www.saechsisches-theatertreffen.de